Josef Penninger: „Österreich wäre heute ein fundamental anderes Land“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Der oberösterreichische Genetiker Josef Penninger erzählt von seinen Erfahrungen mit dem nordamerikanischen Forschungssystem und rätselt, wie sich Österreich entwickelt hätte, wenn man sich nach dem Krieg ernsthaft um die vertriebenen Forscher bemüht hätte.

Herr Penninger, willkommen in Wien – wenn auch nur in Teilzeit. Was hat Sie nach Europa und im Speziellen nach Wien zurückgebracht?
Josef Penninger: Funktionierende Institutionen sind solche, in denen der Direktor oder die Direktorin komplett redundant sind. Ich hatte das Gefühl, dass das Projekt IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Red.) für mich abgeschlossen war. Wir hatten einen Status quo erreicht, bei dem es nicht mehr um Aufbau, sondern um Erhalt ging. Das IMBA ist mein Baby. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich zum Geschick des Instituts nichts mehr beitragen kann. Wenn einen dieser Eindruck beschleicht, muss man den Platz freimachen.

Teilzeit-Professor. Der Genetiker Josef Penninger ist seit Juli wissenschaftlicher Direktor eines der größten deutschen Forschungsnetzwerke. Gleichzeitig übernahm er eine „25-Prozent-Professur“ an der MedUni Wien. Er will beim Aufbau des Eric Kandel Institutes entscheidend mitwirken.

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten in erster Linie als Innovationsmanager gearbeitet. Bleibt Zeit für den Forscher Penninger?
Ich definiere mich als solcher. Und ich habe meinen Partnern bei Helmholtz in Deutschland unzweifelhaft mitgeteilt, dass ich nur komme, wenn ich auch selber forschen kann. Dies wirkte zuerst wie ein Schock. Traditionell ist der Job des HZI-Direktors ein rein administrativer Posten. Nach den ersten Monaten weiß ich auch, warum. Ich bin gerade dabei, dies komplett zu ändern.

Und zwar wie?
Das HZI hat rund 1.000 Mitarbeiter an sechs Standorten. Wenn ich die Verwaltungsstrukturen nicht flexibler gestalte, bleibt keine Zeit mehr zum Forschen. Das ist aber ein unbedingtes Anliegen von mir. Bei IMBA in Wien haben wir trotz meines Direktoren-Jobs tolle Papers publiziert – aus dem Bereich der Stammzellen oder über das erste Blutgefäß-Engineer­ing. Wir haben immer in der Champions League gekickt. Mit den berühmten Namen wie Harvard oder Rockefeller Foundation konnten wir locker mithalten. Das will ich auch in Braunschweig.

Um vergleichen zu können: Wie funktioniert Forschung in Vancouver?
Bei IMBA hatten wir ein vernünftiges Grundbudget. Wir konnten Dinge tun, die andere im normalen Wissenschaftssystem nicht tun konnten. In Nordamerika ist das System etwas schwieriger. Es befindet sich unverändert in einem Stadium des Frühkapitalismus: Jeder sorgt für sich selbst. In Kanada zahlt die Universität das Gehalt und keinen Cent mehr. Sämtliche Forschungsaktivitäten müssen aus Drittmitteln bestritten werden. An den US-amerikanischen Universitäten wie Harvard ist das Biototop noch brutaler. Dort wird nicht einmal das Gehalt der Forschenden bezahlt. Für jeden Sessel, denn du anschaffst, musst du selbst die Mittel organisieren.

Klingt nach Schmalkost. Aber die US-Universitäten sind dennoch in vielen Bereichen der Forschung global führend …
Ich bin nicht sicher, ob man dies der universitären Struktur zurechnen kann. Viele meiner Bekannten in Harvard haben noch nie einen Dollar von der Universität gesehen. Ich halte dies für einen der Gründe, warum es so viele unternehmerische Spin-offs von Uni-Lehrern gibt. Es bleibt einem sonst nichts anderes übrig. Und für viele lohnt sich die Firmengründung – die sind jetzt Millionäre. Aber das System hat den Effekt, dass viele kluge Leute, die am Anfang die Welt durch Wissenschaft ändern wollen, früh in Biotech-Firmen hineingehen. Für die Grundlagenforschung sind sie verloren.

Wie sieht Ihr Vergleich zwischen europäischem und nordamerikanischem Forschungssystem aus?
Man muss ständig um Geld ansuchen. Die Leute sitzen neun Monate nur dort, schreiben Anträge und hieven sich von Projekt zu Projekt. Und dann ist man als Forschungsleiter 45 oder 50, verliert seinen nächsten Grant und muss die Forschungsgruppe zusperren, Leute hinausschmeißen. Die Karriere ist vorbei. Das ist aus meiner Sicht keine wirklich tolle Perspektive.

