Wegweiser durch das Patientenrecht

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Scho

Der Stellenwert von PatientInnen und ihren Anliegen wird von den Verantwortlichen im Gesundheitssystem als zentral erachtet – von den politisch Entscheidungstragenden ebenso wie von der Sozialversicherung, den Behörden oder den verschiedenen Interessenvertretungen. Doch in puncto Wissen über die bestehenden Patientenrechte gibt es große Informationslücken, ergab eine Umfrage unter mehr als 200 Patientenorganisationen. Patientenvertretungen äußerten, Patientenrechte seien gut verankert, aber den Betroffenen nicht bekannt. Andere meinten, die Patientenrechte seien schlecht verankert und zusätzlich den PatientInnen nicht bekannt. Zudem diagnostizierten die Befragten große Unsicherheit: PatientInnen wüssten oft nicht, wie sie ihre Rechte einfordern können, würden sich „ihrem Schicksal fügen“ oder sich nicht trauen, sie einzufordern, weil sie z.B. keine Rechtsvertretung bzw. keinen Rechtsschutz hätten.

Um diesem Problem zu begegnen, entwickelte die Online-Plattform selpers gemeinsam mit den Verbänden PHARMIG und FOPI den Ratgeber „Ihr Recht als Patient:in – Von Diagnosestellung bis Nachsorge“. „Viele Menschen in Österreich wissen nicht, was ihre Rechte als PatientInnen sind und wie sie diese beanspruchen können“, sagt selpers-Gründerin Dr.in Iris Herscovici. „Außerdem sind die geltenden Regelungen für PatientInnen schwer verständlich und oft nur schwierig in die Praxis übertragbar. Doch die betroffenen Personen müssen verstehen, dass sie den Behandlungsprozess mitgestalten und positiv beeinflussen können. Dafür brauchen sie Informationen, die sich an der Patient Journey orientieren und Rücksicht auf die Lebensrealität der PatientInnen nimmt, insbesondere alltagsrelevant in verständlicher Sprache. Dies war ein
wesentlicher Aspekt bei der Konzeption der vorliegenden Broschüre.“

Iris Herscovici: Regelungen seien oft „schwer verständlich und oft nur schwierig in die Praxis übertragbar. “ Um den Behandlungsprozess mitgestalten zu können, bräuchten PatientInnen alltagsrelevante Informationen in verständlicher Sprache.

Patientenanwalt Dr. Gerald Bachinger unterstützte dieses Projekt von Anbeginn: „Es ist leider Tatsache, dass es um die Gesundheitskompetenz in Österreich nicht gut bestellt ist. Das wurde durch die Österreichische Gesundheitskompetenz-Erhebung erst letztes Jahr deutlich belegt, und die Corona-Pandemie hat die Situation eher noch verschlechtert. Umso wichtiger ist es, jetzt bei dieser grundlegenden Materie nachzuschärfen.“

Kompakter und Kompass durch die Rechtsmaterie

Die neue Broschüre bildet dementsprechend eine Art Kompass und informiert kompakt sowie verständlich über die Rechte und Pflichten aller Patienten im heimischen Gesundheitswesen. Gestaltet wurde sie in Zusammenarbeit zwischen Juristinnen, Patientenvertretern, Kommunikationsexpertinnen und Graphikern, um juristisch-technische Inhalte in leicht erfassbare, praxisnahe Informationseinheiten zu übersetzen. Der Aufbau und Inhalt orientiert sich dabei am Weg der
PatientInnen durch das Gesundheitssystem beginnend mit den ersten Arztbesuchen, Untersuchungen und Diagnosen über die Therapie bis hin zur Nachsorge und möglichen Sozialleistungen.

Thema ist etwa die freie Arztwahl: „In Österreich wird das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Ärzteschaft und PatientInnen als besonderer Wert anerkannt“, unterstreicht Autorin Dr.in Maria-Luise Plank, Gillhofer Plank Rechtsanwälte. „Wenn daher eine Therapie in gleicher Qualität sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spital erbracht werden kann, dann darf die/der PatientIn die Therapie mit dem Arzt oder der Ärztin des Vertrauens beispielsweise im niedergelassenen Bereich durchführen, auch wenn für die Sozialversicherung dadurch Mehrkosten entstehen.“

Maria-Luise Plank betont den besonderen Stellenwert des Vertrauensverhältnisses zwischen Ärzteschaft und PatientInnen in Österreich – auch, wenn dadurch Mehrkosten entstehen sollten.

