Nachgefragt bei der Psychiaterin Prim.a Priv.-Doz.in Dr.in Theresa Lahousen-Luxenberger, MBA

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Anneliese Ringhofer

In unserer neuen Rubrik „Nachgefragt“ bitten wir renommierte Ärztinnen und Ärzte sowie wichtige Führungspersönlichkeiten aus dem Gesundheitswesen zum Interview. Das Besondere daran: Unsere Interviewpartner:innen beantworten nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Fragen – und geben uns damit einen Einblick in ihr berufliches wie auch privates Leben. Die neue Abteilungsleiterin der Psychiatrie und Psychotherapie (APP) am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Prim.in Priv.-Doz.in Dr.in Theresa Lahousen-Luxenberger, MBA, gewährt uns darüber hinaus auch noch Einblicke in die Seele der Menschen.

Frau Prim.a Lahousen-Luxenberger, was war Ihr Beweggrund, Medizin zu studieren und Ärztin zu werden?
Theresa Lahousen-Luxenberger: Ich komme aus einer Ärztefamilie, mein Vater war Gynäkologe an der Universitätsklinik in Graz, meine zwei Brüder und ich wuchsen mit medizinischen Themen am Mittagstisch und dem Klinikalltag auf. Das Interesse wurde also schon früh bei mir geweckt, mein jüngerer Bruder ist ebenso Arzt geworden.

An welchem Zeitpunkt Ihres Studiums war Ihnen bewusst, dass Sie die Facharztausbildung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin absolvieren möchten – und warum?
Während des Studiums war ich eigentlich noch unentschlossen, aber im Rahmen der Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin rotierte ich an die Universitätsklinik für Psychiatrie in Graz, damals interimistisch unter der Leitung von Univ.-Prof. Bertha (nach der Emeritierung von Univ.-Prof. Zapotoczky). Dort war ich sehr begeistert vom Arbeitsklima, dem interdisziplinären Zusammenarbeiten. Ich hatte auch das Glück, in meinem stationsführenden Professor einen Mentor zu finden, der mich vieles gelehrt hat und der mich sehr unterstützt und gefördert hat. Ich empfand und empfinde immer noch jeden Arbeitsalltag als neu und aufregend, das Arbeiten an einer Psychiatrie ist nie langweilig und ich habe meine Entscheidung nicht bereut.

Prim.a Priv.-Doz.in Dr.in Theresa Lahousen-Luxenberger, MBA, (50) übernahm am 1. November 2023 die Leitung der Psychiatrie und Psychotherapie (APP) am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und folgt damit Prim. Dr. Herwig Oberlerchner. Die gebürtige Steirerin war nach ihrem Medizinstudium – die Facharztausbildung absolvierte sie an der Universitätsklinik für Psychiatrie Graz – in verschiedenen Krankenhäusern der KAGes tätig. Zuletzt zeichnete sie als stationsführende Oberärztin an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Graz verantwortlich. Theresa Lahousen-Luxenberger lehrt unter anderem an der Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutischen Medizin in Graz.

Haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren die psychiatrischen Krankheitsbilder verändert?
Psychische Störungen und psychiatrische Erkrankungen sind weltweit auf dem Vormarsch. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen nach wie vor Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch. Der Bereich der psychischen Erkrankungen (ICD-10 F00-F99) hat in den letzten zehn Jahren für die Arbeitswelt erheblich an Bedeutung gewonnen. Anders als noch in den frühen 2000er-Jahren, in denen arbeitslose Menschen überproportional von psychischen Diagnosen betroffen waren, sind es im letzten Jahrzehnt die Berufstätigen, bei denen psychisch bedingte Ausfallzeiten zunehmen. Die Verbreitung von psychischen Erkrankungen ist dabei nicht in jeder Gesellschaftsgruppe gleich hoch, sondern die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung ist nach soziodemografischen Merkmalen verteilt.

Menschen mit Depressionen treffen heute auf mehr Verständnis als vor 30 Jahren, während die Stigmatisierung von Menschen mit Schizophrenie zugenommen hat.

