I Robot – Mit Da Vinci live bei der Arbeit

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Autor: Christopher Waxenegger

Patienten, die roboterassistiert operiert werden, haben kleinere Narben, erholen sich schneller und benötigen weniger Schmerzmittel. Unser Autor hatte das Privileg, bei einem solchen Eingriff live dabei zu sein.

Ich blicke auf die Uhr. Punkt 12:00, wie vereinbart. In der Ferne schrillt eine Sirene. Links von mir überqueren Touristen fröhlich plaudernd die Straße. Ich nehme denselben Weg und stehe nun vor einem gläsernen, recht unscheinbar wirkenden Eingang. Doch hinter ebendiesen Toren werden tagtäglich Menschenleben gerettet – und das seit über 400 Jahren.

Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ist das älteste Ordensspital Wiens und wurde 1614 mit gerade einmal zwölf Betten gegründet. Heute zählt es mit rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den modernsten und bestausgestatteten Krankenhäusern Österreichs. 80 davon arbeiten im OP-Bereich. Und dort gibt es eine bislang österreichweit seltene Innovation: Er ist gleich mit zwei Da-Vinci-Operationssystemen ausgestattet. Wie das System funktioniert, erfahre ich im Büro von PD Dr. Bernhard Dauser, MBA, FEBS, Leiter der chirurgischen Abteilung: „Operateure steuern die vier Arme der Da-Vinci-Operationseinheit mit einem Telemanipulator, der sogenannten Konsole. Von diesen vier Armen sind zwei aktive Instrumentenarme, einer übernimmt die Kameraführung und der Vierte dient der optimalen Einstellung des Operationsgebietes. Da Vinci wird demnach ausnahmslos von einem Menschen gesteuert und operiert nicht autonom.“ Damit wären schon einmal die Überschrift dieses Artikels entschärft und eine der häufigsten Patientenfragen beantwortet.

Trokare sind platziert und es erfolgt das Abklemmen der Blutgefäße.

Die Benefits des Roboters

Aber was ist dann der Vorteil von roboterassistierten Operationen? Zum einen die dreidimensionale Darstellung und Ausleuchtung des Operationsgebietes. Zum anderen die vier im Körper in alle Richtungen frei beweglichen Instrumentenarme. Sie miniaturisieren die Handbewegungen des Operateurs und reduzieren so den natürlichen Tremor. „Wir setzen die Da-Vinci-Operationsplattform bei chirurgischen, gynäkologischen, HNO-ärztlichen und urologischen Fragestellungen ein. Etwa bei Hysterektomien, Prostatektomien, Zystektomien und nierenerhaltenden Resektionen. Der wichtigste Pfeiler des chirurgischen roboterassistierten Programmes ist jedoch die Behandlung von gut- und bösartigen Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts“, erklärt Dauser. Und genau dafür wurde ich heute eingeladen.

Plötzlich klingelt das Telefon. Ein Blick. Ein kurzes Nicken. Die Patientin befindet sich bereits im Operationssaal. Zeit aufzubrechen. Grund des Eingriffs ist ein histologisch verifiziertes, linksseitiges Kolonkarzinom. Der Tumor wurde im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt. Noch rechtzeitig, wie sich herausstellt. In der vorab durchgeführten Computertomografie sind keine Metastasen erkennbar. Auch nicht in der Lunge und Leber, Orte, wohin das Kolonkarzinom besonders häufig streut. „Falls dem so wäre, müsste man präoperativ eine systemische Chemotherapie in Betracht ziehen oder operable Leberherde vorab chirurgisch entfernen, um das Outcome zu verbessern. Da sich bei dieser Patientin keine Absiedlungen zeigen, handelt es sich um ein lokal begrenztes Kolonkarzinom. Das komplette Entfernen des betroffenen Darmsegments inklusive der umliegenden Lymphknoten geschieht demnach in kurativer Intention“, sagt Dauser.

Eine zweite Operateurin sitzt unterstützend am OP-Tisch.

