Eine schnellstmögliche Epilepsiediagnose bietet betroffenen Kindern eine Chance für bestmögliche Entwicklung

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Malgorzata Wislowska
Diese Serie erscheint in Kooperation mit:

Epilepsie ist eine Erkrankung, die sich durch paroxysmale, übermäßige und pathologische Aktivität von Neuronen im Gehirn auszeichnet. Die sogenannten epileptischen Anfälle können, insbesondere wenn sie langanhaltend oder wiederholt auftreten, strukturelle, funktionale und neurochemische Veränderungen im Gehirn verursachen. Bei Kindern können diese Auswirkungen besonders gravierend sein, da sich ihr Nervensystem noch in der Entwicklungsphase befindet. Epileptische Anfälle können somit zu anhaltendem Mangel, im Aufbau neuronaler Netzwerke, Entwicklungsverzögerungen und kognitiven Beeinträchtigungen führen. Das junge Gehirn ist zudem besonders anfällig: Etwa drei Viertel der Epilepsiefälle treten bereits im Kindesalter auf. Darüber hinaus weisen Menschen mit Epilepsie im Allgemeinen eine erhöhte Sterblichkeitsrate, ein höheres Verletzungsrisiko sowie ein gesteigertes Risiko für psychische Probleme auf. Daher ist eine umgehende Epilepsiebehandlung und Anfallskontrolle entscheidend, basierend auf einer schnellen und präzisen Diagnose.

Jährlich werden etwa 0.1% neue Fälle von pädiatrischer Epilepsie beobachtet. Zudem erleiden viele Kinder Anfälle aufgrund unterschiedlicher Ursachen, die nicht unbedingt mit Epilepsie in Verbindung stehen. Für die Abklärung ist hier eine klinische Untersuchung unerlässlich. Insgesamt werden ca. 4% aller Kindern mindestens einmal eine Anfallssemiologie zu diagnostischen Zwecken benötigen, die sowohl subjektive als auch objektive Symptome erfasst. Zu diesem Zweck wird routinemäßig die Gehirnaktivität dieser Patient:innen mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) überwacht und analysiert, um festzustellen, ob, wann, wie oft und wo pathologische Aktivitätsmuster auftreten. In der Regel dauert eine kontinuierliche EEG-Aufnahme mehrere Stunden bis Tage, um die Wahrscheinlichkeit der Erkennung abnormer Hirnaktivität zu erhöhen. Anschließend müssen die aufgezeichneten Daten durchgesehen und annotiert werden – und das wird oft zu einem großen Stolperstein. Dieser Prozess verlangt so großen Zeitaufwand und Spezialisationsgrad, dass die Wartezeiten auf Resultate und Behandlung sich erheblich verspäten.

KI kann diesen Prozess jedoch auf Minuten verkürzen

In der Competence Unit „Medical Signal Analysis“ des AIT „Center for Health and Bioresources“ wird derzeit eine Software entwickelt, die den langwierigen Prozess der Annotation von EEG-Daten übernimmt. Das Ziel ist die vollautomatische Detektion pathologischer Gehirnaktivität wie epileptische Anfälle oder epileptische Spikes im Signal. Im Endeffekt werden die Ärzt:innen innerhalb von Minuten die relevanten EEG-Muster direkt in der Aufnahme markiert erhalten, einschließlich einer Zusammenfassung aller Vorfällen auf einem Bild. Dadurch werden sie die Möglichkeit bekommen, sich gezielt auf die relevanten Abschnitte der EEG-Aufnahme zu konzentrieren.

Das Team unter der Leitung von Dr. Tilmann Kluge entwickelt Algorithmen, die sogenannte „Deep Neural Networks“ einsetzen. Im Prinzip handelt es sich dabei um aus der Natur inspirierte mathematische Modellen. Mit einer Abfolge von Rechenformel werden aus EEG-Signalen Kerninformationen extrahieren, um relevante EEG-Muster zu charakterisieren – in diesem Fall epileptische Anfälle und epileptische Spikes.

Die Arbeit an dem Projekt hat Ende 2023 begonnen, und der Weg zu einer klinisch validierten und zertifizierten Software ist noch lang. Das Ziel ist jedoch klar definiert – eine Lösung zu entwickeln, die junge Patient:innen und ihren Ärzt:innen bestmöglich unterstützt. Für erwachsene Patient:innen ist eine solche Lösung durch unseren medizintechnisch zertifizierten Algorithmus encevis bereits im Einsatz.

Malgorzata Wislowska, Scientist
Medical Signal Analysis, Center for Health & Bioresources
AIT Austrian Institute of Technology

Nach ihrem Studium der Kognitiven Wissenschaften in Polen sowie Brain Imaging in Großbritannien, promovierte Malgorzata Wislowska an der Universität Salzburg. Seit mehr als einem Jahrzehnt widmet sie sich Erforschung von Gehirnaktivitätsdaten in verschiedenen Bereichen, darunter Schlaf, Gedächtnis, Bewusstsein, perinatales Lernen und Informationsverarbeitung. Seit 2022 ist sie als Scientist in der Medical Signal Analysis Gruppe am AIT tätig und beschäftigt sich mit Algorithmen für Entscheidungsunterstützungs­systeme, wobei ihr Schwerpunkt derzeit auf dem Thema Epilepsie liegt.

Weitere Blogbeiträge dieser Institution:

Wie die Forderung nach „Finanzierung aus einer Hand“ im österreichischen Gesundheitssektor zeigt, ist es ebenso entscheidend, die Initiative „Daten aus einer Hand“ zu verfolgen, um der Fragmentierung entgegenzuwirken. Diese Zersplitterung behindert dringend benötigte Entwicklungen, insbesondere Innovationen, die eine Verschiebung von Leistungen zwischen ambulantem und stationärem Sektor vorsehen.

Wir erleben eine beispiellose Zunahme von Infektionskrankheiten. Diese Entwicklung wird von Globalisierung und dem Klimawandel getrieben und führt zu neuen Herausforderungen in der medizinischen Diagnostik. Der Bedarf an schneller, präziser und vor Ort durchführbarer Diagnostik ist somit größer denn je.

Für Schlaganfallpatient:innen mit einem Verschluss einer der großen Gehirnarterien existiert seit 2015 eine neue Therapiemethode, die endovaskuläre Trombektomie. Diese kann in spezialisierten Schlaganfallzentren durchgeführt werden und die Prognose der Betroffenen signifikant verbessern. Um Patient:innen, die diese Therapiemethode benötigen, schon vor dem Transport zu identifizieren, entwickelt das AIT in internationalen Kooperationsprojekten ein EEG-basiertes Triagegerät. Durch den Einsatz dieses Gerätes sollen zukünftig Sekundärtransporte vermieden und dadurch die Prognose dieser Patient:innen verbessert werden.