Ausblick zu einer Versorgung von chronischen Erkrankungen in Tele-Care-Centers (TCC)

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Dalia Hämmerle
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Durch den demografischen Wandel und der dadurch stetig steigenden Anzahl an Patient:innen mit chronischen Erkrankungen und Multimorbidität besteht ein Bedarf in der Modernisierung der Versorgungsstrukturen. Laut dem OECD Austria Country Health Profile 2021 (OECD/EOHSP, 2021) sind die Gesundheitsausgaben pro Kopf/Jahr in Österreich die dritthöchsten der gesamten EU. Österreich gibt deutlich mehr als die meisten Länder für die stationäre Versorgung aus. Mit 7,2 Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner im Jahr 2019 liegt der stationäre Bereich am dritthöchsten Platz, verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 5,3 Betten. Dies zeigt sich auch in der vergleichsweisen hohen Zahl an Krankenhausentlassungen. Lt. OECD Bericht gaben zwar mehr als 70% der Erwachsenen an, bei guter Gesundheit zu sein, gleichzeitig leben aber fast zwei von fünf (37%) mit einer chronischen Erkrankung. Im Ausblick auf die absehbare Überalterung der Gesellschaft werden sich diese Zahlen weiter verschlechtern. Derzeit werden chronische Erkrankungen großteils krankenhauszentriert versorgt, diese könnten jedoch teilweise ebenso im primären Setting abgefangen und behandelt werden, weshalb der Ausbau sowie eine Mehrbeanspruchung des primären Sektors angestrebt wird (bspw. Errichtung von Primary Care Units).

Im Jahr 2021 hatte ich meine eHealth-Masterarbeit an der Fachhochschule Joanneum auf diese Thematik ausgerichtet und mich mit dem Nutzen und der Akzeptanz von eHealth-Anwendungen in der Primärversorgung beschäftigt (Hämmerle, 2021).

Aktive Einbindung der Patient:innen

Durch das Stichwort Telemedizin bin ich im Zuge der Masterarbeit auf HerzMobil aufmerksam geworden und dadurch auch auf das AIT Austrian Institute of Technology und telbiomed Medizintechnik und IT Service, da das AIT die Software-Lösung von HerzMobil entwickelt hat und telbiomed HerzMobil in der Regelversorgung serviciert. HerzMobil ist ein telemedizinischer Behandlungspfad für Patient:innen mit Herzschwäche, auch Herzinsuffizienz genannt. Ziel von HerzMobil ist eine nachhaltige Stabilisierung der Erkrankung, Optimierung der medikamentösen Therapie sowie die Verbesserung der Gesundheitskompetenz für eine nachhaltig bessere Lebensqualität für Patient:innen und Angehörige. Es wurde dafür das HerzMobil-4-Säulenmodell bestehend aus (1) Schulung, (2) tägliches Monitoring, (3) bedarfsgerechte, zeitnahe Intervention und (4) HerzMobil-Netzwerkkommunikation entwickelt. Die fünfte Säule „Bewegung und Kräftigung“ wird gerade evaluiert. Vor zehn Jahren startete Tirol (Tirol Kliniken GmbH) als erstes Bundesland mit HerzMobil, die Steiermark (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H) bietet das Versorgungsprogramm seit 2019 an und seit 2022 profitieren auch betroffene Kärntner:innen im Großraum Klagenfurt und Villach (Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG) davon.

Meine Arbeit bei Telbiomed

Der Alltag bei uns ist äußerst vielfältig und reicht von der Gestaltung und Erarbeitung neuer Careplans über Workshops mit Anwender:innen, Spezifikation neuer Anwendungsfälle, Systemtests, Bereitstellung von Gerätsets, Schulung bis hin zur Beantwortung von Helpdesk-Fragen. Gemeinsam mit meinen Kolleg:innen bei telbiomed bieten wir Beratung, Service-Inbetriebnahme, Adaptierung, Konfiguration, Wartung, Geräteausstattung, Helpdesk sowie eine fachliche Begleitung bei Prozessumstellungen (z.B. für die digitale Unterstützung bei bestehenden Abläufen).

Telemedizinzentren als neue Versorgungseinheiten

International ist ein neuer Trend zu vermerken – die Etablierung von Telemedizinzentren (TMZ) bzw. Tele-Care-Centers (TCC) als neue Versorgungseinheiten im öffentlichen Gesundheitswesen. Als Bindeglied zwischen intra- und extramuralem Bereich können TMZ die immer größer werdende Lücke zwischen Behandlungsbedarf und Versorgungsangebot schließen, da diese Zentren eine indikationsunabhängige, effiziente, zeitnahe sowie flächendeckende Versorgung für eine relevante und zunehmende Gruppe von Patient:innen ermöglichen.

Durch die Partnerschaft mit der University of New South Wales (UNSW) und dem Prince of Wales Hospital (PoWH) in Sydney, bekamen wir bei einem Besuch im Sommer 2023 bemerkenswerte Eindrücke von deren Virtual Health Strategy. Mit der neuen Strategie soll die telemedizinische Betreuung im Großraum Sydney in zahlreichen Segmenten vom Entlassungsmanagement, der telemedizinischen Nachsorge bis hin zur Betreuung von Patient:innen mit chronischen Erkrankungen aufgebaut werden. Patient:innen werden in den Mittelpunkt der Gesundheitsleistungen gestellt und je nach geeigneter Versorgungsstufe entsprechend betreut. Das multidisziplinäre Team soll dabei über eine zentrale Telehealth-Technologieplattform koordiniert werden, die einen Zugang für Patienten, Klinikern und niedergelassenen Health Professionals ermöglicht (NSW Health – SESLHD, 2023).

