Forscher bauten winzige Bioelektrosensoren für Krebsdiagnose

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Autor: Scho

Unsichtbar kleine Fühler sind wie Schachfiguren auf einem Proteingitter aufgestellt. Darunter liegen winzige Transistoren. Nehmen sie etwa Entzündungsfaktoren wahr, ändert sich die Ladung der Einheiten und Strom wird messbar, sagte der Wiener Pionier der synthetischen Biologie, Uwe Sleytr der APA. Mit solchen Bioelektrosensoren könnte man in Zukunft in Körperflüssigkeiten Krebs, Entzündungen und Virusinfektionen erkennen. Die Studie erschien im Fachjournal „Science Advances“.

Sleytr, der am Department für Bionanowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien forscht, entwickelte unter Mitarbeit von Andreas Breitwieser die Sensoren gemeinsam mit dem Bioingenieur Shuguang Zhang und dem Elektronikexperten Tomas Palacios vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA). Jeder brachte eine ganz spezielle Technologie dafür ein, erläuterte Sleytr.

Molekül-Schach in Nanometer-Dimensionen

Bioingenieur Zhang hat die Fühler (Rezeptormoleküle von Zelloberflächen), die eigentlich die „fettige“ Umgebung einer biologischen lipophilen (fettliebenden) Membran benötigen, quasi umgepolt, sodass sie nunmehr wässriges Milieu bevorzugen. Dafür wechselte er drei lipophile Aminosäuren (Bausteine von Eiweißstoffen) gegen drei wasserliebende aus. Somit lassen sie sich in dem biotechnischen Sensorsystem gut verwenden.

Uwe Sleytr – verantwortlich für das Fundament der revolutionären Idee: Die S-Schicht, ein Schachbrett aus Eiweismolekülen.

Sleytr steuerte das gleichförmige Proteingitter bei, die sogenannten S-Schicht (S-Layer). Darauf wurden die Rezeptormoleküle dicht und regelmäßig angebracht. Die Eiweißstoffmoleküle dafür stammen ursprünglich von den Zelloberflächen kugelrunder Bakterien (Lysinibacillus sphaericus). Sie bilden Kristallgitter mit Feldern von jeweils 13 Nanometern Seitenlänge (also 13 Milliardstel Meter) wie bei einem Schachbrett, wo jeweils ein Rezeptor steht. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist ungefähr 5.000 Mal dicker. „Dies ist eine unheimlich stabile Schicht, wo die Rezeptoren so dicht nebeneinander angeordnet sind, dass dazwischen kein Platz mehr frei bleibt“, so Sleytr. Dadurch würde verhindert, dass andere Moleküle dazwischen schlüpfen und ein ungewolltes, unspezifisches Signal auslösen.

Die S-Schicht mitsamt der Rezeptormoleküle wurde auf von Tomas Palacios mit seinem Team entwickelten Feldeffekt-Transistoren aufgebracht. Sie bestehen aus Graphen, also einer Kohlenstoff-Folie, die nur ein Atom dünn ist. Diese Halbleiter-Bauelemente verstärken die Signale, die von den Rezeptoren kommen, sodass Strom messbar wird.

Überwachung des CXCL12-Spiegels im Blut

Die Forscher stellten als Machbarkeitsbeispiel einen Sensor mit dem Rezeptormolekül „CXCR4“ her. Dies ist ein Rezeptor des Immunsystems. Er bindet einen Botenstoff namens „CXCL12“, der bei Entzündungen ausgeschüttet wird. „Die Überwachung des CXCL12-Spiegels im Blut kann bei verschiedensten Krankheiten wie Multipler Sklerose und Infektionen wichtige Informationen über die menschliche Immunreaktionen liefern“, so die Forscher in dem Fachartikel. Bei mindestens 23 Krebstypen wäre es damit zudem möglich, Metastasenbildung vorherzusagen und genauere Prognosen für die Patienten zu erstellen. „CXCR4 ist auch einer der Co-Rezeptoren für den Eintritt von HIV in T-Zellen (menschliche Immunzellen, Anm.), was die HIV-Diagnose und -Überwachung für die klinische Behandlung ermöglicht“, schrieben sie.

Die Sensoren sind durch Waschen mit einer „sauren Pufferlösung“ regenerier- und somit wiederverwendbar. Sie sind flexibel und könnten gut auf der Haut oder potenziell als Implantate getragen werden, meinte Sleytr. Vor allem wären sie als „patientennahe Sofortdiagnostik“ gut in Krankenstationen, Praxen niedergelassener Mediziner, Apotheken und Notarztwägen verwendbar, damit man die Patientenproben nicht in ein Zentrallabor schicken müsste.

„Unser Ziel ist es, die Basistechnologie für ein zukünftiges tragbares Gerät zu entwickeln, das wir in Mobiltelefone und Computer integrieren können, sodass man zu Hause einen Test durchführen und schnell herausfinden kann, ob man zum Arzt gehen sollte“, erklärten die Forscher in einer Aussendung des MIT.

Die Fachpublikation finden Sie hier.

(APA/red.)

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