Gerald Brandacher: „Wir stehen vor einem Paradigmen­wechsel“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Herr Prof. Brandacher, Sie haben sich in Ihrer Forscherkarriere auf die Konservierung von Spenderorganen spezialisiert. Wie nahe sind wir der Idee der Organbank?
Gerald Brandacher: Es wird schon noch etliche Jahre dauern, bis wir Organe wie in einem Warenhaus aus den Regalen nehmen. Aber wir haben im Bereich der Konservierung von Organen massive Erfolge erzielt. Es ist uns gelungen, das Zeitfenster zwischen Organentnahme und Transplantation deutlich zu vergrößern. Das hat enorme Auswirkungen darauf, wo und wie lange Organe für Transplantationen zur Verfügung stehen. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel.

Können Sie das erklären?
Wir verlieren derzeit rund 20 Prozent der Organe, weil sie in der verfügbaren Zeit nicht zum Patienten kommen. Dabei befinden wir uns in der Situation, dass die Schere zwischen Organbedarf und Organverfügbarkeit immer weiter auseinandergeht. Wir erweitern einen Flaschenhals.

Gerald Brandacher (51) ist in Wattens aufgewachsen und hat sein Studium mit „summa cum laude“ in Innsbruck abgeschlossen. Seine Ausbildung zum Transplantationschirurgen und seine Habilitation erfolgte unter Raimund Margreiter. 2008 ging der Tiroler in die USA. Seit 2010 war Brandacher in führenden Positionen an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) tätig. Der Arzt hat dort mehr als 25 Millionen Dollar an Drittmitteln eingeworben sowie über 80 Doktorarbeiten betreut. Brandacher ist medizinischer Berater von mehreren Firmen, die neue Technologien in der Transplantationschirurgie entwickeln.

Wie weit können Sie das Zeitfenster für eine erfolgreiche Transplantation öffnen?
Aus Stunden werden Tage. Beim Herz können wir derzeit maximal vier Stunden nach der Organentnahme noch transplantieren. Bei der Leber liegt das aktuelle Zeitfenster zwischen sechs und acht Stunden. Bei der Niere stehen uns maximal 24 Stunden zur Verfügung. Sobald wird das sogenannte Supercooling-Verfahren in den Spitälern anwenden, stehen uns drei bis fünf Tage für eine Transplantation zur Verfügung. Das ist ein Quantensprung mit enormen Auswirkungen auf das gesamte Gesundheitssystem.

Was bedeutet dies für einen betroffenen Patienten?
Wir kommen durch das Verfahren der eisfreien Konservierung in ein neues Stadium der Transplantationstechnik. Eine Organverpflanzung wird von einer der akutesten Operationen zu einem elektiven Eingriff. Das neue Verfahren erlaubt zudem eine bessere Vorbereitung des Patienten: Wenn ich drei bis fünf Tage Zeit habe, die Patienten auf eine Transplantation einzustellen, können wir völlig neue Konzepte der Immuntherapie umsetzen. Organ und Empfänger werden auf den Eingriff optimal vorbereitet.

Wann wird Ihre Forschung im klinischen Alltag ankommen?
Wir sind dem schon sehr nahe. Aktuell sind wir im Stadium der präklinischen Großtierstudien. Das ist der letzte Schritt vor der humanen Anwendung. Es braucht noch etliche Arbeit für die Datenaufbereitung, die wir für eine FDA-Zulassung benötigen (Food and Drug Administration, Red.). Aber wir sprechen nur mehr von wenigen Jahren, bis unser Konservierungsverfahren in der klinischen Transplantation angewendet werden kann.

Ich habe Sie auch zum Gespräch gebeten, weil Sie von der Position des Programm-Direktors für rekonstruktive Transplanta­tion an der Johns-Hopkins-Universität an die Meduni Innsbruck gewechselt sind. Was hat Sie aus Baltimore nach Innsbruck gelockt?
Da stecken jahrelange Überlegungen dahinter. Ich hatte mit meinem Studienkollegen und beruflichen Weggefährten Stefan Schneeberger, dem heutigen Klinik-Direktor der Viszeral-, Transplantation- und Thoraxchirurgie, die Vision, dass wir irgendwann gemeinsam arbeiten wollen – er mit Schwerpunkt auf der klinischen Seite, ich auf der Forschungsseite. Jetzt haben wir es geschafft.

Werden Sie die Potenziale einer Johns Hopkins vermissen?
Es hat sicher seinen Reiz, auf jedem Stockwerk mit einem Nobelpreisträger zu sprechen. Aber im Bereich der Transplantation ist die Uni-Klinik Innsbruck auf Augenhöhe mit dem internationalen Spitzenfeld. Ich sehe den Wechsel daher mehr als eine Expansion meines Wirkungsbereiches. Da wir weiterhin sehr eng mit Johns Hopkins zusammenarbeiten werden, muss ich auf gar nichts verzichten.