Immer zuständig: Die neue Facharztaus­bildung für Hausärzte

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Autor: Martin Hehemann

Nach jahrzehntelangen Bemühungen haben die Hausärzte endlich die Anerkennung als „Fachärzte für Allgemein- und Familienmedizin“ erreicht. Mit 1. Juni 2026 soll die neue Ausbildungsordnung in Kraft treten.

Das Ganze ist mehr als überfällig.“ Susanne Rabady, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), macht aus ihren Emotionen kein Geheimnis. Man spürt eine gewisse Genugtuung. „Das ist wie bei Sisyphos, der jahrelang tagein tagaus seinen Felsbrocken den Berg hochrollt. Und plötzlich bleibt der tatsächlich oben liegen“, beschreibt ein Hausarzt die Gefühlswelt vieler seiner Kolleginnen und Kollegen. Rabady selbst formuliert es weniger bildlich: „Wir haben seit 25 Jahren dafür gekämpft.“

„Das Ganze“ oder „dafür“ – das ist die Anerkennung der Berufsbezeichnung Facharzt beziehungsweise Fachärztin für Allgemein- und Familienmedizin und die Verlängerung der Ausbildung von derzeit knapp vier auf fünf Jahre. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Nationalrat vor kurzem in einer Gesetzesnovelle mit den Stimmen aller Parteien. Auch Edgar Wutscher, Vizepräsident der Ärztekammer und Obmann der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte, hat sich viele Jahre für diesen Schritt eingesetzt. „Gut Ding braucht Weile“, meint Wutscher fast schon philosophisch. „Jetzt ist es gelungen, alle zu überzeugen, dass das eine gute Sache ist.“

Noch ein paar Mal schlafen. Die neue Facharztausbildung soll ab 1. Juni starten. Im Vordergrund steht eine praxisnähere Ausbildung. Im Hintergrund ruht ein Berufsstatus, der endlich mit den anderen Fachgebieten auf Augenhöhe geht.

Wertschätzung vor Finanzen

Er verweist auf eine Studie der MedUni Graz, die vor rund drei Jahren unter Studierenden und Nachwuchsmedizinern durchgeführt wurde. Diese wurden unter anderem gefragt, was sie dazu bewegen würde, den Weg zum Allgemeinmediziner einzuschlagen. Die klare Nummer eins bei den Antworten: „Die Anerkennung und Wertschätzung als Facharzt“, so Wutscher. „Der finanzielle Aspekt kam erst dahinter an zweiter oder dritter Stelle.“

An positiven Aussagen zur Novelle mangelt es nicht. Nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die Opposition zeigt sich nach dem Beschluss zufrieden. Der geschäftsführende Klub­obmann der SPÖ, Philipp Kutscher, meint, seine Fraktion unterstütze alles, was dazu beitrage, die Rolle der Hausärzte zu stärken. Die Sozialsprecherin der Freiheitlichen, Dagmar Belakovitsch, bezeichnet den Beschluss als „Schritt in die richtige Richtung“, dem auch entsprechende Honoraranpassungen folgen müssten – Fachärzte würden mindestens 30 Prozent mehr verdienen als Hausärzte.

Angesichts dieser geschlossenen Zustimmung stellt sich die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis die Aufwertung der Hausärzte umgesetzt werden konnte. Die Gesundheitssprecherin der Neos, Fiona Fiedler, ortet langanhaltenden Widerstand der Bundesländer. Andere Experten machen die Vertreter der diversen Facharztrichtungen für das jahrelange Scheitern der Bemühungen verantwortlich. Alfred Doblinger, praktizierender Hausarzt und Professor für Allgemeinmedizin an der MedUni Innsbruck, hatte jedenfalls „bis zum Schluss“ seine Zweifel, „dass das wirklich klappt“.

Ein Fach muss existieren, um anerkannt zu werden

Die Anerkennung der Allgemeinmedizin als eigenes Fachgebiet soll es nun ermöglichen, die Qualität der Ausbildung deutlich zu verbessern. Dazu ÖGAM-Präsidentin Rabady: „Ein Fach, das keines ist, hat wenig Chancen, seine Inhalte zu vermitteln – weder gegenüber den anderen Berufsgruppen noch gegenüber den auszubildenden Ärztinnen und Ärzten“, so die Medizinerin, die selbst seit vielen Jahren als Hausärztin praktiziert. „Anders gesagt: Wenn es das Fach nicht gibt, sind auch die Fachinhalte nicht verbindlich beschreibbar.“ Die Allgemein- und Familienmedizin sei „ein Spezialfach, das spezielle Kompetenzen erfordert. So wie die anderen Sonderfächer auch“, meint sie.

