Kriseninvestitionen in Gesundheit & Pflege: Pflege und Versorgungs­forschung sind Stiefkinder

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Autor: Maria M. Hofmarcher-Holzhacker

In den kommenden Jahren wird die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und nach Pflege durch den demografischen Wandel, die wirtschaftliche Entwicklung und den technischen Fortschritt weiter steigen. Investition in Gesundheit und Pflege haben einen komparativen „steuerlichen Vorteil“ gegenüber Investition in physische Infrastruktur.

Es geht um Zukunft, es geht um Gesundheit & Pflege 

Investitionen in die Gesundheit sind ein entscheidender Hebel für zukünftiges Wachstum und bislang zu wenig Bestandteil der wirtschaftspolitischen Debatte. Gesundheit wird viel zu oft als reiner Kostenfaktor betrachtet, dabei bringen Investitionen in das Gesundheitswesen erhebliche soziale und wirtschaftliche Renditen. Regierungen sollten erwägen, Strategien für aktives und gesundes Altern zu entwickeln und umzusetzen, einschließlich Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik für Gesundheits- und Pflegeberufe.

In den kommenden Jahren wird die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und nach Pflege durch den demografischen Wandel, die wirtschaftliche Entwicklung und den technischen Fortschritt weiter steigen. Investition in Gesundheit und Pflege haben einen komparativen „steuerlichen Vorteil“ gegenüber Investition in physische Infrastruktur (De Henau & Himmelweit 2020). Auch die ILO (2018) hebt die positiven direkten und indirekten Beschäftigungseffekte von Investitionen in Pflege und Bildung hervor. Die bessere Bezahlung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe und die unabhängige, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Versorgungsforschung sollte ein wesentlicher Bestandteil davon sein.

Aktuelle Berechnungen zeigen, dass der Finanzbedarf für Gesundheit und Pflege hoch ist und weiter steigen wird. So gehen Hofmarcher et al (2019) davon aus, dass das Gesundheitswesen in Österreich mehr Mittel benötigen wird, als dies in der gesetzlichen Ausgabenobergrenze vorgesehen ist. Die Diskrepanz geht darauf zurück, dass die demografische Entwicklung und der technische Fortschritt bei der Berechnung der Ausgabenobergrenze nicht berücksichtigt werden. Der Ageing Report 2021 ermittelte, dass die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit von 6,9% des BIP im Jahr 2019 auf 7,8% des BIP im Jahr 2040 steigen werden. Für Langzeitpflege steigen die Ausgaben voraussichtlich von 1,8% des BIP auf 2,5% (EC 2021).

Darüber hinaus hat Österreich sein Ziel die Forschungsquote auf 3,76% des BIP im Jahr 2020 anzuheben verpasst. Im Gesundheitsbereich müsste ein größerer Schwerpunkt auf universitäre und außeruniversitäre Versorgungsforschung gelegt werden. Dadurch könnte die Wissensbasis über gesundheitlich bedingte Ungleichheiten transparent und zugänglich verbessert werden (Hofmarcher & Singhuber 2020a). Investitionen in zukunftsträchtige Bereiche wie die Biotechnologie und gesundheitsbezogene Grundlagenforschung würden zudem stärker Frauen zugutekommen. Diese Branchen weisen einen hohen weiblichen Beschäftigungsanteil auf.

Um dem krisenbedingten Einbruch der Wirtschaft entgegenzuwirken hat die EU mit dem Aufbauinstrument „Next Generation EU“ in Höhe von 750 Mrd. EUR reagiert. 390 Mrd. EUR werden den Mitgliedsstaaten als Zuschüsse, und 360 Mrd. EUR in Form von rückzahlbaren Darlehen ausgezahlt. Für den Erhalt dieser Gelder mussten EU-Länder nationale Aufbau- und Resilienzpläne entwickeln.

Wie der EU-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ setzt auch die österreichische Krisenbewältigung auf wirtschaftliche Impulse für Sektoren mit einem hohen Anteil männlicher Beschäftigung (Hofmarcher & Singhuber 2020b). Das umfasst die Digital-, Energie-, Landwirtschafts-, Bau- und Transportindustrie. Die am stärksten betroffenen Sektoren, wie Unterricht, Gesundheit, Gastronomie und Unterhaltung erhalten weniger Unterstützung; der Frauenanteil ist hier wesentlich höher, OECD (2020).

Gesundheit & Pflege bekommen
einen Bruchteil von Wirtschaft & Industrie

Allein im Jahr 2021 sind in Österreich 13,6 Mrd. EUR zur Krisenbewältigung vorgesehen (Abbildung 1, BD 2021). Der Großteil dieser Gelder geht an Unternehmen, die durch die Corona-Maßnahmen und den wirtschaftlichen Abschwung in ihrer Existenz bedroht sind. Die COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes (COFAG) hat 5,4 Mrd. EUR zur Verfügung, der Härtefallfonds der Österreichischen Wirtschaftskammer (WKO) 700 Mio. EUR. Gesundheit macht mit rund 2 Mrd. EUR ebenfalls einen großen Teil des Krisenbewältigungsfonds aus. Allerdings stehen diese Ausgaben ausschließlich im Zusammenhang mit der Pandemie und verfolgen keine größer gedachte gesundheitspolitische Zielvorstellung. Weitere 3,7 Mrd. EUR entfallen auf die Kurzarbeit. Sie ist nicht Teil des Krisenbewältigungsfonds.

