Der 12. Österreichische Gesundheitswirtschafskongress (ÖGWK) bot der Branche Gelegenheit, sich erstmals nach zwei Jahren wieder persönlich auszutauschen. Lesen Sie von den Highlights der Veranstaltung und den ersten Vorarbeiten für 2023.
Wenn Clemens Martin Auer ins Erzählen kommt, wird es ruhig im Saal. Der frühere Sonderbeauftragte des Gesundheitsministeriums berichtete in seiner Eröffnungsrede von einer Mitarbeiterin, die einen Kinderarzt für ihre erkrankte Tochter benötigte. Und „weil sie eine Bundesbeamtin ohne große finanzielle Mittel ist, wollte sie einen Kassenarzt“. In Wien fand sie keinen Termin ohne mindestens dreiwöchige Wartezeit. Erst nach langem Telefonieren und der Intervention von Bekannten fand sie Aufnahme bei einer Kinderärztin im südlichen Speckgürtel Wiens – schon weit im Niederösterreichischen.
Und dann wird Auer laut. Als Sektionschef des Gesundheitsministeriums (bis zum blauen Interregnum 2018) war er Treiber des Primärversorgungsgesetzes und Verfechter eines niederschwelligen ambulanten Versorgungssystems. Wenn eine enge Mitarbeiterin keinen Platz im heimischen Kassensystem findet, wird es für Auer persönlich. „Wir kommen schleichend in eine Zwei-Klassen-Versorgung“, klagte Auer in seinem Keynote-Vortrag zum Kongress an. Und diese Entwicklung passiere wegen eines bürokratischen „Molochs, der kaum mehr zu steuern“ sei, wie er es ausdrückte. „Es ist ein Problem, dass sich Kassen und Kammern die Steuerung des Systems untereinander ausmachen“, kritisierte der Neopensionist, der mit 1. Juni – einen Tag vor seinem Auftritt – offiziell in den Ruhestand getreten war (ein umfassendes Interview mit Clemens Martin Auer finden sie in der kommenden ÖKZ Nr. 10/22). Die Schelte des Eröffnungsredners lieferte eine treffliche Vorlage für laute Diskussionen bis weit hinein in die Mittagspause. Der 12. Kongress der Österreichischen Gesundheitswirtschaft ÖGKW war mit Schwung gestartet.
Raum für’s Reden
Der 12. ÖGKW ist 2020 und 2021 aus bekannten Gründen verschoben worden. Nach zwei Jahren höchster Belastungen und ohne jeglichen persönlichen Austausch lechzte die Branche der Gesundheitswirtschaft nach persönlichen Gesprächen. „Man hat förmlich gespürt, dass die Teilnehmer sich gefreut haben, Branchenkollegen- und kolleginnen endlich wieder physisch zu treffen“, beobachtete Heinz Brock, emeritierter ärztlicher Geschäftsführer des Kepler Universitätsklinikums und Präsident des ÖGWK. Als solcher ist er gemeinsam mit Vizepräsidentin Susanne Herbek für das Programm des zweitägigen Branchentreffs verantwortlich. „Es gab nach zwei Jahren Pandemie viel zu bereden.“

Programmatisch: Präsident Heinz Brock ist verantwortlich für Programm und Wahl der Referenten: „Die Freude war spürbar, den Kolleginnen und Kollegen wieder zu einem persönlichen Gespräch zu begegnen.“
Der 12. ÖGKW vom 2. bis. 3 Juni war der erste unter der Federführung des Springer Medizin-Verlages. Konzept und Setting wurden nach der Übernahme völlig überarbeitet: Aus einer eintägigen Veranstaltung wurden zwei Tage, die Liste der Vortragenden und der Sessions wurde um ein Mehrfaches verlängert. 70 Vortragende sorgten in 18. verschiedenen Sessions für ausreichenden Gesprächsstoff. Der Anreiz zog: Die 450 Teilnehmer und Teilnehmerinnen diskutierten in den Pausen nicht selten bis weit in die nächste Veranstaltung hinein. „Wenn dies der Fall ist, dann hat ein Kongress seinen Zweck erreicht“, war Kongresspräsident Heinz Brock zufrieden.
