Michael Heinisch: „Wir müssen Nachfragedruck erzeugen“

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Autor: Josef Ruhaltinger

Michael Heinisch, CEO der Vinzenz Gruppe, will von den Management-Kollegen in den Kliniken mehr Eigeninitiative erleben. Und er fordert für das Pflegepersonal breitere Kompetenzen.

Herr Heinisch, was unterscheidet einen Klinikverbund aus Ordensspitälern von den Krankenhausgesellschaften mit öffentlich-rechtlichen Eigentümern?
Michael Heinisch: Die österreichischen Ordensspitäler – und die Vinzenz Gruppe zählt dazu – haben sehr viel gemeinsam mit den Kliniken, die die Länder und Sozialversicherungen betreiben. Ein wichtiger Unterschied ist, dass wir private Eigentümer haben – in unserem Fall ist dies eine gemeinnützige Stiftung. Was wir für uns in Anspruch nehmen, sind schlanke Strukturen. Dezentrale Verantwortung ist bei uns in der Genetik verankert. Jedes Krankenhaus hat die Rechtsform einer GmbH mit eigenem Geschäftsführer und Aufsichtsrat. Entscheidungen werden vor Ort in den Krankenhäusern getroffen. Und wir in der Holding sind als Muttergesellschaft über den Aufsichtsrat bei strategischen Entscheidungen eingebunden. Was uns aber vor allem auszeichnet, ist der christliche Auftrag unserer Ordenskrankenhäuser.

Ins Tun kommen. Die Vinzenz Gruppe macht, was ELGA schon lange machen will und nicht darf: Die Ordens­häuser stellen ihren Patienten ein digitales eHealth-Tool zur Verfügung. CEO Michael Heinisch: „Wer immer nur auf die Politik wartet, macht es sich zu einfach.“

In einem Kongressvortrag sagten Sie – ich zitiere: „Die ständige Optimierung des Systems ist an ihre Grenzen gelangt, weil wir uns im Silodenken geübt haben.“ Was meinen Sie damit?
Trotz aller Optimierungsanstrengungen stehen wir vor Problemen, die wir in der bisher geübten Art und Weise nicht lösen können. Wir rechnen in den nächsten Jahrzehnten mit einer Verdoppelung der Achtzigjährigen, deren Bedürftigkeit wächst. Wir haben aber nicht mehr Personal. Derzeit arbeiten zweieinhalb Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung in Pflegeberufen. Wenn wir den Personalstand an den Bedarf anpassen wollen, werden wir rund fünfeinhalb Prozent der Bevölkerung in Pflegeberufe bringen müssen. Das wird ein schwieriges Unterfangen werden. Darum müssen wir die Perspektiven wechseln.

Das müssen Sie mir erklären.
Es reicht nicht mehr, die Strukturen zu optimieren. Wir müssen die Patienten und Patientinnen viel stärker in unsere Betrachtungen miteinbeziehen. Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen gesundheitskompetenter werden. Das Gebot lautet: Weg von der Strukturoptimierung, wo wir an der Decke kratzen, und hin zur Ermächtigung des Patienten. Wir müssen lernen, mehr auf unsere Gesundheit zu achten. Das braucht Investitionen.

Österreich gibt nur rund 2 Prozent des öffentlichen Gesundheitsbudgets für präventive Maßnahmen aus. Das System ist auf Reparieren ausgelegt und nicht auf Vorbeugen. Wie wollen Sie das System umkehren?
Irgendwann muss man damit anfangen. Das Problem von präventiven Maßnahmen ist, dass es keinen unmittelbaren Return gibt. Eine Präventionsstrategie zeigt erst in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren Resultate: Aber wenn wir nie säen, werden wir nie ernten. Wir können den Umbau nicht ständig vor uns herschieben.