Es ist so weit

Mittlerweile haben wir das Büro verlassen und durchqueren ein – wie mir scheint – labyrinthartig aufgebautes Geflecht aus Gängen und Passagen. So ähnlich muss Alice sich gefühlt haben, als sie den spannenden Geschichten ihrer Schwester lauschend voller Neugier den Weg ins Wunderland beschritt. Das Ziel unserer Reise ist eine weiße Tür. In der dahinter liegenden Garderobe erhalte ich grüne OP-Kleidung und angemessenes Schuhwerk. Dauser instruiert mich ein letztes Mal über den Ablauf, bevor sich der Zugang zum OP öffnet. In der Mitte des hell erleuchteten Raumes werden soeben die letzten Vorbereitungen getroffen. Kurz darauf gibt Dauser den Beginn der Operation bekannt.

Der nach den Empfehlungen von europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften standardisierte Eingriff startet mit einem etwa 4 cm langen Bergeschnitt knapp oberhalb des Schambeines. Anschließend wird die Bauchhöhle mit Kohlendioxid befüllt, um freie Sicht auf das Operationsfeld zu schaffen. Jetzt ist Da Vinci am Zug. Die Operationseinheit rollt langsam zum Tisch und wird oberhalb der sedierten Patientin platziert. Behutsam werden die vier Trokare mit je 8 mm Durchmesser über kleine Hautschnitte entlang des rechten Hemiabdomens gesetzt. Ab diesem Moment ist jede Bewegung der im Bauchraum befindlichen Instrumente auf einem von drei Monitoren dreidimensional in HD-Qualität live nachvollziehbar.

Der Zugang erfolgt von medial nach lateral. Dafür werden zunächst die abgehenden Venen und zuführenden Arterien freipräpariert und abgeklemmt. Dies trennt das betroffene Darmsegment vom Blutkreislauf und verhindert, dass Krebszellen in andere Organsysteme gelangen.

Danach verschließt Dauser den Dickdarm oberhalb wie unterhalb des Tumors mit einem linearen Klammernahtgerät (Stapler). Noch während ich das zangenartige Instrument gebannt bei seiner Arbeit am Bildschirm beobachte, bekommt die Patientin einen fluoreszierenden Farbstoff injiziert. „Auf diese Weise können wir die regelrechte Durchblutung des verbleibenden Darmes visuell beurteilen“, erläutert Oberärztin Dr. Lisa Kirchner, die bei diesem Eingriff als „Bedside Surgeon“ die Patientin direkt am Tisch betreut. Ihr zufolge stellt das Da-Vinci-Bildgebungssystem durchblutete Areale grün, nicht durchblutete Areale dunkel dar. Meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf den Monitor. Alles gut gegangen. Das verbleibende Darmsegment ist perfekt durchblutet. Startschuss für die finale Phase der Operation.

Dauser steuert Da Vinci mit Händen und Füßen.

Bewegungen des Chirurgen werden auf die Instrumentenarme übertragen.

End-zu-End-Anastomose

Im nächsten Schritt werden das nunmehr komplett mobile Teilstück des Dickdarms sowie suspekte angrenzende Strukturen herausgetrennt und durch den Schnitt in der Bauchhöhle entfernt. Die beiden gesunden Darmenden verbinden die Ärzte mit einem zirkulären Stapler. Dieses Instrument verfügt über eine Andruckplatte für Titanklammern, welche die Anastomose in Längsrichtung fixieren.

Ein integriertes zylindrisches Messer exzidiert die Darmabschnitte, welche innerhalb der Klammernahtreihe liegen, und sorgt damit für die Wiedereröffnung des Durchganges. Den Erfolg des Verfahrens bestätigt eine intraoperative, endoskopische Dichtigkeitsprüfung (Leckage-Test).

Schließlich werden die Trokare entfernt, die Wundränder vernäht und die Patientin in den Aufwachraum gebracht. Vier Tage später verlässt die Dame subjektiv beschwerdefrei das Krankenhaus.

PD Dr. Bernhard Dauser, MBA, FEBS, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Wien

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