Ich sehe nirgends eine Reform

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Autor: Josef Ruhaltinger

Herr Pichlbauer, in einem Gastkommentar in der ÖKZ haben Sie im Februar geschrieben, dass Österreich keinen Pflegenotstand habe, sondern ein Teilzeitproblem. Es gäbe genug Köpfe, die aber aus diversen Gründen nur 16 oder 20 Stunden pro Woche arbeiten können oder wollen. Ändert die vorgestellte Pflegereform etwas an Ihrer Analyse?
Ernest Pichlbauer
: Rein gar nichts. Ich kann an keinem Punkt ablesen, dass das Problem des hohen Teilzeitanteils von der Regierung adressiert worden wäre. Es gibt viele Untersuchungen zu den Gründen. Da ist das Kinder- und Erziehungsthema, das durch ein Angebot für Kinderbetreuung gelöst werden muss. Und die Mitarbeiter wollen zu Recht eine berechenbare Arbeitszeit. Das wird für die Personaleinsatzplanung aber um so schwieriger, je mehr Teilzeitkräfte eingesetzt werden. Je unplanbarer das wird, desto mehr wollen dann Teilzeit machen – ein Teufelskreis. Und da sehe ich nirgends eine Reform – sondern eher Brandbeschleuniger.

Werden mehr Geld, verbesserte Nachdienst­schlüssel und eine Woche mehr Urlaub ab 43 für Pfleger und Pflegerinnen die Attraktivität des Berufes heben?
Das wird nichts bewirken. Mehr Geld ist nicht der Problemlöser, sondern maximal ein Hygiene-Faktor. Außerdem ist das Einkommensniveau der heimischen Pflegewirtschaft im nationalen und internationalen Vergleich nicht so schlecht. Ein höheres Einkommen wird den Weg in die Teilzeit beschleunigen. Und die zusätzliche Urlaubswoche und bessere Anrechnung von Nachtdiensten werden das gleiche tun.

Wenn nichts aus dem Maßnahmenpaket greift: Was hilft dann?
Wir müssen den Druck von den Pflegekräften nehmen, indem wir die Zahl und die Morbidität der Patienten reduzieren.

Zur Person:

Dr. Ernest Pichlbauer ist unabhängiger Experte, Blogger (www.rezeptblog.at) und Publizist, u.a. gesundheitspolitische Kolumnen in der Wiener Zeitung („Rezeptblock“) sowie Ass.Prof. für evidenzbasierte Medizin an der SFU. Während seiner Zeit am Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) war er maßgeblich an den Arbeiten zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) beteiligt.

Ist das nicht das Ziel aller Gesundheits­einrichtungen?
Leider Nein. Ein Beispiel: Wir haben 60 Prozent mehr Krankenhausaufenthalte als der EU-Durchschnitt. Aber wir haben nicht 60 Prozent mehr Personal. Deswegen ist die Zahl der Patienten pro Spitalsmitarbeiter sehr hoch und damit die Zeit pro Patient niedrig. Während das für Ärzte noch zu verkraften ist, ist das für die Pflegekräfte ein Problem. Dieses Pro­blem kann nur eine umfassende Gesundheitsreform lösen. Und würde Pflege, wie international üblich, als Teil des Gesundheitssystems gedacht, würde sie sowohl im als auch außerhalb des Spitals so eingesetzt, dass Pflegebedürftigkeit genauso wie Krankheit professionell adressiert würde. Das Ergebnis wäre dann nicht nur weniger Krankheit, sondern auch weniger Pflegebedürftigkeit. Wir würden mit dem vorhandenen Personal auskommen.

Aber wir haben durch Demografie und Zivilisationskrankheiten mehr kranke Men­schen im System. Können wir den Bedarf ignorieren?
Das ist überall so. Aber eben nicht überall geht man so vor, dass man über die Akutbehandlung die mit den Veränderungen einhergehenden Probleme lösen will. Würde etwa das Geld dieser Pflegemilliarde in die Professionalisierung der Heimpflege gehen, also zu den Patienten nach Hause kommen, würden wir Pflege-präventive Effekte sehen. Aber so geht das meiste Geld in die Gehälter der Spitals­pflege und in die informelle Pflege, also der Angehörigen-Pflege. Im Grunde stopft die Pflegemilliarde Löcher, die es nicht gäbe, wenn wir vor Jahren schon eine Pflegereform gemacht hätten.

Sie fordern weniger informelle Pflege und mehr Profis in der Hauspflege. Die Pflegereform zielt auf das genaue Gegenteil ab. Wie kommt es zu dieser diametralen Themensicht?
Pflege und Betreuung durch Laien hilft einfach nicht. Im Grunde wird so der Patient zuerst ins Bett und vom Bett ins Heim gepflegt. Angehörigen fehlt schlicht die professionelle Distanz und Ausbildung, das Richtige zur richtigen Zeit zu machen. Profis werden erst geholt, wenn es dem Patienten schon schlecht geht und das Pflege-Präventionspotenzial praktisch verloren ist. Das ist schlecht für die Pfleger und Pflegerinnen, weil diesen ohne Erfolgserlebnisse der Sinn der Arbeit verloren geht. Und es ist schlecht für die Bevölkerung, weil die weniger gesunde und behinderungsfreie Lebenszeit erwarten muss.    //

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