Werden psychische Erkrankungen heute anders wahrgenommen als früher?
Eine psychische Erkrankung bedeutet für viele Betroffene auch eine Auseinandersetzung mit den Reaktionen des Umfelds. Diese werden geprägt durch kulturell vorherrschende Vorstellungen von Ursache, Behandlung, Verlauf und biografischer Bedeutung der Krankheit. So zeigt sich rückblickend auf die letzten 30 Jahre, dass die Einstellungen zu psychischen Erkrankungen nicht statisch sind, sondern vielmehr einer Dynamik unterliegen, die sich in Abhängigkeit vom Krankheitsbild erheblich unterscheiden kann. So ruft eine Depression weitaus weniger negative Gefühle hervor, als es bei der Schizophrenie der Fall ist. Dieser Unterschied hat sich in den letzten 30 Jahren vergrößert: Menschen mit Depressionen treffen heute auf mehr Verständnis als vor 30 Jahren, während die Stigmatisierung von Menschen mit Schizophrenie zugenommen hat.

Welche Auswirkungen haben psychische Erkrankungen in volkswirtschaftlicher Hinsicht?
Volkswirtschaftlich haben psychische Erkrankungen erhebliche Auswirkungen: Psychische Erkrankungen sind nicht nur die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage im Beruf, sie sind auch der häufigste Grund für Frühpensionierungen. Es ist zu erwarten, dass die direkten und indirekten Kosten, die dadurch entstehen, in Zukunft noch weiter ansteigen werden. Umwelteinflüsse, die zunehmende Beschleunigung des Lebens sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Freizeit, steigende Leistungsansprüche, chronischer Stress, aber auch zunehmender Konsum von psychoaktiven Substanzen schon bei jungen Menschen führen dazu, dass einige psychische Erkrankungen wie Aufmerksamkeitsdefizitstörungen, Burn-out, Suchterkrankungen, Angststörungen und Depressionen deutlich zunehmen. Die Überalterung der Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten wird das Gesundheitssystem und dabei vor allem die Psychiatrie vor neue Herausforderungen stellen. Auf der anderen Seite können viele schwere psychische Erkrankungen heutzutage früher und exakter festgestellt werden, weshalb die Behandlung früher beginnen kann und Langzeitschäden vermieden werden können. Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich zudem in den vergangenen 50 Jahren dramatisch erweitert und verbessert.

Was sind die größten Herausforderungen als Primaria und Leiterin der Psychiatrie und psychotherapeutischen Medizin?
Die Herausforderungen sind ähnlich wie in anderen medizinischen Bereichen. Die Arbeitswelt verändert sich rasant, insbesondere durch demografische und gesellschaftliche Entwicklungen, medizinischen Fortschritt, Innovationen und Digitalisierung. Daraus ergeben sich viele Herausforderungen, denen man proaktiv begegnen muss. Die Wochenarbeitszeit verkürzt sich aus rechtlichen und gesellschaftlichen Gründen. Die demografischen Entwicklung führt zu einem Wettbewerb auf der Suche nach Mitarbeitenden.  Mitarbeitende können sich ihren Arbeitsplatz aussuchen und wollen verlässliche Arbeitszeiten. Steuerbare Arbeitsprozesse müssen insgesamt effizienter werden, um mit weniger Personal das gleiche Arbeitspensum zu schaffen.

Es geht aber auch um die Definition einer Vision: auf der Basis einer Ist-und Umfeldanalyse ein kontext-spezifisches Zukunftsbild entwickeln. Es geht um Sicherung und Förderung von Know-how, Mitarbeiter*innenorientierung und natürlich Patient*innenorientierung.

Integraler Bestandteil ist eine gute Aus-und Weiterbildung, die Möglichkeit auf der Basis eines Allroundversorgers auch eine Exzellenz entwickeln zu können. Wir müssen als Arbeitgeber attraktiv sein und das gelingt durch die Möglichkeit, sich Spezialisieren zu können, Anerkennung der Leistungen, einem guten Arbeitsklima und einer verlässlichen Arbeitszeitplanung, sodass auch Teilzeitarbeit gut integrierbar ist.

