Anflug bei (fast) jedem Wetter

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Autor: Scho

Ein Wanderer, der im Herbst bei schönstem Wetter auf dem Schöckl unterwegs ist, erleidet plötzlich einen Herzinfarkt und soll mit dem ÖAMTC-Notarzthubschrauber sofort ans LKH-Univ. Klinikum Graz geflogen werden – oder besser sollte, denn in vielen Fällen wurde der Patient letztlich doch im Rettungswagen transportiert. Der Grund: Trotz des Prachtwetters auf dem Berg stellte der klassisch dichte Hochnebel eine undurchdringbare Barriere für die Flugrettung dar und machte bisher einen Anflug ans Uniklinikum unmöglich. Bisher, denn durch das neue „Point in Space“-Verfahren (PinS) ist die herbstliche Nebelbank kein Hindernis mehr.

Warum das so ist, erklärte heute Vormittag Captain Peter Fleischhacker, ÖAMTC-Flugbetriebsleiter, nachdem er mit Christophorus 17 selbst auf dem Heliport des Chirurgieturms gelandet war. Gemeinsam mit dem Technik- und dem NotärzInnenteam des Uniklinikum sowie VertreterInnen von Austro Control stellte er das neue System vor: „,Point in Space‘ bedeutet, dass eine Meile vor dem Landeplatz in waagrechter Entfernung ein virtueller Punkt in der Luft definiert wird. Aufgrund der satellitengestützten Navigation können wir diesen anpeilen und, wenn wir von dort aus dann Sicht auf den jeweiligen Heliport haben, können wir ihn auch anfliegen.“ Denn unter der Nebelwand ist die Sicht im Normalfall wieder so gut, dass ein klassischer Anflug nach Sicht möglich ist. Zudem sind die Landeplätze aufgrund spezieller Lichtsignale weithin sichtbar.

„Bei der Versorgung schwerstverletzter Patient*innen zählt jede Minute. Durch das PinS-Verfahren können wir noch mehr Betroffene als bisher auf dem Luftweg ans Uniklinikum bringen, an dem sie von den besten TraumaexpertInnen des Landes erstversorgt werden bzw. in der Folge Topbehandlungen aller medizinischen Fachbereiche bekommen“, brachte es KAGes-Vorstandsvorsitzender Univ.-Prof. Ing. Dr. Gerhard Stark bei der Präsentation auf den Punkt.

1.500 Landungen

Über 1.500 Mal pro Jahr landen Notarzthubschrauber auf den beiden Hubschrauberlandeplätzen des Uniklinikum. Das Einzugsgebiet umfasst den süd- und südostösterreichischen Raum bzw. reicht im Bedarfsfall auch darüber hinaus, z. B., wenn jemand in die Druckkammer gebracht werden muss – der einzigen in ganz Österreich. Aufgrund des neuen Systems rechnet man mit einer Steigerung der Zahlen, denn bis zu zehn Prozent aller Einsätze pro Jahr konnten wegen schlechter Sichtverhältnisse vor allem in den Herbst- und Wintermonaten nicht geflogen werden. Durch das PinS-Verfahren stellen auch Wolkenschichten, Regen oder Schneefall keine Hindernisse für die Flugrettung mehr dar. Nur Hagel, Gewitter und die Gefahr der Vereisung machen An- und Abflüge nach wie vor unmöglich.

Die Steiermark zählt mit den drei Stützpunkten der ÖAMTC-Flugrettung zu den Bundesländern mit der höchsten Dichte an Rettungshubschraubern. „Wir sind sehr stolz, dass wir im Bereich der medizinischen Notfallversorgung ein derartig hohes Level an Professionalität bieten können. Die Rettungskette vom Unfallort bis in den Schockraum des Uniklinikum funktioniert perfekt. Dennoch sind die Beteiligten stets bestrebt, weiterzudenken und die Abläufe immer noch besser zu optimieren, damit die PatientInnen noch schneller ins Krankenhaus gebracht werden können“, erklärte Drin. Juliane Bogner-Strauß, Landesrätin für Bildung, Gesellschaft, Gesundheit und Pflege, die wie der KAGes-Vorstand und das Direktorium des LKH-Univ. Klinikum Graz der Präsentation beiwohnte. Bogner-Strauß bedankte sich dann auch herzlich für das professionelle Engagement aller Mitwirkenden.

Austro Control ist eine der führenden Flugsicherungen in Europa bei der Entwicklung von innovativen An- und Abflugverfahren. Bei der „Point in Space“-Navigation handelt es sich um neuartige, satellitengestützte Hubschrauber-Instrumentenflugverfahren, die hochpräzise und punktgenaue An- und Abflüge auf Hubschrauberlandeplätze ermöglichen. Diese Verfahren können unabhängig von fixen Installationen am Boden durchgeführt werden. Die satellitengestützte Navigationstechnik wird genutzt, um dem Hubschrauber zielgenau einen Flugweg vorzudefinieren (im Bordrechner gespeichert). Bei der Entwicklung und Einführung der „Point in Space“-Navigation in Österreich hat Austro Control eng mit den Hubschrauberbetreibern von Polizei, Bundesheer und ÖAMTC kooperiert. Mit der Entwicklung des Projekts „PinS“ für das LKH Graz wurde 2019 im Rahmen einer engen Zusammenarbeit von KAGes, ÖAMTC-Flugrettung und Austro Control begonnen.

Seit vergangenem Jahr sind die Instrumentenflugverfahren nun vollumfänglich operativ nutzbar. Austro Control-Geschäftsführer Philipp Piber unterstrich die Bedeutung der neuen Verfahren: „Wir gehören zu den europäischen Pionieren, wenn es um die Entwicklung von satellitengestützten Flugverfahren geht. Umso mehr freut es uns, dass wir hier gemeinsam das ,Point-in-Space‘-Verfahren für einen sicheren Anflug der Rettungshubschrauber erfolgreich umsetzen konnten.“ Es sei das erste Instrumentenflugverfahren dieser Art in ganz Österreich für ein Krankenhaus und man setze damit unbestritten neue Maßstäbe in der Durchführung von Rettungsflügen. Die Kosten für die Entwicklung bzw. Anschaffung von PinS belaufen sich laut KAGes-Finanzvorstand Dipl.-KHBW Ernst Fartek auf etwa 45.000 Euro.

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