Den Sturz verhindern, bevor er passiert – durch Telegesundheits­dienste

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Autor: Andreas Ziegl
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Die Alterung der Bevölkerung und die damit einhergehende Zunahme von chronischen Erkrankungen stellen eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Chronische Erkrankungen können eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wie zum Beispiel Einschränkungen der körperlichen Funktionsfähigkeit, was den Alltag erschwert. Die WHO definiert funktionale Gesundheit unter anderem als die Fähigkeit, tägliche Aktivitäten und Erwartungen an die Umwelt erfüllen zu können.

Derzeit gibt es ein zunehmendes Interesse an Technologien, die eine leistungsbasierte Bewertung der funktionellen Gesundheit ermöglichen und Daten für die Analyse und Überprüfung durch Gesundheitsexperten bereitstellen können.

Funktionale Gesundheit kann auf verschiedene Weise bewertet werden, zum Beispiel durch die Verwendung von standardisierten Tests, die speziell entwickelt wurden, um die körperliche Funktionsfähigkeit zu bewerten. Beispiele dafür sind der 6-Minuten-Gehtest oder der Timed Up-and-Go-Test.

Studien haben gezeigt, dass Telegesundheitsdienste ungeplante Krankenhausaufenthalte und Kosten reduzieren können. Methoden zur Bewertung der funktionellen Gesundheit sind in der Lage klinisch relevante Veränderungen in der Leistungsfähigkeit von Patient:innen erkennbar zu machen. Eine technische Integration dieser Bewertungsmethoden in einen Telegesundheitsdienst wurde von der competence unit „digital health innovation systems“ am AIT durchgeführt und umfangreich auf deren Anwendbarkeit und Aussagekraft analysiert.

Bewertung durch Sensordaten und digitale Biomarker

Eine Möglichkeit, Telegesundheitsdienste für die Beurteilung der funktionellen Gesundheit zu nutzen, ist die Verwendung von sogenannten Internet-of-Things (IoT)-Geräten. IoT-Geräte sind vernetzte Geräte, die über das Internet miteinander kommunizieren und Daten sammeln und austauschen können. Diese Geräte können dazu verwendet werden, Tests unbeaufsichtigt durchzuführen und die Ergebnisse an Gesundheitsexperten mittels eines Telegesundheitsdiensten zu übertragen.

Im Zuge der durch den Zukunftsfond Steiermark geförderten Grazer Studie „Stand Up&Go“ wurde ein erstes IoT-Gerät zur funktionellen Gesundheitsbewertung getestet. Das am AIT entwickelte Gerät misst mit einem Ultraschall-Distanzsensor die Bewegungsabläufe während des Timed Up-and-Go-Tests. Die 2020 publizierten Studiendaten haben gezeigt, dass aus den Sensordaten generierte digitale Biomarker, Sturzpatienten von Nicht-Sturzpatienten signifikant unterscheiden können. Weiters kann das IoT-Gerät vollständig in einen Telegesundheitsdienst integriert werden.

Derzeit konzentrieren sich die Entwicklungen auf eine mHealth-App-Lösung zur genauen Distanzmessung des 6-Minuten-Gehtests mittels Satelliten-Positionierungssystem. Hier laufen aktuell Studien zur Anwendung bei Herzinsuffizienzpatienten und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Zuletzt wurden 2022 Ergebnisse zur Genauigkeit dieser Methode veröffentlicht. Leistungsbasierte Bewertungsmethoden der funktionellen Gesundheit in Verbindung mit Telegesundheitsdiensten stellen ein wertvolles Instrument zur frühzeitigen Erkennung von Gesundheitsveränderungen dar und können möglicherweise dazu beitragen, negative Auswirkungen aufgrund von bestehenden Erkrankungen zu verhindern.

Andreas Ziegl, Research Engineer
Competence Unit Digital Health Information Systems, Center for Health and Bioresources
AIT Austrian Institute of Technology

Andreas Ziegl ist Research Engineer am AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Center for Health & Bioresouces, Digital Health Information Systems und dort seit 2016 tätig. Er hat Biomedical Engineering an der TU Graz studiert. In seiner Dissertation hat er sich mit Telegesundheitsdiensten und der Integration von möglichen neuen Internet-of-Things-Geräten und Mobile-Health-Lösungen zur Bewertung der funktionalen Gesundheit beschäftigt.

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