Das intelligente Pflaster - Ein Gefühl der Wärme

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Alexandra Keller

Ein intelligentes Pflaster überwacht die Temperaturentwicklung von großen und kleinen Patienten. Fieber wird dabei ebenso gemessen wie der Eisprung. Das steirische Start-up SteadySense arbeitet am weltweiten Markteintritt.

Fieber ist das Alarmsignal des Körpers, dass etwas nicht stimmt. Oft ist eine Infektion im Anzug. Es gibt viele weitere Gründe für erhöhte Temperatur, über die die Wissenschaft wenig weiß. „In dem Bereich wurde relativ wenig geforscht“, sagt Werner Koele. Die Forschungslücken überraschen den Biomediziner nicht. Er weiß, mit wie viel Aufwand eine kontinuierliche und für Studien aussagekräftige Temperaturmessung an Patienten verbunden ist. Eine permanente Überwachung der Körpertemperatur ist nur unter großem Aufwand administrierbar. Automatisiert ist sie lediglich auf Intensivstation oder unter dem invasiven Einsatz eines Temperatursensors im Blasenkatheder möglich. Den Rest des Klinik-Alltags überwachen Pflegekräfte mit händischen Messungen. Dabei ist die Fieberkurve für viele Krankheits- und Genesungsverläufe ein entscheidender Parameter für den Behandlungsplan. Werner Koele ist CEO des steirischen Start-ups SteadySense, das mit einem smarten „Fieberpflaster“ präzise Temperaturdaten für lückenlose Fieberkurven liefert. Pflegende in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Familien sollen entlastet werden.

Schlafwandlerische Sicherheit. Das thermosensible
Pflaster von SteadySense verspricht die lückenlose Über­wachung der Körpertemperatur. Die Verwendung zur Covid-Prävention, Verhütung oder Operationsnachsorge macht die Technologie weltweit interessant. Im Spitalsbetrieb wird das Pflegepersonal massiv entlastet.

Wärmesignale

„Wir haben einen kostengünstigen Chip entwickelt, der alles kann“, erklärt CEO Koele. Sein Background ist die Biomedizin. Er hat Biomedizinische Technik in Graz studiert und 2001 das Studium abgeschlossen, bevor er bei Infineon Technologies mithalf, die Technik hinter dem kontaktlosen Bezahlen wie Google oder Apple Pay zu entwickeln. „Ich komme von der Halbleiterei“, beschreibt Koele seine Karrierewurzeln. Beim Innovationsmanagement von Infineon ist er auf den Vorfahren des SteadySense-Halbleiters gestoßen, der zur Basis der aktuellen Entwicklungen wurde. Koele wollte aus den technischen Möglichkeiten mehr machen: „Ich habe eine Zeit lang im Silicon Valley gelebt, wo ich den unternehmerischen Spirit inhaliert habe.“

Mit der Idee eines temperaturempfindlichen Überwachungssensors im Gepäck kehrte er nach Österreich zurück. Koele gründete 2016 das Unternehmen SteadySense.

Der Chip verursacht in der Herstellung überschaubare Kosten. Teuer war aber die Entwicklung des marktreifen Systems. Dafür überzeugte Koele nicht nur die Verantwortlichen in der österreichischen Forschungsförderlandschaft, sondern holte sich auch Partner mit ins Boot. Seine ehemalige Arbeitgeberin Infineon zählt dazu, aber auch die auf Klebetechnik spezialisierte Firma Lohmann, die im niederösterreichischen Stockerau am Pflaster tüftelte. Die Herausforderungen dafür waren komplex. Das Pflaster musste nicht nur die Medizinprodukteanforderungen erfüllen, sondern auch sehr lange unter Belastung und Wärme haltbar sein. Weil das Pflaster nicht herunterfallen, auf der anderen Seite aber auch leicht zu entfernen sein musste, war die Aufgabe knifflig.

Der Chip bildet das Herz des Sensorpflasters, das in den meisten Fällen im Achselbereich geklebt wird. Er kann die Temperatur messen, die Daten speichern und kommunizieren. Batterien sorgen für die nötige Energie. Und über NFC, die schnelle und strahlungsarme Technologie, die auch beim kontaktlosen Bezahlen eingesetzt wird, können die aufgezeichneten Temperaturdaten dann auf Smartphones oder anderen NFC-kompatiblen Handheldgeräten abgelesen werden. Das war’s.

