Österreichs Diabetiker mit schlechten Chancen

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Autor: Scho

In Österreich leben rund 800.000 Menschen mit Diabetes. Bei wesentlichen und gefährlichen Langzeitkomplikationen dürften sie schlecht abschneiden. Im Vergleich zu Ungarn, den Niederlanden und Schottland haben sie ein höheres Risiko für fortschreitende chronische Nierenschäden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das hat eine Studie von Innsbrucker Wissenschaftern ergeben.

Die wissenschaftliche Untersuchung von Stefanie Thönie von der Universitätsklinik für Interne Medizin IV der in Innsbruck (Nephrology und Bluthochdruck) und ihren Co-Autoren ist vor wenigen Tagen in „Kidney Blood Pressure Research“ erschienen. Herangezogen wurden die Dateien von 3.131 Patienten mit Typ-2-Diabetes (20 Prozent aus Österreich, 39 Prozent aus Ungarn, 27 Prozent aus den Niederlanden und 14 Prozent aus Schottland). Die Studie gibt somit Einblick in die medizinische Versorgungsqualität der Zuckerkranken.

Das mittlere Alter der Probanden lag bei 65 Jahren, die Patienten waren zu Beginn zumeist schon rund acht Jahre zuckerkrank gewesen. Die Beobachtungszeit betrug je nach Land/Region zwischen vier und fünf Jahren. Die Wissenschafter konzentrierten sich besonders auf die Häufigkeit des Auftretens bzw. einer deutlichen Verschlechterung einer chronischen Nierenerkrankung und von Herz-Kreislauf-Leiden. Beides sind die gefährlichsten und häufigsten Langzeitkomplikationen von Diabetes. Chronische und fortschreitende Nierenschäden können mit Dialysepflichtigkeit enden, akute Herzerkrankungen stellen auch ein hohes Mortalitätsrisiko dar.

Diabetische Nierenerkrankung ist Hauptgrund für Nierenversagen

„40 Prozent der Patienten mit Typ-2-Zuckerkrankheit entwickeln eine diabetische Nephropathie (Nierenkrankheit; Anm.) als negative mikrovaskuläre Komplikation, die üblicherweise zehn bis 20 Jahre nach Erkrankungsbeginn erkennbar wird und oft bereits zum Zeitpunkt der Diagnose des Diabetes besteht. In den vergangenen 30 Jahren ist die diabetische Nierenerkrankung der Hauptgrund für Nierenversagen und notwendige Nierenersatztherapie geworden (…)“, schrieben die Wissenschafter. Das führe auch zu einem erhöhten Sterberisiko infolge von akuten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Als Bewertungskriterien verwendeten die Experten daher Messgrößen für eine deutliche Verschlechterung der Nierenfunktion (z.B. Abnahme der Filtrationsrate um zumindest 40 Prozent, Erhöhung der Proteinausscheidung), Nierenversagen und Todesfälle sowie Herz-Kreislauf-Mortalität und die Häufigkeit von nicht-tödlichen Herzinfarkten und Schlaganfällen – jeweils in Kombination.

Nach einer mittleren Beobachtungszeit zeigte sich bei den Nierenkomplikationen und den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein schlechtes Abschneiden Österreichs: Ingesamt lag die Häufigkeit des Auftretens der Nierenkomplikationen bei einem Faktor 21,1 pro 1.000 Patientenjahre. Deutlich darüber lagen Österreich (23,3 pro 1.000 Patientenjahre und Ungarn/26,7). Wesentlich besser schnitten die Niederlande (15,5 solcher Ereignisse pro 1.000 Patientenjahre) und Schottland (15,1) ab.
Bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. Komplikationen betrug die Häufigkeit insgesamt 15,5 je 1.000 Patientenjahre. Am höchsten lagen hier Schottland (24,3) und Österreich (19,6). Die Niederlande (9,3) und Ungarn (8,3) waren hier wesentlich besser.

Bei der Gesamtsterblichkeit (13 Todesfälle pro 1.000 Patientenjahre für alle verglichenen Länder/Regionen) schnitten die Niederlande am besten ab (5,8 Todesfälle pro 1.000 Patientenjahre). An der Spitze standen Schottland (19,2), Ungarn (12,1) und Österreich (11,5).

Kein gutes Bild für Österreich

Die Ergebnisse zeichnen jedenfalls kein sehr gutes Bild für Österreich: Während der bei den Diabetikern durchschnittlich festgestellte systolische Blutdruck bei Aufnahme in die Studie für alle Gruppen 135 mmHg betrug, lag er in Österreich bei 140 mmHg, also im Durchschnitt am empfohlenen Limit (z.B. Ungarn als niedrigster Durchschnittswert: 130 mmHg). Beim „bösen“ LDL-Cholesterin hatten die österreichischen Zuckerkranken mit 114 Millgramm pro Deziliter Blut (Gesamtdurchschnitt: 174 Milligramm pro Deziliter) zu Beginn ebenfalls den höchsten Wert unter allen Vergleichsgruppen (Schottland z.B.: 85,8 Milligramm/Deziliter als niedrigster Wert). Mit im Durchschnitt sieben Jahren Diabetesdauer zu Beginn der Studie (Durchschnitt insgesamt acht Jahre; Ungarn zwölf Jahre, Niederlande und Schottland jeweils sechs Jahre) hätten sich die österreichischen Patienten mit ihrem chronischen und fortschreitenden Leiden aber eher in einer positiveren Situation befinden müssen.

„In Österreich hatten die Teilnehmer trotz einer signifikant kürzeren Diabetes-Dauer häufiger (als in Ungarn zum Vergleich; Anm.) eine diabetische Nierenerkrankung (37 Prozent versus 33,6 Prozent). Die systolischen Blutdruckwerte waren in Österreich höher als in jedem anderen Land“, schrieben die Wissenschafter. Die Blutdruckwerte stellten sich in der wissenschaftlichen Untersuchung als wichtigster Risikofaktor für Nierenschäden heraus. Auf der anderen Seite: Mit einem Anteil von 4,3 Prozent von Patienten, die bereits bei Aufnahme in die wissenschaftliche Untersuchung an einer chronischen Herzschwäche litten, lag Österreich ebenfalls an der Spitze (Gesamtdurchschnitt: 2,4 Prozent).

Die Auswertung deutet auf eine im Durchschnitt keinesfalls optimale Betreuung der österreichischen Diabetiker hin: Die Patienten bekamen im Vergleich zu den anderen Ländern zum Beispiel am seltensten niedrig dosierte Acetylsalicylsäure zur Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall sowie am seltensten Cholesterinsenker. 80 Prozent der ungarischen Zuckerkranken erhielten von ihren Ärzten Blutdruckmedikamente, die auch die Nieren schützen und Herzschwäche vorbeugen (Renin-Angiotensin-Inhibitoren). In Österreich waren es nur 61 Prozent der Studienteilnehmer.

Die Fachpublikation finden Sie hier.

(APA/red.)

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