Ähnlich dazu klärt der Ratgeber auf, dass im Rahmen der gemeinsamen Therapieentscheidung zwischen Behandelnden und PatientInnen der Ökonomiedruck nicht derartige Ausmaße annehmen darf, dass keine individuelle Entscheidung im Einzelfall mehr möglich ist und der kostengünstigste Weg von den Zahlern übernommen wird. „Die Ärztin oder der Arzt hat daher im Rahmen des Standes der Medizin eine Therapiefreiheit, wenn mehrere gleichwertige Optionen vorliegen“, erklärt Juristin Plank. „Alle Patienten haben in einem gewissen Rahmen ein Selbstbestimmungsrecht und können beispielsweise
eine für sie weniger belastende Therapie vorziehen. Die Kosten der Therapie sind ein Kriterium für die Kostenerstattung, aber nicht das Entscheidende, wenn Therapiealternativen unterschiedliche Belastungen für die PatientInnen bedeuten.“

Die Broschüre informiert zudem über mögliche Sozialleistungen in Zusammenhang mit Erkrankungen und möglichen Arbeitsausfällen oder Hilfsbedürftigkeit. „Ein typisches Beispiel ist die Tatsache, dass viele an Krebs erkrankte Personen während und nach der Chemotherapie nicht arbeitsfähig sind und Hilfe bei der Verrichtung täglicher Aufgaben benötigen“, so Plank. „Diese PatientInnen wissen aber häufig nicht, dass sie während dieser Zeit Anspruch auf Pflegegeld haben. Derartige Informationslücken wollen wir schließen.“

Gerald Bachinger: „Viele Menschen sehen sich (…) als PatientIn den helfenden Personen gegenüber in einer schwächeren Position“, sagt der Patientenanwalt.

„Alle Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass bei jeder medizinisch notwendigen Maßnahme an Körper, Geist und an Seele der eigene Wille entscheidend ist und dass die Würde in jeder Situation bewahrt bleibt. Viele Menschen sehen sich aber als PatientIn den helfenden Personen gegenüber in einer schwächeren Position“, weiß Patientenanwalt Bachinger. „Mit diesem Ratgeber kann hoffentlich ein wenig gegengesteuert werden. Denn: Die Patientenrechte wurden zwar seit Abschluss der Patientencharta im Jahr 1999 juristisch weiterentwickelt und perfektioniert. Bei der Kommunikation hat es aber gehapert. Im nächsten Schritt können wir uns dann der Zukunft widmen und hinschauen, wo Reformbedarf besteht. Da kann man prüfen, was überholt oder nicht ausreichend abgebildet ist – wie etwa der Patientenentschädigungsfonds oder die Information von PatientInnen zu Behandlungsfehlern“, betont Bachinger.

Informierte PatientInnen können Gesundheitssystem besser verstehen und nutzen

„Jede von uns ist früher oder später einmal PatientIn“, formuliert Dr. Bernhard Ecker, Präsident des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI) die Motivation, als Verband das Projekt mitzutragen. „PatientInnen sollen wissen, worauf sie Anspruch haben. Denn wenn sie ihre Rechte kennen, können sie die Leistungen unseres Gesundheitswesens, den Nutzen und Wert der Therapien sowie die Reha- und Pflegemaßnahmen besser verstehen und
nutzen. Auch Gesundheitskompetenz ist ein Türöffner für ein Leben in Gesundheit.“

„Wir setzen uns seit langem für aufgeklärte und gut informierte Patientinnen und Patienten ein“, sagt auch Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG. Deshalb engagiert sich das verbandsübergreifende Joint Standing Committee (JSC) „Patient Advocacy“ bei Themen wie Patientenmitbestimmung, Zugang zu Informationen, Stärkung von Patientenrechten, Stärkung von Patientenorganisationen und Compliance in Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen. „Unsere Mitgliedsunternehmen sehen in der täglichen Arbeit den dringenden Bedarf der Patientinnen und Patienten
an Zugang zu niederschwelligen Informationen. Durch das verbandsübergreifende Gremium ist es nunmehr gelungen, eine wirklich umfangreiche Broschüre gemeinsam herauszugeben und alle Patienten mit zentralen Informationen zu unterstützen.“

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Lebererkrankungen bei Kindern häufiger als gedacht

Lebererkrankungen bei Kindern häufiger als gedacht

Übergewicht, eine Gallengansatresie sowie seltene Erkrankungen sind die Ursachen für Leberschäden bei Kindern. Je früher erkannt, desto geringer die Folgeschäden.

Neurologische Erkrankungen weltweit am weitesten verbreitet
3,4 Milliarden Betroffene

Neurologische Erkrankungen weltweit am weitesten verbreitet

Die größten Probleme auf dem Gebiet der neurologischen Erkrankungen verursachen folgende Leiden: Schlaganfall, Gehirnschäden, welche Kinder während des Geburtsvorgangs erleiden, Migräne, Morbus Alzheimer und andere Demenzformen, Nervenschäden als Folgen von Diabetes, Meningitis, Epilepsie, neurologische Komplikationen nach Frühgeburten, Autismus-Störungen und Krebskrankheiten des Nervensystems.