Nicht nur Eltern können kinderleicht nachvollziehen, welchen Vorteil es hat, die für kleine Menschen so unangenehme Temperatur-Messung zu erleichtern, indem ein kleines Pflaster den Einsatz des Thermometers im Po ersetzt. Für das Pflegepersonal in Krankenhäusern verspricht das SteadyTemp-System massive Erleichterungen, die sich gut in Zahlen darstellen lassen. Pro Temperaturmessung werden circa 30 Sekunden Arbeitsaufwand gerechnet. Pro Patient und Tag wird die Temperatur durchschnittlich 1,5 Mal gemessen. „Bei 30 Patienten sprechen wir schon von einer halben Stunde Zeitersparnis pro Tag“, sagt Koele. Allein im Corona-Jahr 2021 sind über zwei Millionen Patienten in den österreichischen Krankenanstalten versorgt worden. Angenommen, sie waren durchschnittlich vier Tage in den Spitälern, wurde vom Pflegepersonal 12 Millionen Mal das Thermometer gezückt. Eindrücklich ist die Hochrechnung auf Österreich, wo – laut SteadySense – bei gleichem Personalstand rund 4.300 Patienten mehr versorgt werden könnten, würde SteadyTemp – das Produkt des Start-ups – flächendeckend zum Einsatz kommen. Dabei ist auch das Thema Datenschutz zu berücksichtigen. Denn die Datenspeicherung erfolgt dabei dezentral und nicht etwa in der Cloud. Um bei der Früherkennung von Covid-19 schnell zum Einsatz zu kommen, erfolgte im Frühjahr 2020 eine rasche Freigabe des wärmemessenden Pflasters durch die Ethikkommission. Pro Patient bzw. Mitarbeiter würde man mit etwa 15 bis 20 Euro rechnen müssen, heißt es in einem Bericht von „TrendingTopics“.

Vom Silicon Valley nach Seiersberg. Gründer Werner Koele kommt aus der „Halb­leiterei“. Aktuell arbeitet er an der Zulassung seiner Produkte in den USA und Asien.

Weltweites Interesse

„Wir bekommen mittlerweile Anfragen zu unserem Produkt für diverse Studien aus der ganzen Welt“, erzählt Koele, aktuell wird das System bei sieben Studien eingesetzt. Eine davon läuft auf der Klinischen Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der MedUni Graz, wo seit Mai die Korrelation zwischen Entzündungsparametern und Temperaturerhöhung untersucht wird. Dabei werden bei Patienten nach der Operation die Temperaturverläufe konventionell und mit dem smarten Pflaster gemessen und mit gleichzeitig erhobenen Laborparametern verglichen. Damit wird geprüft, ob der Einsatz der Thermopflaster positive Effekte bringt. In drei bis vier Monaten will man die Werte von 100 Patienten erheben und anschließend auswerten. Generell ist der Chip so programmiert, dass er alle fünf Minuten die Temperatur misst. Dadurch wird bei minimalem Aufwand ein vollständiger Überblick über thermische Vorgänge gewonnen. Koele: „Da wird sich noch viel tun.“

Es gibt für das smarte Pflaster jede Menge Anwendungen. Beispielsweise beim Einsatz des Systems in der Transplantationschirurgie, wo das Pflaster, das ja nicht nur unter der Achsel, sondern auch auf einzelnen Körperteilen angebracht werden kann, durch Messung der Oberflächentemperatur Hinweise auf eventuelle Durchblutungsstörungen liefert. FemSense – vor Corona das erste Produkt des MedTech-Start-ups – ist ein Ovulationsmesssystem, das wohl bald als Verhütungsmittel zugelassen werden wird. An den Körper der Frau geheftet, bestimmt das Patch kontinuierlich die Körpertemperatur. Eine App berechnet die fruchtbarsten Tage. „Als Verhütungsprodukt liegt femSense bei der Sicherheit eines Kondoms, wobei unser System ein informatives ist, mit dem wir Frauen dazu empowern, bewusste Entscheidungen zu treffen“, sagt Koele. Der CEO des zwischenzeitlich 18 Mitarbeiter umfassenden SteadySense-Teams ist schwer beschäftigt. Momentan sei man dabei, um Zulassungen in den USA und Asien anzusuchen. Das Wachstumspotenzial ist beträchtlich. Während Corona die Wachstumspläne für 2020 und 2021 kräftig zerzauste – der Umsatz 2021 lag bei überschaubaren 500.000 Euro –, geht das Geschäftsmodell für 2027 von einem Umsatz von 25 Millionen Euro aus. 

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