Welche Qualitäten und Anforderungen sind für Ihre Position Voraussetzung?
Ich denke, dass es wichtig ist, flexibel und agil zu sein, neugierig zu bleiben, veränderungsfreudig zu sein, Dinge auszuprobieren. Aufgeschlossen sein für Neues, quick wins zu ermöglichen. Es geht darum, besser werden zu wollen, nie ganz zufrieden zu sein im Sinne eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses. Bei all dem darf nie der Respekt vor der großen Herausforderung, dass es um Menschen, Patient*innen geht, denen wir helfen wollen, fehlen.

Es war und ist immer hilfreich, eine*n Mentor*in zu haben. Ein Vorbild, ein role model. Das versuche ich nun, für meine jungen Mitarbeitenden zu sein.

Beschreiben Sie bitte Ihren Führungsstil mit fünf Adjektiven.
Zukunftsorientiert, selbstreflektiert, wertschätzend, empathisch, partizipativ. Ich versuche mich im servant leadership.

Welche Tätigkeiten sind die häufigsten in Ihrem Arbeitsalltag?
Mit dem Team reden, erklären, zuhören, versuchen zu verstehen, Termine ausmachen, annehmen, einhalten. Und: Prozesse und Ideen gemeinsam anschauen, zukunftsorientiert motivieren, da sein, aushalten.

Welche Tipps waren für Sie als junge Ärztin hilfreich?
Es war und ist immer hilfreich, eine*n Mentor*in zu haben. Ein Vorbild, ein role model. Das versuche ich nun, für meine jungen Mitarbeitenden zu sein.

Welche Tipps würden Sie heute jungen Ärzt:innen geben?
Ich empfehle, sich einen fachlichen Schwerpunkt zu suchen, ein Themengebiet, in dem man besonders gut ist, wo man eine Exzellenz entwickeln kann.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der Digitalisierung im Bereich der Medizin?
Ich sehe es als große Chance, welche ich offen annehme. Ich erhoffe mir eine Erleichterung im klinischen Alltag, mehr Effizienz in sich wiederholenden Prozessen und dadurch mehr Zeit für Ärzt*innen für wirklich ärztliche Tätigkeiten.

Für den niedergelassenen Bereich hat die ÖGK das Projekt „visit-e“ aufgesetzt, bei dem Vertragspartnern*innen ein Programm zur Online-Konsultation zur Verfügung gestellt wird und die Verrechnung telemedizinischer und telefonischer Behandlungen und Beratungen so erfolgen, als ob die Leistungen in der Ordination erbracht worden wären.

Ebenso muss der zunehmende Stellenwert von Gesundheitsapps als eHealth-Tool abgewartet werden.

Angenommen es wäre in Ihrer Station eine musikalische Beschallung möglich. Welche Musik würden Sie bevorzugen?
keine Musik … ich halte eine Dauerbeschallung nur schlecht aus.

Was macht Sie jeden Feierabend zufrieden?
Das Wissen, dass es meiner Familie gut geht und dass an der Klinik alles in Ordnung ist.

Wie entspannen Sie am besten?
Gespräche mit Freundinnen und ich lese gerne.

Wo holen Sie sich sonst noch Kraft, damit Sie Ihren ärztlichen Arbeitsalltag im Krankenhaus leichter bewältigen können?
Viel Schlaf, Austausch mit Kolleg*innen und singen.

Welchen Traum möchten Sie sich in Ihrem Leben noch erfüllen?
Privat eine Reise nach Neuseeland, beruflich eine personell gut aufgestellte Klinik und Präsenz meiner Mitarbeitenden an nationalen und internationalen Kongressen.

Haben Sie ein Lebensmotto?
„Wir werden eine Lösung finden“ bzw. „Wir schaffen das“.

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