Der Aufgabenbereich ist sehr gut mit der HerzMobil-Tätigkeit der Pflegefachkräfte am LIV, bei der KAGes oder der KABEG vergleichbar, die für Aufklärung, Schulung, Compliance-Checks, Betreuung und Netzwerk-Koordination zuständig sind. Die von Patient:innen täglich übermittelten Daten werden auf Basis individueller Grenzwerte automatisch analysiert, bei Auffälligkeiten nehmen geschulte Pflegefachkräfte vom TMZ je nach Schweregrad mit dem Patienten Kontakt auf oder informieren den behandelnden Arzt.

Die Zukunft der integrierten Versorgung

Das Landesinstitut für Integrierte Versorgung Tirol (LIV) konnte die Vorteile auch in der Realversorgung nachweisen. Mit der Etablierung von HerzMobil Tirol als Routineprogramm konnten sowohl das Sterberisiko als auch die Wiederaufnahmerate in stationäre Behandlung signifikant reduziert werden. Zusätzlich zeigt eine Kosteneffektivitätsanalyse, dass diese Form der Versorgung im Jahresvergleich Kosteneinsparungen gegenüber der Standardversorgung (HerzMobil Tirol – LIV) bringt.

Mit der Etablierung von Telemedizinzentren können die Versorgungsqualität von Patienten erhöht, die sektorenübergreifende medizinische Versorgung verbessert und räumliche Distanzen überwunden werden. Transparenz schafft das zentrale Datenmanagementsystem, mit dem eine nahtlose Kommunikation über Strukturgrenzen hinweg und die vollständige Dokumentation über den Behandlungsverlauf ermöglicht werden kann. Als besonders nützlich erweist sich hierbei die Anbindung an die ELGA Infrastruktur durch die Bereitstellung des Telemonitoring Episodenberichtes. Für die anstehende Skalierung erscheint die parallele Nutzung der Ressourcen und der technischen Infrastruktur für unterschiedliche Krankheitsbereiche und Behandlungspfade als ein zunehmend wichtiger Faktor.

Neben dem Ausbau von Primärversorgungseinheiten in Österreich haben telemedizinische Versorgungsprogramme und Telemedizinzentren ein enormes Brückenpotential zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen im Gesundheitswesen – speziell in der Betreuung von Patient:innen mit chronischen Erkrankungen und der Etablierung von Behandlungspfaden für die integrierte Versorgung.

Fokussieren wir uns also weiterhin auf den Leitsatz „Digital vor ambulant vor stationär“.

Quellen:

OECD/EOHSP (2021). European Observatory on Health Systems and Policies – Austria: Country Health Profile 2021. Kann hier abgerufen werden.

Hämmerle, D. (2021). Analyse der Nutzung und Akzeptanz von eHealth-Anwendungen in der Primärversorgung – Ein Vergleich der Staaten Österreich, Dänemark und Niederlande. Kann hier abgerufen werden.

NSW Health – South Eastern Sydney Local Health District, SESLHD. (2023). Virtual Health Strategy. Link: Virtual Health Strategy | South Eastern Sydney Local Health District (nsw.gov.au)

HerzMobil Tirol – Landesinstitut für Integrierte Versorgung Tirol – LIV. Kann hier abgerufen werden.

Dalia Hämmerle, MSc
eHealth engineer
Telbiomed Medizintechnik und IT Service GmbH

Dalia Hämmerle absolvierte den Bachelor- und Masterstudiengang eHealth an der FH Joanneum und arbeitet seit Anfang 2022 im Telbiomed-Team in Graz. Ihr vielseitiger Arbeitsbereich erstreckt sich vom HelpDesk für die AnwenderInnen über die Konzipierung neuer Anwendungsfälle bis hin zum Software-Lifecycle Management der KIT Telehealth Plattform in enger Abstimmung dem R&D-Team der AIT Austrian Institute of Technology.

Weitere Blogbeiträge dieser Institution:

Wir schreiben das Jahr 2023. Die Digitalisierung ist aus dem Bereich des Gesundheitswesens nicht mehr wegzudenken und die Veränderungen in den letzten 30 Jahre waren enorm. Bereits 30 Jahre alt ist die Medizinprodukterichtlinie (Medical Device Directive - MDD 93/42/EEC). Damals war die Entwicklung der Technologien und die Einsatzmöglichkeiten von Software im Gesundheitssektor schwer vorstellbar.

Die Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme von chronischen Erkrankungen stellen eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Chronische Erkrankungen können eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wie zum Beispiel Einschränkungen der körperlichen Funktionsfähigkeit, was den Alltag erschwert. Die WHO definiert funktionale Gesundheit unter anderem als die Fähigkeit, tägliche Aktivitäten und Erwartungen an die Umwelt erfüllen zu können.

Für Schlaganfallpatient:innen mit einem Verschluss einer der großen Gehirnarterien existiert seit 2015 eine neue Therapiemethode, die endovaskuläre Trombektomie. Diese kann in spezialisierten Schlaganfallzentren durchgeführt werden und die Prognose der Betroffenen signifikant verbessern. Um Patient:innen, die diese Therapiemethode benötigen, schon vor dem Transport zu identifizieren, entwickelt das AIT in internationalen Kooperationsprojekten ein EEG-basiertes Triagegerät. Durch den Einsatz dieses Gerätes sollen zukünftig Sekundärtransporte vermieden und dadurch die Prognose dieser Patient:innen verbessert werden.