Programm des Kongresses war es, Lehren aus zwei Jahren Pandemie für das heimische Gesundheitssystem zu destillieren. Der Titel „Unsere neue Realität – Erkenntnisse für eine bewegte Zukunft“ gab dabei den Weg vor. „Die Absicht war, im Expertenaustausch die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems zu analysieren. Wir wollen es in Zukunft besser machen“, so Brock. Denn, „wir wissen alle: Die Pandemie ist nicht vorbei.“
Pandemie und Gesellschaft
Eines der Highlights der Veranstaltung war für viele Teilnehmer das Aufeinandertreffen zweier kontroversieller Redner zum Thema „Zwischen Ideologisierung und Dogmatisierung“. Das Panel kreiste rund um die „gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie“. Konrad Paul Liessman ist pensionierter Universitätsprofessor für Philosophie und – unter anderem – wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. Mit Liessmann am Podium saß Michael Lehofer, Psychiater und Psychologe und – ungewöhnlich für einen Arzt dieser Fachrichtung – Ärztlicher Direktor des LKH Graz II. Lehofer ist bekannt für Vorträge, die gerne wider den Strich bürsten.
Für den Philosophen Liessmann sind „umfassende soziale Kränkung und Empörung“ zwei wesentliche Ergebnisse der Pandemie. „Mit Distanz, Quarantäne und Maskentragen sind drei Schutzmaßnahmen gegen das Virus aufgerufen worden, die nichts gemein haben mit den Errungenschaften der modernen Medizin“, räsonierte Liessmann. Dies allein schon habe zu Frustrationen und damit zu Kränkungen in einer HighTech-gläubigen Gesellschaft geführt. Die Entwicklung von Vakzinen habe dabei als Brandbeschleunigung gedient. Wer „gekränkt“ sei, wolle sich auch „empören“. Und die Distanz zur Verschwörungsgläubigkeit verringere sich mit dem Ausmaß der Empörung. Letztendlich komme es bei Themen wie der Impfpflicht zu Spannungen, die „selbst in homogenen Gruppen wie einer Familie zu tiefen Spaltungen geführt haben. Wir werden erst mit zeitlichem Abstand wissen, ob die Gräben sich wieder einebnen.“
❝Der 12. ÖGWK präsentierte sich Anfang Juni mit völlig neuem Konzept. Die vollen Säle unterstrichen, dass Themen und Vortragende richtig gewählt waren.
Michael Lehofer benutzte für seine Analysen die Werkzeuge der Psychiatrie: Für ihn ging es letztendlich um Ängste – und deren Bewältigung. „Zu dem Thema Pandemie und Impfen hatte jeder eine Meinung.“ Dies allein sei schon ungewöhnlich. Verschlimmernd aber war, dass „es sehr oft um fixe Meinungen“ gegangen sei, die nicht mehr korrigierbar waren. Das Problem: Fixe Meinungen hätten „schon etwas Wahnhaftes: Informationen werden so interpretiert, dass sie zur eigenen Meinung passen.“ Für Lehofer eine typische Ausprägung von Wahn: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Die Konsequenz: „Wer nicht meiner Meinung ist, der spinnt.“ Wer einmal diesen Weg eingeschlagen habe, verlässt ihn nicht mehr: „Diejenigen, die in den Flüchtlingswellen einen gesteuerten Umvolkungsversuch sahen, sind nicht selten jene, die gestern als Impfgegner demonstriert haben und jetzt Putinversteher sind.“ Nach diesen Vorträgen war klar: Die Pandemie ist gekommen, um zu bleiben. Und dies nicht nur in virologischer Hinsicht.
