Brustkrebs-Forschungsförderungspreisträger Sandro Keller im Interview: "Viele Schritte in verschiedene Richtungen"

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Autor: Scho

Im Rahmen des Pink Ribbon-Auftakts hat Univ.-Prof. Dr. Sandro Keller (Universität Graz) am 26.9. den bis dato höchst dotierte Brustkrebs-Forschungsförderungspreis der Österreichischen Krebshilfe erhalten. Der Preis ist mit 100.000 Euro dotiert. Sandro Kellers Projekt „Towards Precision Diagnostics of HER2 for Personalized Immunotherapies“ hat sich gegen die zahlreichen Einsendungen durchgesetzt. Ziel der Forschung ist es, Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs durch eine Präzisionsuntersuchung des Tumorgewebes eine personalisierte, d.h. auf ihren Tumor abgestimmte Immuntherapie anbieten zu können. Wir haben bei Sandro Keller nachgefragt.

Wo sehen Sie die nächsten Schritte in der Krebsforschung? Eher in der Wirkstoffforschung oder eher in der Gen- oder mRNA-forschung beziehungsweise in einer Verbindung unterschiedlicher Ansätze?

Sandro Keller: Angesichts der Vielschichtigkeit von Krebserkrankungen kann man davon ausgehen, dass die nächsten Fortschritte in der Diagnose und Therapie durch viele Schritte in verschiedene Richtungen und auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht werden. Einerseits gibt es nämlich schon mächtige Therapeutika – insbesondere Antikörper, Kinase-Inhibitoren und Zytostatika – deren Einsatz aber oft nicht optimal auf die Bedürfnisse einzelner PatientInnen abgestimmt werden kann. An dieser Stelle ist also die Diagnostik gefragt. Durch Präzisionsdiagnostik könnten die Grundlagen für bessere, personalisierte Kombinationstherapien geschaffen werden. Andererseits gibt es aber auch innerhalb der drei oben genannten Wirkstoffgruppen – Antikörper, Kinase-Inhibitoren und Zytostatika – Verbesserungspotenzial und es kommen alle paar Jahre neue, bessere oder für die Behandlung anderer Krebsformen entwickelte Wirkstoffe auf den Markt. Schließlich gibt es auch ganz andere Ansätze, so zum Beispiel den Einsatz von mRNA-Impfstoffen, die “dank” COVID-19 allgemein bekannt wurden. Weniger bekannt ist oft, dass mRNA-Behandlungen schon vor der Pandemie unter anderem für die Krebstherapie in Betracht gezogen wurden und es in diesem Bereich tatsächlich vielversprechende Erfolge gibt.

Wo ist in Ihrer Forschung derzeit der kritische Punkt, an dem es nicht weiter geht?

Unsere Forschung widmet sich der Entwicklung neuer präzisionsdiagnostischer Verfahren für sogenannten HER2-positiven Brustkrebs. Dabei handelt es sich um eine Art von Brustkrebs, bei der ein Protein namens HER2 in viel größeren Mengen auf der Zelloberfläche von Krebszellen vorkommt als in gesunden Zellen. Uns ist es gelungen, nicht nur die Menge dieses wichtigen Proteins absolut zu bestimmen, sondern auch die Anteile seiner verschiedenen Unterformen, die unterschiedlich aktiv sind. Alle diese Experimente wurden mit Krebszellen aus Zellkulturen durchgeführt und funktionieren damit sehr zuverlässig und reproduzierbar. Der kritische Punkt, an dem wir derzeit arbeiten, ist die Übertragung dieses Messprinzips von Zellkulturen auf Gewebeproben. Auch wenn das Messprinzip selbst dabei gleich bleibt, sind Gewebeproben doch sehr viel schwieriger in ihrer Handhabung, da sie heterogen sind, zusammenklumpen und oft große Anteile an Fett- und Bindegewebe enthalten, die die Messung stören würden und deshalb vorher schonend entfernt werden müssen, ohne dass dabei das Zielprotein HER2 Schaden nimmt. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir diese technischen Herausforderungen bald in den Griff bekommen werden.

Wenn Sie eine Prognose wagen würden: Wo glauben Sie wird die Wissenschaft in diesem Feld in 10 Jahren stehen?

Das ist natürlich eine äußerst knifflige Frage, aber wenn ich schon eine Prognose wagen soll, würde ich auf Präzisionsdiagnostik und personalisierte Kombinationstherapie sowie auf mRNA-Impfungen tippen. Noch erfreulicher wäre es natürlich, wenn in 10 Jahren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten existieren würden, die wir heute noch gar nicht erahnen können. Unabhängig von irgendwelchen Prognosen kann aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass die Krebsforschung in 10 Jahren sehr viel weiter sein wird als heute – genau so, wie sie heute sehr viel weiter ist als vor 10 Jahren.

(red.)

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