„Dieses System muss auf jeden Fall überarbeitet werden“, erläuterte der Vertreter für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen (Médicins Sans Frontières/MSF). Es sei ein System, „das aus der Balance ist, für Patientinnen und Patienten weltweit, und das nicht mehr das leistet, was es leisten müsste“. Medikamentenknappheit sei „bittere Realität“ und auch hierzulande nicht ganz neu, erinnerte er an den Beginn der Covid-Pandemie bezüglich Schutzausrüstung und im weiteren Verlauf an den „Impfstoffneid“.
Die Lösung sei zugleich simpel und komplex. Das System der Anreize für pharmazeutische Forschung und Entwicklung muss überdacht werden, forderte Bachmann. Schutzrechte für geistiges Eigentum wie der Patentschutz führen zu einer extremen Verteuerung, sagte er. MSF hatte deshalb bereits in der Pandemie die Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Covid-Impfstoffe und -Medikamente gefordert.
Ein großer Teil der Medikamentenforschung wird von Universitäten, also mit öffentlichen Geldern, geleistet, erläuterte Bachmann. Wenn die Wirkstoffe dann Marktreife erreichen, würden sie an Pharmaunternehmen verkauft. „Die Öffentlichkeit schultert große Risiken und Investitionen“, dafür müsse es eine faire Retourleistung geben. Ärzte ohne Grenzen schlägt etwa die Verpflichtung des übernehmenden pharmazeutischen Unternehmens vor, diese Medikamente dann weltweit zu vertreiben.
Transparenz & Diversifizierung
Wenn Studien mit öffentlichen Geldern finanziert werden, dann sollten diese auch öffentlich sein und nicht einzelnen Firmen zur Verfügung stehen, forderte der Pharmaexperte von MSF Österreich. Auch bei Kosten – vor allem Produktionskosten – brauche es Transparenz. Außerdem sei eine weltweite Diversifizierung der Produktionsstätten von Medikamenten, Impfstoffen, Diagnostika usw. nötig.
Es gebe keine andere Branche mit so großem Konzentrationsprozess – also immer mehr Firmenzusammenschlüssen zu immer größeren Einheiten – wie im Pharmabereich, erklärte Bachmann. Das habe „dazu geführt, dass es keinen Markt mehr gibt“, sondern immer mehr Wirkstoffe mit nur einer Fertigungsstätte weltweit. Das mache das System anfällig, wie jetzt durch die Krankenstandswelle in China oder durch andere mögliche Faktoren, die zu Einschränkungen führen können.
Bei den aktuellen Lösungsvorschlägen verschiedener Interessensvertreter ortete Bachmann, dass nicht zu tief eingegriffen werden wolle. Dass die Medikamentenpreise zu wenig attraktiv seien, um die Produktion in Europa zu halten, „das kann man so nicht sagen“, hielt er fest. Die Pharmaindustrie habe das Maximum an Ertrag herausholen wollen. Als Beispiel nannte er auch die Covid-Impfstoffe, mit denen „extrem hohe Margen“ erzielt worden seien – bei einem Herstellungspreis pro Dosis um weniger als einen Euro, aber einem durchschnittlichen Verkaufspreis von knapp über 20 Euro. In Produkte, die geringere Erträge erzielen, würde „nichts mehr investiert und schon gar nicht in die nachhaltige Versorgungssicherheit“, kritisierte der MSF-Vertreter.
„Höhere Preise werden kurzfristig keine Auswirkungen haben.“ In der pharmazeutischen Industrie betragen die Vorlaufzeiten Jahre, erläuterte Bachmann im APA-Gespräch. Und diejenigen, die bei diesem „Hochlizitieren“ nicht mitziehen können, fallen dann aus dem System – dies betreffe Menschen aus dem globalen Süden. Auch dem Ruf nach Krisenlagern kann Bachmann nichts abgewinnen. Wenn ein Land beginnt, ziehen andere nach und wenn es einen Engpass gibt, leide die Versorgung. Einkommensschwache Länder würden wieder das Nachsehen haben. Auch Forschungsprämien oder -fonds sowie die zuletzt von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ins Spiel gebrachte Wirkstoffverschreibung seien keine Lösung, es fehle häufig der Wirkstoff, weil dieser nur an wenigen oder einem einzigen Standort in China produziert werde. Wichtig sei es, „das Systemungleichgewicht zu beheben“.