Werden „smarte“ Spendernerven chirurgisch neu mit einem Muskel verbunden, entstehen vielfältigere und intensivere neuromuskuläre Verbindungen. Das könnte etwa nach Amputationen helfen, die Kommunikation zwischen dem Nervensystem und Prothesen zu verbessern, zeigte ein Team um Oskar Aszmann, Leiter des Zentrums für Bionische Extremitätenrekonstruktion an der Medizinischen Universität Wien, im Tierversuch. Sie berichten darüber im Fachjournal „Science Advances“.
Die Idee hinter dem Ansatz ist laut den Forschern, Nerven bei Patienten, die beispielsweise einen Arm oder eine Hand verloren haben, quasi neu zu verdrahten. Die zentralnervösen Strukturen – Hirn, Hirnstamm, Rückenmark – und die Nerven, die die fehlenden Gliedmaßen gesteuert haben, seien noch vorhanden und könnten genutzt werden, um eine Prothese zu bewegen. „Dazu nehmen wir einen Nerv und setzen ihn auf einen Muskel um, der noch im Amputationsstumpf vorhanden ist, etwa den Bizeps“, erklärte Aszmann im Gespräch mit der APA.
Oskar Aszmann: „Denkt der Patient dann an komplexere Bewegungen seiner Hand, spielt sozusagen der Bizeps Klavier“
Dieser Muskel sei funktionslos, wenn es die Ellbogenbewegung, die er gesteuert hat, nicht mehr gebe. Man könnte also den Nervus ulnaris, der spezifisch für die Hand verantwortlich ist, wenn man zum Beispiel Klavier spielt oder auf der Tastatur tippt, auf den „dummen“ Bizeps umsetzen. Das mache den Muskel intelligenter und funktionsreicher. „Denkt der Patient dann an komplexere Bewegungen seiner Hand, spielt sozusagen der Bizeps Klavier“, so der Forscher.
Diese Komplexität der Bewegung werde auch sichtbar, weil sich – das wurde in der Arbeit von Aszmanns Team um Erstautor Vlad Tereshenko dokumentiert – die Zusammensetzung der Muskelfasern ändere. Diese seien eigentlich detailliert auf die jeweiligen Anforderungen – Ellbogen abbiegen oder Klavier spielen – zugeschnitten. Werde aber ein motorisch „smarter“ Nerv auf einen „dummen“ Muskel angesetzt, dann verändere der Muskel seine Zusammensetzung nach den Bedürfnissen des Nervens. Außerdem habe das auch Einfluss auf die Innervationsdichte, also die Versorgung der Skelettmuskeln mit Nervenfasern zur Steuerung der Muskelbewegungen. Dadurch wird der Muskel intelligenter in Bezug auf die Komplexität der Bewegung, die sich dort manifestiert.
Konkret wurde im Tierversuch neben dem Nervus ulnaris der Nervus fazialis verwendet – „ein Nerv, der die gesamte Gesichtsbewegung steuert und die höchste Informationsdichte aufweist, die wir im menschlichen Organismus kennen“, erläuterte Aszmann. Die Studie habe gezeigt, dass der Informationstransfer zum Muskel, wenn man den Nervus fazialis als Quellnerv verwende, um das 15-Fache zulegte. Das sei daran ablesbar, dass im Vergleich zum ursprünglichen Nerv entsprechend mehr Nervenfasern einen funktionellen Kontakt in diesem Muskel gefunden hätten.
Der Muskel werde zum Übersetzer von neuraler Information und spreche dabei eine Sprache, die auch dem Mechatroniker, der die prothetische Hand steuern muss, verständlich sei. Vom Nerven direkt könnten – im Gegensatz zum Muskel – bis heute keine Signale sinnvoll abgeleitet werden. „Mit unserer Arbeit haben wir gezeigt, dass es möglich ist, Signale so zu übersetzen, dass es zu einer Vielfalt an Signalen kommt, die dann auch für eine verlässliche prothetische Steuerung verwendet werden können“, sagte Aszmann.
Mit moderner Prothetik sei es aktuell aufgrund des Mangels an Steuersignalen nur möglich, Hände zu schließen und zu öffnen. „Durch diese Nerventransfers können wir eine solide Steuerung präsentieren, die die Schnittstelle zwischen den Menschen, den Biosignalen und der Maschine so fluide gestaltet, dass auch einzelne Fingerbewegungen möglich werden“, so der Experte. In ein paar Jahren werde man mit Biosignalen auch andere technische Geräte, abseits von Prothesen, so vielfältig steuern können, „wie es heute noch gar nicht absehbar ist“.
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(APA/red.)