Menschenorientiert oder planetenorientiert: Zur Diskussion über Nachhaltigkeit und „Green medtech“ lud die MedtecLIVE ein.
Wo steht die Gesundheitswirtschaft beim Thema Nachhaltigkeit? „Ganz am Anfang“, resümierte Stefanie Brauer von Forum Medtech Pharma. Ökologie, Ökonomie und Soziales sind die drei Säulen, die hier Beachtung finden müssen. „Am wenigsten entwickelt sind die ökologischen und sozialen Aspekte.“ Diese Situation, so Brauer, spiegeln auch die Ergebnisse kürzlicher Rundfragen wider. Krankenhäuser ebenso wie Hersteller waren hier Zielgruppen. Die überschaubare Anzahl von Initiativen in Richtung Nachhaltigkeit steht einer im Vergleich intensiveren Thematisierung im Marketing der Organisationen und Unternehmen entgegen … findet also ein „Greenwashing“ statt?
In Kliniken wird das Dilemma deutlich: Vielen Mitarbeitenden sind Nachhaltigkeits-Themen aus ihrem Lebensalltag bewusst, in den Kliniken werden diese jedoch kaum angepackt. Hersteller und Anwender sollten über Lösungen und Produkte mit Nachhaltigkeitsansatz sprechen, so eine Kernaussage auf der MedtecLIVE. Aufklärungsarbeit ist in den Kliniken nötig; ein Siegel würde helfen, Produktvorteile wie ökologischer Fußabdruck erkennbar zu machen. Wettbewerbsfähige Preise für innovative Lösungen sind ein Muss für deren Durchsetzung. Der Blick über den Tellerrand zeigt: Beim englischen NHS und in Norwegen enthalten Ausschreibungen inzwischen Kriterien der Nachhaltigkeit – auch dieser Ansatz beschleunigt den Fortschritt.
Das „Miteinander Sprechen“ ermöglichte auch ein World Café in Stuttgart: Verpackung, Recycling und Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Design und Dekarbonisierung sowie nachhaltiges Personalmanagement wurden hier als relevante Aspekte diskutiert. So lassen sich im Personalmanagement Nachhaltigkeitsziele fördern durch vollständig digitale Bewerbungen, durch Vermeidung des Pendelns dank mehr Home Office, lebensphasenorientiertes Personalmanagement und innovatives Job Design. Kriterien für „Nachhaltig by Design“ sollte man im Medtech-Markt wegen regulatorischer Bedingungen früh einspeisen. Einzubeziehen sind Verpackung, Handling, Transport, Nutzung und Entsorgung. Die Globalisierung mit ihrem Arbeitskostengefälle hat beispielsweise zu enormen Fußabdrücken bei Einweginstrumenten geführt. Einschmelzen von Altmetall in Pakistan, Transport von Rohmaterial nach Europa, Produktfertigung in Tschechien, Anwendung in Deutschland – das ist ökologisch nicht verantwortlich.
Worauf sollten Prioritäten gelegt werden – auf den Schutz der Umwelt oder der Patient:innen und Mitarbeitenden? Diesen Zielkonflikt erläuterte Prof. Werner W. Lorke vom Institut für Recycling, Ökologie & Design am Beispiel von Ebola: Drei Schichten persönlicher Schutzausrüstung bedeuten ein Volumen von 70 Kilogramm.
Was sind die großen Ziele für Nachhaltigkeit in der Gesundheitswirtschaft? Zu ihnen zählen die CO2-neutrale Produktion und Nutzung. „Im Kontext Umwelt- und Klimaschutz sowie sozialer Nachhaltigkeit vom Denken ins Tun kommen – das ist zurzeit die zentrale Herausforderung“, stellte Brauer fest. Sie schlägt Leistungserbringern ebenso wie Medizintechnikunternehmen eine Taktik der kleinen Entwicklungsschritte vor: Schnelle, kleine Erfolge unterstützen Akzeptanz und Engagement. Modulare reparaturfreundliche Produktansätze bei Produkten, Geräte mieten statt kaufen, Kreislauf für Verpackungsmaterial zählen zu den Optionen. Grundsätzlich gilt – messbar machen bildet die Voraussetzung fürs Managen.
Von der Übernahme sozialer Verantwortung hin zur notwendigen Compliance: Es gibt relevante Beschleuniger des Fortschritts, stellte Frank Roth von CBR Consult & Invest fest. So plant die EU ab 2023 die Umsetzung einer Corporate Social Responsibility Directive (CSRD). Diese soll Unternehmen und Organisationen mit mindestens 250 Mitarbeitenden, 20 Millionen Euro Bilanzsumme und 40 Millionen Euro Umsatz zum Reporting über soziale und ökologische Kriterien und Maßnahmen verpflichten. Bis zu 50.000 Unternehmen in Europa, 15.000 in Deutschland sind hiervon betroffen – darunter Medtech-Unternehmen und Krankenhäuser. Und in Deutschland zwingt inzwischen das Lieferkettengesetz zur ökologischen und sozialen Bewertung von Supply chains. Zeit, aktiv zu werden!