Rund ein Kilogramm Reifenabrieb pro Kopf und Jahr produziert die Menschheit momentan. „Das ist wirklich viel“, so Thilo Hofmann von der Universität Wien im Rahmen der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU). In Untersuchungen haben er und israelische Kollegen nachgewiesen, dass giftige Substanzen aus Reifenabrieb auf Feldern und in Nutzpflanzen wie Salat landen. Es brauche daher Regulierungen in dem Bereich.
US-Forscher konnten bereits vor ein paar Jahren zeigen, dass Substanzen, die den Reifenmischungen beigemengt werden, um deren Eigenschaften zu verbessern, das Sterben von Lachsen an den US-Küsten vorantreiben, wenn sie etwa nach starken Regengüssen vermehrt ins Meer gespült werden, so der Wissenschafter vom Department für Umweltgeowissenschaften der Uni Wien. Reifen beinhalten jedenfalls viele solcher „Additive“. Welche es sind, werde einem keine der Herstellerfirmen verraten, denn die „Rezepte“ für die Kunststoffmischungen werden geheim gehalten.
Dementsprechend schwer tun sich die Wissenschaft und Regulationsbehörden bisher. Da das Problem mittlerweile aber hinlänglich bekannt ist, sei in den USA und der EU in nächster Zeit mit Regulierungen zu rechnen, die es auch brauche, wie Hofmann auf der seit 2005 jährlich in Wien stattfindenden Konferenz betonte.
Die Wiener Forscher haben in den vergangenen Jahren in mehreren Studien u.a. im Fachjournal „Environmental Science & Technology“ gezeigt, dass sich mehrere teils giftige Zusatzstoffe aus Autoreifen etwa im Salat finden. Die Reifenpartikel kommen durch Wind, Klärschlamm, der in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt wird, und Abwasser auf die Felder, wo die in ihnen enthaltenen Schadstoffe in das Gemüse gelangen können. Aufgenommen werden die Additive über die Wurzeln, von wo aus sie nach oben wandern. Obwohl die Untersuchungen zeigen, wie die Pflanzen versuchen, die Verbindungen wieder abzugeben, gelingt ihnen das nicht ganz. Nach 14 Tagen würden die Konzentrationen zwar etwas abnehmen, Additiv-frei sei das Gemüse aber nicht.
Obwohl es Ideen und Technologien gebe, die darauf abzielen, den Abrieb mehr oder weniger nahe am Entstehungsort einzufangen, plädierte Hofmann für einen anderen Ansatz zur Eindämmung: Man müsse die Erzeuger dazu anhalten, bessere und weniger gesundheitsschädliche Zutaten in den Reifenmischungen zu verwenden. Das Problem bei Verbotslisten sei, dass dann mitunter auf Substitutionsverbindungen zurückgegriffen wird, die um nichts besser sind, bis diese dann wiederum auch verboten werden. Der Umweltwissenschafter sieht daher „Positivlisten“ mit mehr oder weniger unbedenklichen Zusatzstoffen für geeigneter, deren Einsatz vorangetrieben werden sollte.
Klar sei, dass sich das Problem durch die Umstellung auf E-Mobilität nicht von selbst lösen werde, da Elektroautos etwa durch ihre starke Beschleunigung teils noch mehr Abrieb produzieren. Wie groß das Gesundheitsrisiko durch das Essen von derart verunreinigtem Salat und Co. einzuschätzen ist, könne man noch nicht genau benennen. Man habe es jedenfalls mit eher niedrigen Konzentrationen zu tun. Trotzdem: „Diese Komponenten sollten nicht da sein“, sagte Hofmann. Ein großes Problem dürfte aber vor allem das Einatmen toxischer Stoffe sein. Hier gebe es noch Bedarf nach deutlich mehr Forschung.
(APA/red.)