Ein erheblicher Teil jener Menschen, die eine Sars-CoV-2-Erkrankung durchgemacht haben, haben später Long Covid-Symptome. Normale Laboruntersuchungen zeigen oft keine Auffälligkeiten. Innsbrucker Wissenschafter haben jetzt in Urinproben Betroffener charakteristische Muster entdeckt, die bei Gesunden nicht zu finden waren.
Die Innsbrucker Wissenschafter haben Proben von 25 Menschen mit Long Covid, von acht gesunden Kontrollpersonen und von acht Personen mit sogenannter myalgischer Enzephalomyelitis/chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS) untersucht.
„Rund zehn Prozent der Menschen, die Covid-19 gehabt haben, leiden danach an anhaltenden Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Atemlosigkeit, Brust-, Gelenks- oder Muskelschmerzen, Schlafstörungen, kognitiven Störungen oder einer Einschränkung ihrer psychischen Gesundheit“, schrieben vor kurzem Maya Taenzer von der Universitätsklinik für Innere Medizin II (MedUni Innsbruck) und ihre Co-Autoren in der wissenschaftlichen Zeitschrift „International Journal of Tryptophan Research“.
Offenbar seien unterschiedliche Krankheitsursachen dabei involviert, besonders Entzündungsreaktionen sowie Veränderungen im Aminosäuren-Stoffwechsel, im Funktionieren des autonomen Nervensystems und des Darmtraktes. Das Problem, so die Experten: Weil Routinetests bei Long Covid-Patienten nicht aussagekräftig sind, würde man dringend leicht untersuchbare Biomarker benötigen, um einerseits die Ursachen des Krankheitsbildes untersuchen zu können, andererseits aber auch Wege zu einer personalisierte Behandlung für die Betroffenen zu finden.
Urin: Einfacher Zugang zu Stoffwechselparametern
Für die Labormedizin weiterhin der einfachste Zugang zu Stoffwechselparametern sind Urinproben. Die Innsbrucker Wissenschafter führten deshalb eine Pilotstudie durch. Untersucht wurden Proben von 25 Menschen mit Long Covid (davon 20 Frauen), von acht gesunden Kontrollpersonen (davon sieben Frauen) und von acht Personen mit sogenannter myalgischer Enzephalomyelitis/chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS), das ein zu Long Covid ähnliches Erscheinungsbild aufweisen kann.
Weil viele Symptome von Long Covid etwas mit Gehirn bzw. dem Nervensystem zu tun haben dürften, konzentrierten sich die Autoren der wissenschaftlichen Arbeit auf bestimmte Proteine in den Harnproben. „Die Konzentrationen von Neurotransmitter-Vorläuferproteinen wie Tryptophan, Phenylalanin und ihre Stoffwechselprodukte wurden untersucht, auch ihr Zusammenhang mit Symptomen (Müdigkeit, Angstzustände und Depressionen) der Patienten.“
Abweichungen bei Aminosäuren, Stoffwechselprodukten und Neurotransmittern
Ein wichtiges erstes Ergebnis: Die Konzentration der essenziellen Aminosäure Phenylalanin war bei den Probanden mit Long Covid und ME/CFS-Betroffenen signifikant niedriger als bei den Angehörigen der Kontrollgruppe. „Bei vielen Long Covid-Patienten wich die Konzentration der Stoffwechselprodukte von Tryptophan und Tyrosin, zum Beispiel Serotonin, Dopamin und Katecholamin von den Referenzwerten ab“, stellten die Wissenschafter fest. An vielen neurologischen oder psychischen Störungen sind bekanntermaßen die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin oder Katecholamine beteiligt.
Long Covid-Patienten, die an ständiger Erschöpfung und Abgeschlagenheit litten, wiesen jedenfalls geringere Konzentrationen an den Aminosäuren Kynurenin und Phenylalanin auf. Bei Patienten mit Angstzuständen zeigte sich zum Beispiel wiederum eine geringere Konzentration an Gamma-Aminobuttersäure (GABA). GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn und ein Gegenspieler zum erregend wirkenden Glutamat. Verschiedene Arzneimittel gegen Epilepsie wirken, indem sie die GABA-Konzentration erhöhen.
Die Wissenschafter ziehen in ihrer Studie unter anderem folgende Schlussfolgerung aus den Laborergebnissen: „Zusammenfassend deuten unsere Resultate darauf hin, dass bei Patienten mit Long Covid und ME/CFS der Aminosäure-Stoffwechsel und die Synthese von Neurotransmittern gestört ist. Die identifizierten Abbauprodukte und deren Fehlregulierung könnten als potenzielle Biomarker für die Erforschung der Krankheitsursachen dienen und zu personalisierten Behandlungsstrategien für diese Patientengruppen führen.“
(APA/red.)