Nach vielen weiteren Inputs – das Kongress-Programm ist abrufbar unter www.oegwk.at – endete die Veranstaltung mit einem Vortrag des Literaten und Erzählers Michael Köhlmeier. Der Hohenemser Schriftsteller beschrieb den genealogischen Werdegang von Asklepios, dem griechischen Gott der Heilkunst in fesselnden Worten. Die unzähligen Namen von Gottheiten und Titanen, die für die Beschreibung des Werdegangs von Asklepios notwendig waren, taten der Spannung keinen Abbruch. Kenner von Köhlmeiers Werk sind überzeugt, der brillante Unterhalter könne das Wiener Telefonbuch vorlesen, ohne zu langweilen.
Aufbruch zum 13. ÖGWK
In Anlehnung an einen alten deutschen Nationaltrainer ist nach dem Kongress vor dem Kongress: Das Kongresspräsidium tagte über den Sommer bereits mehrfach, um die Weichen für 2023 zu stellen. Die thematische Ausrichtung des 13. Gesundheitswirtschaftskongresses (22.-23. Juni 2023) wird die Belastbarkeit und Resilienz des heimischen Gesundheitssystems hinterfragen. Dazu Kongresspräsident Heinz Brock: „Wir befinden uns in einer Zeit der Unsicherheit. Man wird genau hinschauen müssen, ob die medizinischen und pflegerischen Strukturen den kommenden Herausforderungen gewachsen sind.“ Über Leitthemen und Vortragende will Heinz Brock noch nicht sprechen: „Von den Überschriften bis zum Detail ist es noch ein weiter Weg.“
Referenten des 12. ÖGWK
Martina Amon
Ojan Assadian
Clemens Martin Auer
Michael Baumgartner
Michael Binder
Heiko Boknecht
Thomas Bredenfeldt
Heinz Brock
Martin Brunninger
Christof Constantin Chwojka
Christiane Druml
Hubert Eisl
Brigitte Ettl
Ulrike Famira-Mühlberger
Bettina Fetz
Gerald Fleisch
Gerry Foitik
Albert Frömel
Thomas Gamsjäger
Richard Gauss
Gunda Gittler
Julian M. Hadschieff
Nahed Hatahet
Susanne Herbek
Maria M. Hofmarcher-Holzhacker
Gabriele Jaksch
Franz Kiesl
Christoph Kitzler
Peter Klimek
Bettina Koch
Michael Köhlmeier
Alexander Kollmann
Andreas Kolm
Gottfried Koos
Andreas Krauter
Christian Lagger
Johannes Lalej
Karl Lehner
Michael Lehofer
Franz Leisch
Werner Leodolter
Konrad Paul Liessmann
Gerlinde Macho
Wolfgang Markl
Bernadette Matiz
Jens Meier
Markus Müller
Ulrike Mursch-Edlmayr
Herwig Ostermann
Manfred Pascher
Maria Paulke-Korinek
Manfred Pferzinger
Sigrid Pilz
Stephanie Poggenburg
Elisabeth Potzmann
Gerald J. Pruckner
BM Johannes Rauch
Christoph Redelsteiner
Katharina Reich
Stefan Sauermann
Ulrich Schieborr
Volker Schörghofer
Gerald Sendlhofer
Mathias Seraphin
Alois Sillaber
Martin Sprenger
Heinz K. Stahl
Paul Sungler
Thomas Szekeres
Martin Szelgrad
Herlinde Toth
Ines Vancata
Ansgar Weltermann
Claudia Wild
Bernhard Wurzer
Der Österreichische Gesundheitswirtschaftskongress
Seit 2020 ist der ÖGWK Teil der Unternehmungen des Springer Medizin-Verlages. Die Fachmagazine „ÖKZ – Das österreichische Gesundheitswesen“ und „QUALITAS“ flankieren das Engagement des Wissenschafts- und Fachverlages.
Bilder, Videos und Referate sind abzurufen unter:
gesundheitswirtschaft.at/gesundheitswirtschaftskongress
Informationen über den 13. Gesundheitswirtschaftskongress
(22.-23. Juni 2023) können nachgelesen werden unter
www.oegwk.at
Die sozialen Medien liefern laufend unter dem Hashtag #oegwk
Informationen zu Referenten und Rahmenveranstaltungen:
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