Gesundheitsminister Rauch meint, das System brauche Veränderung, sonst fahren wir gegen die Wand. Wo sehen Sie Reformbedarf?
Wir brauchen Ruhe in der Analyse. Das Gesundheitssystem in Österreich weiß viel zu bieten. Aber wir sind an einem Punkt, bei dem wir aufpassen müssen, dass die Situation nicht kippt. Wir haben zu viel medizinischen und pflegerischen Bedarf bei zu wenig Fachkräften. Das Problem ist: Es gibt keine schnellen Lösungen.

Demografische Entwicklungen und Personalengpässe werden seit Jahr­zehnten prognostiziert. Haben wir
zu lange zugeschaut?

Wie gesagt: Änderungen im Gesundheitswesen machen sich nur sehr, sehr langsam bemerkbar. Das liefert für Entscheidungsträger wenig Anreiz und gibt den Verlierern des Wandels viele Möglichkeiten, Gegenpositionen zu beziehen. Und trotzdem werden wir Dinge anpacken müssen.

Wie verkauft man heute der Öffentlichkeit Langfriststrategien?
Es ist einfach, immer auf jemanden mit dem Finger zu zeigen und ex post zu behaupten, dass es dieser oder jener versemmelt hat. Von hinten liest sich ein Buch immer schnell. Jeder Akteur im System muss selbst aktiv werden. Auch wir in der Vinzenz Gruppe denken nach, was wir ändern können. Unser Konzept der Gesundheitsparks ist einer der Ansätze, bei dem wir die Grenzen zwischen ambulant und stationär zu Gunsten der Betreuung der Patienten aufweichen.

Die Vinzenz Gruppe baut in unmittelbarer Nähe ihrer Kliniken Partner-Netzwerke auf, in denen Krankenhaus, niedergelassene Fachärzte, Allgemeinmediziner, Therapeuten sowie ambulante Rehabilitations- und Pflegeangebote in einem Zentrum zusammenarbeiten. Sämtliche Gesundheitsdienstleister mieten sich auf eigene Rechnung ein, um von der Nähe zu den anderen Gesundheitspark-Partnerinnen und -Partner zu profitieren. Die Vinzenz Gruppe ist dabei nur Vermieter. Dies sei aber gar nicht so einfach umzusetzen gewesen, wie Sie erzählt haben. Was ist passiert?
Die Idee ist aus der Beobachtung entstanden, dass nicht jede Patientin und jeder Patient, der im Krankenhaus liegt, dies auch nötig hatte. Oft wäre die weitere Versorgung ambulant einfacher, günstiger und vor allem patientenorientierter möglich gewesen, wenn diese geeignete Strukturen vorgefunden hätten. Wir bieten mit den Gesundheitsparks Netzwerke, die Patienten und Patientinnen punktgenau helfen können: Die Bedürfnisse junger Menschen unterscheiden sich von jenen der alten Menschen. Chronisch Kranke brauchen andere Unterstützung als akut Erkrankte. Wir – und damit meine ich sämtliche Anbieter innerhalb des ambulanten wie stationären Systems – können in unseren Gesundheitsparks viele Angebote machen, bei denen am Ende die Patientin und der Patient profitiert: Integrierte Angebote der vielen Gesundheitsdienstleistungen, bessere Betreuung chronisch Kranker, Nachsorge nach Operationen. Es gibt unzählige Beispiele, wie man aktiv werden kann. Wer immer nur auf die Politik wartet, macht es sich zu einfach. Wir können mehr tun.

Wie beharrlich ist das alte Silodenken?
Es wird immer einfacher, sich darüber hinwegzusetzen. Im eigenen Haus und bei den Stakeholdern. Mit einer guten Idee und einem guten Konzept finde ich bei der Gesundheitskasse offene Türen. Ich muss nur nachweisen, dass es spürbare Vorteile für Patienten und für die Region gibt. Ich habe den Eindruck, dass in der Gesundheitskasse begrüßt wird, wenn sich jemand etwas überlegt und nicht wartet und „Macht mal“ sagt. Als wir angezeigt haben: „Wir haben eine Idee und brauchen dafür öffentliches Geld“, da hat man uns zugehört.