Rabady erläutert an einem Beispiel, warum die Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner „ganz spezielle Methodiken beherrschen müssen, die sie von anderen Fachärzt:innen unterscheiden“. Wenn ein Patient „mit Schwindelgefühlen zum Neurologen kommt, dann untersucht dieser ihn neurologisch. Der Neurologe klärt ab, ob die Ursache in sein Fachgebiet fällt“, so Rabady. Die Allgemeinmediziner hätten dagegen einen völlig anderen Ansatz. „Wir klären nicht ab, ob wir zuständig sind. Das sind wir immer. Wir sind für die gesamte Breite möglicher Beschwerden zuständig – und damit auch für jede Art von Schwindelgefühlen.“ Die Vorgangsweise der Hausärzte: „Wir versuchen, die Ursache so weit wie möglich zu klären, und müssen dann entscheiden, ob wir die Patientin selbst behandeln können oder sie weiterleiten müssen.“ Dazu, so Rabady weiter, bedürfe es einer spezifischen Methodik, die den zukünftigen Hausärztinnen und Hausärzten in der Ausbildung vermittelt werden müsse.

Die von den im Parlament vertretenen Parteien einstimmig beschlossene Novelle soll diese Vertiefung nun sicherstellen. Die Ausbildung zum Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin wird von derzeit knapp vier Jahren schrittweise auf fünf Jahre verlängert. Es soll in Zukunft aus einer „Basisausbildung“ von neun Monaten und einer „fachärztlichen Ausbildung“ von 51 Monaten bestehen. In der fachärztlichen Ausbildung wiederum ist die sogenannte „Lehrpraxis“ enthalten, in deren Rahmen die Nachwuchsmediziner wie der Name sagt vor Ort beim Patienten praktische Erfahrung sammeln sollen. Startzeitpunkt für die neue Ausbildung ist der 1. Juni 2026. Bis dahin sollen in Form einer Verordnung die Details definiert werden.

Überfällig. Für Susanne Rabady, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, bleibt der Felsen endlich am Gipfel liegen. „Wir haben seit 25 Jahren für diese Ausbildungsform gekämpft.“

Im guten Schnitt

Die Ausbildung zum Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin wird in Zukunft auf dem Niveau der bisherigen Fachärzte liegen, die sechs Jahre in Anspruch nimmt. Mit fünf Jahren liegt die Allgemeinmedizin in Österreich nun auch „im Bereich anderer europäischer Länder wie Deutschland, der Schweiz, Dänemark oder Großbritannien“, meint Anita Rieder, Vizerektorin für Lehre an der MedUni Wien und Fachärztin für Public Health. „Die Bandbreite reicht von vier bis sechs Jahren. Österreich befindet sich in Zukunft im guten europäischen Schnitt“, ergänzt Ärztekammer-Funktionär Wutscher.

Die Verlängerung der Ausbildung betrifft den praktischen Teil – die Lehrpraxis. Diese wird in den kommenden Jahren schrittweise um drei Monate pro Jahr von derzeit neun auf die geplanten 24 Monate ausgedehnt. Für die schrittweise Vorgangsweise hat der Gesetzgeber sich entschieden, „weil eine sprunghafte Verlängerung dazu geführt hätte, dass man in der Übergangsphase zu wenig Allgemeinmediziner ausgebildet hätte“, erläutert Ärztekammer-Vertreter Wutscher.

Im Rahmen der Ausbildung sollen die zukünftigen Hausärztinnen und Hausärzte breiten Einblick in wichtige andere Fächer wie Innere Medizin oder Kinder- und Jugendheilkunde erhalten und Erfahrungen im beruflichen Alltag sammeln. Vor allem den Fokus auf Innere Medizin sowie die Kinder- und Jugendheilkunde hält Allgemeinmediziner Doblinger, der eine Ordination in der Tiroler Gemeinde Oberperfuss betreibt, für sehr wichtig: „Diese Bereiche machen geschätzte 80 Prozent der Arbeit von uns Landärzten aus. Am Wochenende haben wir hin und wieder fast eine reine Kinderpraxis.“ Im urbanen Bereich sei das anders: „In der Stadt gehen die Patientinnen und Patienten eher zum Facharzt. Da gibt es andere Schwerpunkte.“