Ist dies der Grund, warum Sie wieder nach Europa zurückgekehrt sind?
Das Dasein im Hamsterrad hat sicher eine Rolle gespielt. Ich glaube, dass das europäische Forschungssystem mit staatlich finanzierten Universitätsinstituten fundamental besser aufgestellt ist. Wir regen uns zwar immer auf, dass es nicht reiche. Aber fast alle Universitäten in Amerika sind Businesses. Die dortige Innovation kommt immer von denselben 20 Universitäten.

Der gebürtige Gurtener/Innviertel Josef Penninger – im Bild mit Mentor und Nobelpreisträger Eric Kandel – studierte in Innsbruck Medizin, Kunstgeschichte und Spanisch. Er verbachte die neunziger Jahre als Post-Doc an den Universitäten Ontario und Toronto. Der Genetiker baute von 2002 bis 2018 das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien auf. Von 2018 bis 2023 leitete er das Life Sciences Institute an der University of British Columbia. Seit Juli 2023 ist er wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und außerdem Professor an der Medizinischen Universität Wien.

Wenn das Innovations-System in Europa stabiler ist: Warum sind US-Universitäten in vielen Bereichen den europäischen überlegen?
Weil die Zyklen von Beginn bis zur Umsetzung wesentlich kürzer sind. Wenn in einem Café am Kendall Square gleich neben dem MIT ein Tisch voller kluger Menschen eine Idee diskutiert, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Fremde vom Nebentisch produktiven Input liefern. Und von einem anderen Tisch meldet sich ein Private-Equity-Manager und zehn Minuten später ist ein neues Projekt mit zehn Millionen Dollar finanziert. Ich verkürze jetzt: Aber im Grunde funktioniert das dort so. Wir haben in Europa die gleichen guten Ideen, die gleichen klugen Leute und gute Systeme für den Projektstart. Aber wir kennen nicht die Kultur des Anpackens, wo sich Menschen zusammentun, Investoren finden und eine Firma zur Marktreife bringen. Da sind wir zu umständlich und voller Bedenken. Und deswegen ist Europa gegenüber Amerika zurückgefallen.

Mein nicht ganz ernst gemeinter Umkehrschluss: Sollten wir in Europa den Professoren auch den Gehalt streichen, um mehr unternehmerisches Denken zu stimulieren?
(lacht) Dazu muss ich sagen: Ohne Grundlagenforschung keine Spin-offs. Wir verfügen hier über eine hervorragende Ausbildung. Aber die Überführung der Ideen in Firmen oder Kliniken und deren Finanzierung durch Venture Capital funktioniert bei uns nicht. Wo sind die großen europäischen Firmen für AI? Wo sind die Social-Media-Firmen? Wo sind wirklich die großen Biotechs? Das deutsche Unternehmen Biontech hat es in Europa geschafft, weil sie sich mit einem großen Partner zusammengetan haben. In Wirklichkeit sponsert der Staat in Europa die Unternehmensanfänge, und dies recht erfolgreich. Aber dann dümpeln die Start-ups im seichten Wasser, ohne dass sich potente Investoren dafür interessieren. Es fehlt an Risikokapital und an Stringenz. Wenn in den USA etwas nicht klappt, wird zugesperrt. Die Betroffenen sind sauer, starten dann aber etwas Neues. Bei uns versucht man zehn Jahre lang etwas zu retten, wo jede Hilfe umsonst ist.

Was ist Ihre Vorstellung von Standort-Politik?
Ich würde radikal das System ändern und die Gründungs- und Forschungstöpfe für junge, innovative Köpfe und Ideen füllen. Wenn die Konzerne drohen, nach Rumänien, China und Indien zu gehen, dann sollen sie doch. In diesen Großunternehmen gibt es keine Innovation. Die wird von den smarten Start-ups mehrheitlich zugekauft. Außerdem wissen die großen Firmen mittlerweile, dass sie sich durch globales Outsourcing ein enormes Logistikrisiko in den Rucksack packen. Und bei uns wären die Konsequenzen einer Abwanderung mittlerweile überschaubar: In Österreich und Europa wird das hochqualifizierte Fachpersonal überall anders gebraucht – oder es gründet selbst. Ich habe dies mit Amgen in Kalifornien erlebt (Biotechnologie-Unternehmen, gegründet 1980, Red.). In den 90ern wurde von Amgen an der Westküste die Hälfte der jungen Wissenschaftler rausgeschmissen. Ich begegne heute diesen Leuten ständig. Viele von denen haben ihre eigenen Firmen gegründet oder arbeiten in anderen hochqualifizierten Positionen. Unterm Strich bleibt: Wir sollten uns nicht erpressen lassen. Und wir müssen uns entscheiden: Wollen wir gestandenen Firmen mehr Geld geben? Oder investieren wir in ein innovatives Biotop, wo Dinge auch wieder zugesperrt werden, wenn sie nicht funktionieren? Dann beißt man eben in den sauren Apfel. Ganz ohne Risiko geht es nicht.

