Regulierung oder Innovation? Was bringt der Mai?
Die Europäische Verordnung über Medizinprodukte (EU-MDR) ist seit 2017 in aller Munde, aber keinem schmeckt sie so richtig. Nicht umsetzbar sind die vieldiskutierten Regulierungen – da sind sich alle Expert:innen einig – bis zum Ende der Übergangsfrist am 26. Mai 2022. Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) beleuchtete diese Herausforderungen in der MedtecLIVE-Session „Ein Jahr MDR: Wie steht es um die Umsetzung?“ Dr. Cord Schlötelburg, Leiter Health VDE, und Michael Bothe, Leiter Benannte Stelle Aktive Medizinprodukte DQS Medizinprodukte GmbH, diskutierten den gestiegenen Aufwand durch die Investitionen in den Aufbau von Know-how und Infrastruktur. Ferner stellten sie die Frage, was getan werden muss, damit Medizintechnik aus Deutschland und Europa wettbewerbsfähig bleibt.
„Seit Geltungsbeginn der MDR vor knapp einem Jahr – wenn auch schon länger bekannt – zeigt sich, dass die Umsetzung der Anforderungen schwierig ist. Herausforderungen sind eine nicht ausgewogene Kapazität Benannter Stellen, fehlende harmonisierte Normen, eine Reihe von Unklarheiten bei der Detailausgestaltung von Anforderungen sowie Herausforderungen bei der klinischen Bewertung und Prüfung von Medizinprodukten. Wir haben uns in der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) Gedanken gemacht und ein Empfehlungspapier mit diversen Teilthemen und Verbesserungsvorschlägen verfasst. Es ist bereits in einer dritten Auflage verfügbar. Europa hat eine Regulierung geschaffen, die Innovationen behindert und die künftige Versorgung in Frage stellt“, so die Bilanz von Dr. Schlötelburg.
Das Fazit von Michael Bothe lautete wiederum: „Die Benannten Stellen stehen bereit. Sie könnten mehr Verfahren durchführen, doch die Hersteller sind sehr zögerlich im Einreichen von Unterlagen und Konformitätsbewertungsverfahren.“
Yvonne Glienke, Geschäftsführerin Medical Mountains GmbH, vertritt die Situation der Hersteller und bemängelt die geringe Anzahl Benannter Stellen: „Wir steuern auf ein Versorgungsproblem hin und fordern kurzfristig die Verlängerung der Übergangsfrist und der Zertifikate von Bestandsprodukten, die sonst nicht mehr verkauft werden dürfen. Langfristig braucht es nachhaltige Lösungen und Erleichterungen: Bisher erbrachte Studien und Daten sollten akzeptiert werden, statt neu erhoben. Sonst könnten gute Produkte aus der Versorgung verschwinden“. Auch die fehlenden Innovationsmöglichkeiten kritisiert Glienke: Neue Produkte entstehen künftig ggf. nur noch in den USA oder Asien. Dort gibt es etablierte Prozesse, die Kosten und Entwicklung sind überschaubar bzw. einfacher. Wer fertigt dann noch freiwillig in der EU? Und was bedeutet das für die Patient:innen?
Noch schwieriger wird es bei der Verordnung für In-Vitro-Diagnostik (IVDR). Dr. Jörg Hauffe, Projektmanager bei seleon, fasst die Vorträge zum IVDR-Update zusammen: „Zum 26. Mai 2022 als Stichtag gibt es zwei Übergangsfristen, die bestehende legacy-Produkte nach hinten verschieben. Sämtliche Hersteller müssten bis heute schon viel mehr getan haben, um den Anforderungen der IVDR gerecht zu werden. Allerdings ist die Anzahl der Benannten Stellen – momentan sieben – nicht ausreichend. Damit können auch die neuen Übergangsfristen nicht eingehalten werden. Kaum Hilfestellungen oder Leitlinien für Hersteller sind vorhanden, Erfahrung hat niemand. Der Sprung von der IVDD – der vorherigen Richtlinie – zur IVDR ist immens und viel größer als die Stufe von der MDD zur MDR. Es geht zum einen um völlig neue Verfahren, zum anderen werden alle Produkte neu klassifiziert. Vorher mussten bei acht Prozent aller Produkte Benannte Stellen hinzugezogen werden, jetzt bei 80 Prozent! Was hier auf Markt und Patient zukommt, sind Versorgungsengpässe, an denen kein Hersteller Schuld trägt“.
Vielleicht gibt es in Kürze rund 50 Prozent Diagnostika ohne Zulassung? Der Weg, den die EU-Kommission für die IVDR vorgezeichnet hat, kann auf keinen Fall so beschritten werden: das ist das Fazit der IVDR-Panels. Die nahe Zukunft wird somit schwierig für Hersteller, Betreiber und Patient:innen!