Doblinger plädiert dafür, festzulegen, wieviel Zeit der Inneren Medizin und der Kinderheilkunde während der Lehrpraxis gewidmet wird. Damit solle sichergestellt werden, dass die Anforderungen auch an die Tätigkeit in ländlichen Regionen angepasst werden. ÖGAM-Präsidentin Rabady hält das nicht für notwendig: „Wer später Landärztin bzw. Landarzt werden möchte, wird seine Lehrpraxis auch in einer Ordination am Land absolvieren. Die Schwerpunkte ergeben sich im Arbeitsalltag in der Praxis“, so Rabady. Sie verweist zudem auf die zunehmende Mobilität in der Gesellschaft, die auch vor den Ärzten nicht Halt mache: „Wir Mediziner haben keine linearen Karrieren mehr wie noch vor 30 Jahren. Wer heute eine Ordination am Land führt, findet sich in einigen Jahren vielleicht in einer Stadt wieder – oder umgekehrt“, meint Rabady. Überdies sei Land nicht gleich Land: „Es ist ein Unterschied, ob ich im oberen Waldviertel arbeite oder in Schladming. In den Skigebieten macht man als Hausarzt im Winter viel Unfallchirurgie.“ Daher ihr Fazit: „Die spezifisch allgemeinmedizinische Methodik ist grundsätzlich immer gleich. Die muss beherrscht werden.“

Nicht in Notfallambulanzen

Auch MedUni Wien-Vizerektorin Rieder begrüßt die Ausweitung der Lehrpraxis. „Das war ein großer Kritikpunkt in der Vergangenheit. Der Anteil der Ausbildung in der Praxis war zu niedrig.“ Die Hausärzte, so Rieder weiter, würden als erste Anlaufstelle fungieren, die sich eng mit den anderen Fachrichtungen und Gesundheitsberufen koordinieren müsse. „Das lernt man am besten dort, wo die Allgemeinmedizin praktiziert wird wie in Lehrpraxen, Lehrambulanzen, PVE.“ Genau zu diesem Punkt gibt es aber Unstimmigkeiten: Die Novelle sieht vor, dass die Lehrpraxis nicht nur in „Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen und Lehrambulatorien“ absolviert werden kann, sondern auch in Akutambulanzen zur Erstversorgung. Damit haben die Vertreterinnen und Vertreter der Allgemeinmedizin allerdings wenig Freude: Es sei entscheidend, dass die Lehrpraxis während der Schwerpunktausbildung in Einrichtungen stattfindet, in denen auch tatsächlich Allgemein- und Familienmedizin praktiziert werde. ÖGAM-Präsidentin Rabady: „Erstversorgungseinrichtungen oder Notfallambulanzen zählen nicht dazu. Diese können und sollen während der intramuralen Ausbildungsphase durchlaufen werden.“

Die Vertreterin der wissenschaftlichen Fachgesellschaft fordert zudem, dass ihre zukünftigen Kolleginnen und Kollegen während ihrer fünfjährigen Ausbildung als „Spezialisten für Allgemeinmedizin“ behandelt werden und nicht als „Lückenbüßer, die für Tätigkeiten herangezogen werden, die der Ausbildung nicht dienlich sind“. Rabady: „Sie haben den gleichen Status wie die Spezialisten der Sonderfächer.“ Und das müsse sich in der Ausbildung widerspiegeln. „Es darf nicht dem Zufall überlassen werden, ob der Chefarzt Verständnis für die Allgemein- und Familienmedizin hat oder nicht.“ Die Verordnung, in der die Details der Ausbildung festgelegt werden, soll nun in den kommenden Monaten erarbeitet werden. Gesundheitsminister Johannes Rauch gab im Februar im Gesundheitsausschuss bekannt, dass die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung in Form einer Verordnung bis zum Sommer vorliegen werde. Rabady hat vor, sich dabei aktiv einzubringen. „Wir werden darlegen, auf welche Weise wir unser Wissen vermitteln wollen.“

Die Neuerungen im Überblick:

–> Facharztausbildung löst Ausbildung zum Allgemeinmediziner ab
–> Von vier auf fünf Jahre verlängerte Ausbildung, davon …
– 9 Monate Basisausbildung
– 51 Monate fachärztliche Ausbildung mit 33 Monaten Sonderfach-Grundausbildung und 18 Monaten Sonderfach-Schwerpunktausbildung in Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen und Lehrambulatorien sowie Akutambulanzen
–> Eine Übergangsbestimmung sieht einen stufenförmigen Ausbau der Dauer der Ausbildung in der Sonderfach-Schwerpunktausbildung über mehrere Jahre hinweg vor.
–> Es besteht zudem die Wahlmöglichkeit, alle vor dem 1. Juni 2026 begonnenen Ausbildungen entweder nach dem derzeit geltenden Recht abzuschließen oder in die neue fachärztliche Ausbildung überzutreten.

Quellen und Links:

Information des Nationalrats zur Novelle:
www.parlament.gv.at/aktuelles/pk/jahr_2024/pk0119#

ÖGAM zur Facharztausbildung:
oegam.at/ausbildung/facharztausbildung/

Plattform Primärversorgung zur Gesetzesnovelle:
primaerversorgung.gv.at/neuigkeiten/neue-facharztausbildung-fur-allgemein-und-familienmedizin

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