Dr. Michael Heinisch absolvierte das Diplomstudium sowie das Doktorat der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach einem Engagement im Management Zentrum St. Gallen übernahm Heinisch als 34-Jähriger den Vorsitz der Geschäftsführung der Vinzenz Gruppe Krankenhausbeteiligungs- und Management GmbH. Seit März ist Heinisch Vorsitzender des Universitätsrates der Medizinischen Universität Graz.

Sie mieten in Ihren Gesundheitsparks auch Ärztinnen und Ärzte ein, die an anderen Spitälern arbeiten. Dies hat in Ihrem Haus wenig Beifall gefunden. Man gäbe alten Konkurrenten zu viel Raum, hieß es. Wie gehen Sie damit um?
Wo ist das Problem? Dass ein Arzt von einem anderen Krankenhaus unmittelbar vor der Tür sitzt? Wir müssen uns aus dem Denken in Strukturen und Stammeszugehörigkeiten lösen. Aus Sicht der Patientinnen und Patienten ist es egal, woher der Arzt kommt, solange er qualifiziert ist und patientenorientiert arbeitet. Patientinnen und Patienten haben in Gesundheitsparks bessere Möglichkeiten. Das Einschwenken auf Patientensicht ist für manche Akteure im System noch ein Paradigmenwechsel, der nicht leichtfällt.

Themenwechsel zu Digitalisierung und KI. Wie sehr werden neue Technologien die Abläufe und das Angebot in Ihren Kliniken verändern?
Die letzten Jahrzehnte lag der Fokus darauf, die Prozesse zu automatisieren. Wir sind in den österreichischen Kliniken im Vergleich zu unseren deutschen Nachbarn in diesem Punkt ganz gut vorangekommen. Aber jetzt geht es nicht mehr darum, die analogen Prozesse zu digitalisieren, sondern für die Patientinnen und Patienten neue Leistungen zu entwickeln, die sie in einem analogen Raum so nicht hätten.

Das müssen Sie mir erklären.
Patienten wollen sich am Handy Termine organisieren. Und sie wollen Befunde elektronisch erhalten und am Handy speichern. Es soll Sprechstunden geben, die über Handy oder PC abgehalten werden können. Es ist der Patient, der plötzlich in die Lage versetzt wird, ort- und zeitunabhängig Gesundheitsaktivitäten zu organisieren und Leistungen abzurufen. Er muss Ordinationen deutlich seltener aufsuchen, dort im Wartezimmer sitzen, in einer Ambulanz warten. Und der Patient ist weniger gefährdet, dass er sich infiziert. Jetzt frage ich: Wenn es die Technik dazu gibt, warum machen wir dies nicht schon längst auf breiter Basis?

Ich stelle die Frage gerne: Warum gibt es das noch nicht auf breiter Basis?
Wir machen das. Ich wiederhole mich: Wir können nicht immer dasitzen und warten, dass die Politik oder was weiß ich wer anfängt, für uns etwas in die Wege zu leiten. Die Institutionen, also wir, müssen ins Tun kommen. Wir haben im September das Projekt „Hallo Gesundheit“ vorgestellt. Patienten unserer Gesundheitsparks und Kliniken können über Hallo Gesundheit ihre Befunde selbst verwalten. Sie können Befunde hochladen. Sie können Termine organisieren und sie können sich digitale Sprechstunden ausmachen. Hallo Gesundheit ist das Ergebnis einer Technologie-Partnerschaft, die dazu geführt hat, dass wir dieses Portal samt dazugehörender App den Patientinnen und Patienten kostenlos anbieten können. Und wenn es sonst noch jemand verwenden will, dann ist auch jeder andere Betreiber herzlich eingeladen.

Wenn jetzt jeder Krankenausbetreiber ein eigenes eHealth-Projekt hochzieht, haben wir das Silodenken zum Quadrat …
Wir müssen Lösungen bringen. Wir müssen Nachfragedruck erzeugen. Patienten müssen die Vorteile aus eigener Erfahrung kennenlernen. Der Druck von unten wird derart steigen, dass die Diskussionen in den Institutionen ein Ende haben. Dem Patienten ist es vollkommen egal, wer was macht. Es muss etwas geschehen.