Abbildung 1: Gesundheitsausgaben in der Krise sind hoch, aber anlassbezogen.
Quellen: BD (2021), eigene Darstellung

Gesundheit & Pflege hat wenig Aussicht
und nachhaltige Zuwendungen

Der Betrag, der über die EU an Österreich verteilt wird, beträgt voraussichtlich 3 Mrd. EUR, um mögliche Bandbreiten bei der Auszahlung zu berücksichtigen wurden insgesamt 4,5 Mrd. EUR eingeplant. Abbildung 2 zeigt die Verwendung der Mittel nach den definierten Bereichen. 74% der Gelder werden in die Bereiche Digitalisierung („2 – Digitaler Aufbau“, 1,8 Mrd. EUR) und Umwelt („1 – Nachhaltiger Aufbau“, 1,5 Mrd. EUR) fließen. Enthalten sind hier beispielsweise der Breitbandausbau (891,3 Mio. EUR) und die Förderung umweltfreundlicher Mobilität (848,6 Mio. EUR).  Es gibt keine klaren Hinweise, dass Teile der Säule „Digitaler Aufbau“ an das Gesundheitswesen gehen; allgemein wird vom Ausbau der digitalen Verwaltung geredet (BMF 2021).  Weitere 19% gehen in Forschung und Entwicklung („3 – Wissensbasierter Aufbau“, 868 Mio. EUR). In diesem sind 75 Mio. EUR für den Bau des Austrian Institute of Precision Medicine am Campus der Medizinischen Universität Wien vorgesehen. Darüber hinaus sind in den drei genannten Bereichen keinerlei Investitionen in den Gesundheitsbereich vorgesehen. Der kleinste Bereich definiert Ausgaben für soziale Kohäsion („4 – Gerechter Aufbau, 296 Mio. EUR). Davon gehen 125 Mio. EUR in die Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung, den Ausbau der Frühen Hilfen und die Entwicklung des elektronischen Mutter-Kind-Passes. Laut BD (2021) werden von 2021 bis 2024 99 Mio. EUR in diese Bereiche fließen.

Abbildung 2: In den Aufbauplänen hat Gesundheit keine Perspektive.
Quellen: BMF (2021), eigene Darstellung

Diese Ausgaben sind aber nur ein Bruchteil von dem sind, was im Rahmen der nationalen Krisenbewältigung für das Gesundheitswesen ausgegeben wird (Abbildung 3). Die Mittel aus dem Aufbau- und Resilienzplan, die Impulse für eine Verbesserung des Gesundheitswesens geben (1), liegen weit hinter den Gesundheitsausgaben für die unmittelbare Krisenbewältigung aus dem Krisenbewältigungsfonds zurück. Im Wesentlichen wurden Gelder für Massentests, Impfstoff und Zuschüsse an die Länder und die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) bereitgestellt. Wichtige Problemfelder bleiben dabei unangetastet. So spitzt sich der Pflegekräftemangel ungebremst zu und die Forschungs- und Entwicklungsausgaben, insbesondere im Bereich der Versorgungsforschung im Gesundheitswesen bleiben weiterhin gering.

Abbildung 3: Krisenbudget investiert kaum in die Zukunft des Gesundheitswesens.
Quellen: BD (2021), BMF (2021), eigene Darstellung

1 Allerdings ist unklar inwieweit diese Investitionen ohnehin vorgenommen worden wären (Mitnahmeeffekte).

Ausgwählte Literatur

BD (2021). Budgetvollzug Jänner bis April 2021 und COVID-19-Berichterstattung. Analyse des Budgetdienstes. Budgetdienst. Wien, 2021

BMF (2021). Österreichischer Aufbau- und Resilienzplan 2020-2026. Bundesministerium für Finanzen. Wien, April 2021.

De Henau, J., Himmelweit, S. (2020), Stimulating OECD economies post-Covid by investing in care, Open University IKD Working Paper, http://www.open.ac.uk/ikd/publications/working-papers.

European Commission (EC 2021): The 2021 Ageing Report Economic & Budgetary Projections for the EU Member States (2019-2070).  INSTITUTIONAL PAPER 148 | MAY 2021. https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/economy-finance/ip148_en_0.pdf

Hofmarcher, M.M., Singhuber, Ch., Mosburger, R. (2019).  Wachstum der Gesundheitsausgaben Braucht Nachhaltigkeit Budgetobergrenzen? HS&I Projektbericht. Wien Dezember 2019, unveröffentlicht

Hofmarcher, MM., Ch. Singhuber (2020a) F&E braucht das Gesundheitswesen – mehr denn je HS&I Fast Track 01/2020. Wien

Hofmarcher, M. M., Singhuber, C. (2020b): AT4Health. Ein Corona-Fonds zur Nachhaltigkeit der
Gesundheitsversorgung. HS&I Policy Brief, Oktober 2020, Wien. http://www.HealthSystemIntelligence.eu

ILO (2018), Care work and care jobs for the future of decent work, International Labour Office, Geneva, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—dcomm/—publ/documents/publication/wcms_633135.pdf

OECD (2020), Women at the core of the fight against COVID-19 crisis, General Secretariat, Paris.

MMag.a Maria M. Hofmarcher-Holzhacker

Maria M. Hofmarcher-Holzhacker studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien und Public Health an der Johns Hopkins Universität. Sie ist Direktorin des Institut HS&I HealthSystemIntelligence, stellvertretende Vorständin aha. Austrian Health Academy; war außerdem Beamtin bei der OECD und arbeitet mit der Weltbank, der OECD, der WHO und der Europäischen Kommission zusammen.

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