Sie haben eine 25-Prozent-Professur für Personalisierte Medizin an der MedUni Wien angenommen. Was ist eine Viertel-Professur?
Rein rechnerisch sind das zehn Stunden in der Woche. Wahrscheinlich wird es sich so einspielen, dass ich einmal im Monat für eine Woche da bin. Ich habe ja meine Forschungsgruppe an der Akademie der Wissenschaften, die mit mir vom dritten Bezirk in das Eric-Kandel-Institut im 9. umziehen wird. Das sind fünf Post-Docs und Fellows, drei PhD-Studenten, zwei Masterstudenten – in Summe zehn Mitarbeiter, die hier die Dinge am Laufen halten. Das ist meine Kerntruppe.

Woran arbeitet die Wiener Forschungsgruppe?
Da passieren fantastische Sachen. Wir haben zum Beispiel entdeckt, dass sich der weibliche Darm bei der Schwangerschaft komplett ändert. Und keiner hat das gewusst. Aktuell untersuchen wir die Tränenflüssigkeit und wie man mit Tränenproteinen, die in der Tränenflüssigkeit enthalten sind, Rückschlüsse auf das Gehirn treffen kann. Da laufen etliche interessante und witzige Projekte.

Sie haben angekündigt, den Aufbau des Eric Kandel Institutes mitzugestalten. Was soll daraus werden?
Eric Kandel ist über viele Jahre hinweg mein Mentor geworden, ebenso wie Carl Djerassi, die Mutter der Babypille, wie er sich selbst ironisch bezeichnet hat. Carl – er ist ja 2015 verstorben – war ebenfalls vertriebener Wiener. Eric Kandel hat mich persönlich gebeten, wenn er als Nobelpreisträger seinen Namen für das Institut hergibt, will er, dass ich mich darum kümmere. Es gibt in Wien und Umgebung bereits viele sehr gute Forschungsinstitute wie das ISTA in Klosterneuburg. Aber im Bereich der biomedizinischen Forschung ist noch Luft nach oben. Und dort will ich das Eric Kandel Institut positionieren. Wir müssen endlich aufholen, was wir durch die Vertreibungen der Wiener Jüdinnen und Juden und durch die unterbliebenen Bemühungen um deren Rückkehr an wissenschaftlicher Substanz verloren haben.

Was ist damit gemeint?
Neben all den furchtbaren Dingen, die den Vertriebenen und ihren Verwandten unter der Nazi-Herrschaft passiert sind, hat Eric und Carl vor allem der Umgang nach dem Krieg verletzt. Carl Djerassi hatte geschätzte 30 Honorar-Professuren, war Professor in Stanford für Chemie, hatte tausende Papers publiziert und war am Ende seiner Karriere ein geschätzter Schriftsteller. Er war ein wirklich Großer. Aber er hat lange den Witz erzählt, dass er in seinem Leben praktisch in jedes Land zu einem Vortrag eingeladen worden sei. Mit drei Ausnahmen: Albanien, der Vatikan und Österreich. Eric Kandel empfand die Ablehnung in den fünfziger und sechziger Jahren genauso abstoßend. Damals fanden sich in allen Ebenen der Gesellschaft die Täter, die sich für nichts verantwortlich fühlten. Ich habe viel mit Eric über diese Dinge geredet. Er war 2000 gar nicht erfreut, als er nach Erhalt des Nobelpreises als Österreicher vereinnahmt wurde. Erst in den letzten zwanzig Jahren, ganz am Ende ihrer Biografie, haben sich die beiden unter Zureden von vielen – auch des Wiener Bürgermeisters, das muss man erwähnen – wieder mit ihrer Geburtsstadt angefreundet. Aber da waren die beiden bereits emeritiert. Da wurden riesige Chancen verpasst.

Das müssen Sie erklären …
Ich frage mich oft, welche Entwicklung Österreich und dessen akademisches Leben genommen hätten, wenn Kapazitäten wie Eric Kandel und Carl Djerassi auf der Höhe ihres Schaffens wieder nach Wien zurückgekommen wären. Ich glaube, Österreich wäre heute ein fundamental anderes Land. 

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