Die KI-gesteuerte medizinische Revolution – eine Utopie

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Autor: Günter Klambauer

In einem fiktiven Szenario hat Österreich ein fortschrittliches Gesundheitssystem mit digitalem Zugang zu medizinischen Daten und KI-Systemen entwickelt. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Angenommen, in unserem Land kann jede Person, die dies möchte, auf alle ihre medizinischen Unterlagen zugreifen. Außerdem können alle Bürgerinnen und Bürger auf Wunsch KI-Systeme für ihre medizinischen Daten verwenden. Durch die nahtlose Verknüpfung von Technologie, Datenmanagement und Ermächtigung der Bevölkerung werden viele neue, positive gesellschaftliche Entwicklungen in Gang gebracht.

Patient*innen haben in dieser künftigen Welt die Möglichkeit, auf KI-Systeme zuzugreifen, die Empfehlungen geben, mögliche Dia­gnosen stellen und die sie mit automatisierter, effizienter Terminvergabe an für sie passende Gesundheitseinrichtungen weiterleiten. Sämtliche medizinischen Auswertungen und Befunde werden im Zusammenhang mit anderen Gesundheitsdaten gesehen, wodurch sich ein verbessertes Gesamtbild der Patientin/des Patienten ergibt. Mit der Einführung der KI-Systeme verbessert sich die Gesundheit der Österreicherinnen sowohl subjektiv als auch objektiv stark.

Dr. Günter Klambauer (geb. 1982)
ist KI-Forscher und Assoziierter Professor am Institut für Machine Learning der JKU Linz. Klambauer ist Träger mehrerer wissenschaftlicher Auszeichnungen.

Eine zentrale Konsequenz dieses Daten- und KI-unterstützten Gesundheitssystems ist Fairness. Dieses System garantiert für alle Personen den gleichen Zugang zur medizinischen Expertise und Beratung, ungeachtet ihres sozioökonomischen Status, ihrer Gesundheitsversicherung oder ihrer geografischen Lage.

Aber nicht nur die Situation der Patient*innen, sondern auch die des Personals in Gesundheitseinrichtungen verbessert sich. Die extrem hohe Arbeitsbelastung des medizinischen Fachpersonals wird reduziert, da das KI-System routinemäßige repetitive administrative Tätigkeiten und Patientinnen-Management unterstützt. Es bleibt wieder Zeit für soziale Interaktion mit Patientinnen. Auch populationsweite Screenings werden möglich, da KI-Systeme in kurzer Zeit große Datenmengen analysieren können. Die Patientinnen entscheiden sich hierzu einfach per Opt-In. Dadurch verbessert sich die Früherkennung von vielen Krankheiten. Auch die Therapieerfolge nehmen zu.

Darüber hinaus dient das Daten- und KI-System als Frühwarnsystem für Krankheitswellen. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion der Gesundheitseinrichtungen, ohne die Anonymität und Datenschutzrechte von Einzelnen einzuschränken.

Mit neuen Lernmethoden können KI-Systeme unter Wahrung der Privatsphäre von großen verteilten Datensätzen lernen. So werden bisher unbekannte komplexe Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und Krankheiten aufgedeckt. In weiterer Folge führt dies zu einer Verbesserung der KI-Systeme und ermöglicht eine populationspezifische Modellierung und personalisierte Medizin.

So kann die Zukunft sein. Aber die Realität sieht anders aus. Leider ist Datenmanagement- und KI-unterstützte Medizin in Österreich immer noch eine Utopie. Dabei hat unser Land dafür die besten Voraussetzungen: Österreich verfügt über ein vergleichsweise gutes Gesundheitssystem, beheimatet in der medizinischen Forschung und in der Molekularbiologie viele hervorragende Forschungseinrichtungen und ist Heim- und Lehrstätte vieler international führenden KI-Expert*innen. Leider ist diese Utopie in weite Ferne gerückt.

Forschungsgruppen sind immer noch auf kleine, verteilte Datensätze angewiesen, die sie selbst sammeln, warten und kurieren müssen. Auf Förderung von KI-Grundlagenforschung wurde in den letzten Jahren in Österreich fast vollständig verzichtet. Aber ich bin Optimist: Als Forscher sehe ich in letzter Zeit einige positive Zeichen. Ich hoffe, dass wir hier nicht eine große Chance vergeben.  

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