Der Zustand der Darmflora kann die Entstehung von Muskelschwund bei chronischen Erkrankungen beeinflussen. Eine klinische Studie in Graz legte den bisher unbekannten Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom des Darms und der Produktion der für den Muskel schädlichen Gallensäuren offen, wie der Wissenschaftsfonds FWF berichtete.
Muskelschwund (Sarkopenie) ist bei vielen chronischen Erkrankungen ein häufiger Begleiter. So leidet mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten mit Leberzirrhose am Verlust der Muskelkraft, die wiederum mit körperlicher Schwäche einhergeht. Bisher war unklar, warum so viele Menschen mit Leberzirrhose eine Sarkopenie entwickeln. Die Forschungsgruppe rund um Vanessa Stadlbauer-Köllner von der internistischen Lebertransplantationsambulanz an der Med Uni Graz hat in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt das Bindeglied zwischen Leber und Muskel gefunden: die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms.
Mit mehr als 200 Quadratmetern Oberfläche ist der Darm neben der Haut (im Schnitt rund 1,8 Quadratmeter, Anm.) das flächenmäßig größte Organ des Menschen. Neben seiner Verdauungsfunktion spielt er mit der Leber zusammen, da von dort aus über die Pfortader Nähr- und Vitalstoffe wie auch Signalmoleküle, Giftstoffe und Pathogene als erstes in die Entgiftungszentrale unseres Körpers gelangen. In dem vom FWF geförderten klinischen Forschungsprojekt „Die Darm-Leber-Muskel-Achse bei Leberzirrhose“ wurden Bakterienstämme identifiziert, die vermehrt vorkommen, wenn Leberzirrhose und Muskelschwund gleichzeitig auftreten.
Dazu wurde in der jüngsten Studie das Darmmikrobiom von chronisch Leberkranken mit jenem von Personen ohne Leberzirrhose analysiert. Hier zeigte sich eine Häufung von Bakterienstämmen wie Bacteroides fragilis, Blautia Marseille, Sutterella spp. und Veillonella parvula. Im Gegensatz dazu kamen Bacteroides ovatus gehäuft bei jenen Probanden vor, die trotz Leberzirrhose keinen Muskelschwund aufwiesen. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass die ungünstigen Bakterienstämme mehr sekundäre Gallensäuren bildeten. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Gallensäureprodukte über das Blut in den Muskel gelangen und dort zu Schäden führen“, wie Vanessa Stadlbauer-Köllner erklärte.
Dass die Gallensäuren als Bindeglied eine so wichtige Rolle spielen würden, überrascht: „Früher betrachtete man Gallensäuren wie ein Spülmittel für den Darm, das bei der Verdauung von Fetten hilft. Heute wissen wir, dass die Substanzen als Hormone auf andere Zellen wirken können“, erklärte Stadlbauer-Köllner. So hätten Laborversuche mit Zellkulturen aus Muskelzellen bereits gezeigt, dass diese von sekundären Gallensäuren geschädigt werden.
Ob das auch im Körper passiert, will die Grazer Expertin nun in einem weiteren Projekt näher untersuchen. Sie vermutet, dass die Substanzen bei chronisch kranken Personen durch eine gestörte Darmbarriere ins Blut gelangen können. Darüber hinaus erforscht Stadlbauer-Köllner die Wirkung von einem Medikament aus speziellen Aminosäuren auf das Mikrobiom und den Muskel. Dennoch mahnt die Forscherin zur Geduld: „Die Hoffnungen sind derzeit noch größer als das, was die Wissenschaft bewerkstelligen kann“, sagt die Medizinerin. „In der Forschung zum Mikrobiom steckt viel Potenzial, aber auch viel Grundlagenarbeit, die noch geleistet werden muss.“
Die Fachpublikation finden Sie hier.
(APA/red.)