Nicht jeder klinische Vorstand und nicht jeder Kammerfunktionär ist von digitalen Werkzeugen überzeugt. Da schwingt die Angst um den ärztlichen Stellenwert mit. Wie implementieren Sie digitale Tools in
der Vinzenz Gruppe?

Das ist kein Thema. Wir haben Hallo Gesundheit am 13. September der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 14. September bin ich mit dem ärztlichen Direktor eines unserer Krankenhäuser im Lift gefahren und er hat mich angestrahlt: „Das ist das, was wir brauchen.“ Viele der Ärztinnen/Ärzte sowie der Pflegenden sagen: „Endlich ist ein derartiges Werkzeug gekommen.“ Wenn der Patient oder die Patientin mithilfe von Hallo Gesundheit gut vorbereitet zu einem Termin kommt, weil die Befunde am Smartphone verfügbar sind, dann ist jeder behandelnde Arzt froh.

Es gibt keine Widerstände?
Es gibt immer Bedenkenträger. Die wenigsten treten öffentlich auf. Aber es ist Aufgabe eines Holdingvorstandes und eines Klinikmanagements, derartige Widerstände zu überwinden. Das gehört zur Jobbeschreibung.

Auch die Vinzenz Gruppe kämpft mit dem Pflegekräftemangel. Voriges Jahr und heuer hat das Gesundheitsministerium eine Pflegereform angestoßen. Der Handlungszwang ist groß: Es fehlen in Österreich bis 2030 rund 70.000 Pflegekräfte. Besteht überhaupt eine Chance, so viele zusätzliche Menschen für den Beruf zu gewinnen? Oder pfeifen wir im Wald?
Was wäre die Alternative? Wir werden das Problem lösen müssen. Aber auch in diesem Punkt sind die Akteure im System gefordert. Das gilt auch für uns in der Vinzenz Gruppe. Wir haben eine eigene Sparte, die heißt Langzeitpflege. Wir arbeiten dabei intensiv am Modell des betreuten Wohnens, bei dem eine Mitarbeiterin mehrere Menschen versorgen kann. Monitoring-Technologie wird bei den Lösungen eine große Rolle spielen. Ich bin permanent auf Veranstaltungen, wo erzählt wird, wie mithilfe telematischer Einrichtungen Menschen länger in ihrem Zuhause bleiben können. Dann nützen wir das doch! Und wir müssen sicherstellen, dass dieser Beruf attraktiv bleibt. Auch hier bin ich nicht der Erste, der dies fordert. Der Pflegeberuf muss als das wahrgenommen werden, was er ist, nämlich extrem erfüllend.

Schulterklopfen und Danke sagen wird nicht reichen, fürchte ich …
Die Pflegenden brauchen Gestaltungsspielräume. Sie sollen am Patienten anwenden dürfen, was sie in ihren Ausbildungen gelernt haben. Da wird man in die Regelungen der Berufsrechte eingreifen müssen.

Pflegende sollen Aufgaben übernehmen, die bislang Medizinern vorbehalten waren?
Wir werden in bestimmten Bereichen mehr Berufsrechte an die Pflegenden übertragen müssen. Daran werden wir nicht vorbeikommen.

Sie kennen die Gegenargumente: Wenn ich zusätzliche Aufgaben an eine Berufsgruppe übertrage, die schon völlig überfordert ist, werde ich das Problem nicht lösen können. Und die Ärztekammer wird ohnehin Sturm laufen …
Mehr Kompetenzen bedeuten nicht zwangsläufig mehr Arbeit. Erweiterte Aufgabenbereiche motivieren. Sie verbessern den Status und damit das Selbstverständnis unserer akademischen Pflegekräfte. Wir reden immer davon, das Image des Pflegberufes zu heben. So können wir das umsetzen.

Und was entgegnen Sie der Ärztekammer?
(lächelt) Da wird es Gespräche brauchen  … 

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