Schadenersatz nach Revisions-Operation

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Monika Ploier

Ein Patient verstirbt nach einer lege-artis-Blinddarmoperation. Die Revisionsoperation war zu spät
veranlasst worden. Der OGH entscheidet auf Fehlverhalten mehrerer Klinik-Ärzte.

Der Sachverhalt ist schnell beschrieben: Ein Patient verstirbt nach einer lege artis durchgeführten laparosko­pisch durchgeführten Blinddarmoperation infolge eines massiven Blutverlustschocks. Eine Revisionsoperation ist nur verzögert durchgeführt worden. Die Angehörigen erhielten Schmerzengeld und Unterhaltskosten sowie eine Feststellung der Haftung für zukünftige Kosten.

Die Umstände des Falles (OGH 8 Ob 98/20z) bedürfen schon einer längeren Darstellung: Rund fünf Stunden nach Beendigung der Blinddarmoperation wurde um 01:40 Uhr der Assistenzarzt verständigt, da der Patient postoperativ über Übelkeit und Brechreiz klagte. Er verordnete ein Antiemetikum und die Gabe von intravenöser Flüssigkeit. Nach 20 Minuten wurde der Assistenzarzt erneut verständigt, da u. U. eine allergische Reaktion auf die zuvor verabreichte Infusion vorlag. Es wurde ein Blutgascheck sowie eine Blutbildkontrolle durchgeführt. Der Patient wurde auf die Intensivstation verlegt. Der operierende Chirurg untersuchte um 2.35 Uhr den Patienten und veranlasste eine neuerliche Blutgasanalyse. Diese ergab einen deutlich erhöhten Laktatspiegel – ein eindeutiger Hinweis auf ein Schockgeschehen. Damit war die klinische Verdachtsdiagnose eines Blutungsschocks zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger als bestätigt anzusehen. Obwohl sich der klinische Schockzustand weiter verschlechterte und freie Flüssigkeit im Bauchraum des Patienten festgestellt wurde, wollte der Operateur den Ultraschallbefund eines Internisten abwarten. Dieser stellte eine große Menge Blut im Bauchraum fest, woraufhin der Operateur (Schnittzeit 03:50) eine Revisionsoperation mittels Laparoskopie bei dem hämodynamisch instabilen Patienten durchführte.

Die Verzögerung von 60 bis 75 Minuten bei der Diagnosestellung stellt laut OGH einen groben Behandlungsfehler dar. Bei sorgfaltsgemäßem Handeln hätte der Patient den Eingriff mit ziemlicher Sicherheit überlebt.

Die Durchführung der Operation mit der falschen Operationsmethode war jedoch nicht (mehr) kausal für das Ableben des Patienten, da die Operation spätestens bis etwa 02:50 Uhr hätte begonnen werden müssen. Die Verzögerung von 60 bis 75 Minuten bei der Diagnosestellung der Nachblutung und Vorbereitung zur Revisionsoperation stellt laut OGH einen groben Behandlungsfehler dar. Bei sorgfaltsgemäßem Handeln, nämlich Operation spätestens um 02:50 Uhr, hätte der Patient den Eingriff mit ziemlicher Sicherheit unbeschadet überlebt.

Bereits die Vorinstanzen sprachen den Angehörigen Schadenersatzzahlung von € 123.101,05 (Schmerzengeld, Trauerschmerzengeld, Begräbniskosten, entgangener Unterhalt) sowie die Feststellung der Haftung für sämtliche Folgeschäden zu. Der OGH führte aus, dass im gegenständlichen Fall sogar von grober Fahrlässigkeit und Organisationsverschulden auszugehen ist, da der Assistenzarzt und der Anästhesist bereits kurz nach 02:00 Uhr einen klaren Hinweis auf ein Schockgeschehen hatten und um 02:16 Uhr aufgrund des deutlich erhöhten Laktatspiegels die klinische Verdachtsdiagnose eines Blutungsschocks, somit einer lebensbedrohlichen Situation, bestätigt war. Die vom Assistenzarzt geäußerte Differentialdiagnose einer allergischen Reaktion sowie das Ausbleiben eines Ultraschalls zu diesem Zeitpunkt führte zu Verzögerungen. Wäre bereits kurz nach 02:00 Uhr pflichtgemäß die Verdachtsdiagnose Blutungsschock abgeklärt und ein Ultraschall veranlasst worden, hätte der Operateur in der Folge nicht den Fehler begehen können, die lebensrettende Revisionsoperation durch Einholung eines Ultraschalls durch einen Internisten weiter zu verzögern. Der OGH führte aus, dass eine Vielzahl von Nachlässigkeiten und Unvorsichtigkeiten, von denen jede für sich die Gefahr eines Schadens erhöht, zur Haftung wegen grober Fahrlässigkeit führen kann.    //

Quelle: OGH 8 Ob 98/20z

Dr. Monika Ploier ist Anwältin bei HLMK Rechtsanwälte und auf Medizin- und Arbeitsrecht spezialisiert.
Sie ist Verfasserin zahlreicher Publika­tionen und Lektorin für Medizin & Recht an mehreren akademischen Bildungseinrichtungen. Monika Ploier ist Obfrau des Forschungsinstituts für Recht in der Medizin FIRM.

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