Keimfreier Zement bindet Gelenksprothesen

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Autor: Josef Ruhaltinger

Ein US-Forscherteam entwickelt eine Methode, Knochenzement lokal mit einem speziellen Antibiotikum zu versetzen. Patienten mit künstlichen Gelenken sollen so schneller genesen. Außerdem kann Keimresistenzen vorgebeugt werden.

Die Operationen von Knie- und Hüftprothesen zählen zu den erfolgreichsten Routineeingriffen im chirurgischen Bereich. Die Verbindung von Knochen und Prothese birgt allerdings ein erhöhtes Entzündungsrisiko. Dabei sind Knochenzemente eine von mehreren Möglichkeiten, der Gefahr einer Staphylokokken-Infektion zu begegnen. Diese Zweikomponentensysteme aus Pulver und PMMA-versetzter Flüssigkeit – dem Grundbestandteil von Plexiglas – verankern das künstliche Gelenk an Ort und Stelle und können, wenn sie mit Antibiotika versetzt sind, Schutz vor den gefährlichen Keimen bieten. Aber die Zunahme arzneimittelresistenter Bakterien erfordert neue Ansätze, um der Herausforderung von nosokomialen Infektionen erfolgreich zu begegnen.

Steril gebettet. US-Forscher entwickeln eine neue Art von Knochenzement, der mit einem speziellen Antibiotikum behaftet ist. Dadurch werden Entzündungen unterbunden und Keimresistenzen ver­hindert. Der Patient wird rascher gesund.

Ein Forscherteam des Brigham and Women’s Hospital in Boston/Massachusetts hat jetzt einen neuen Knochenzement vorgestellt, der ein spezielles Antibiotikum abgibt. Dadurch soll der Einsatz von künstlichen Hüft- und Kniegelenken ungefährlicher werden. Oft erkranken Patienten nach einer derartigen OP an bakteriellen Infektionen, ausgelöst durch die Wunden, die bei Einsatz von künstlichen Bauteilen entstehen. Forschungsleiterin Hae Lin Jang, Co-Direktorin des Brigham’s Center for Engineered Therapeutics, und ihr Team haben den Knochenzement aus Polymethylmethacrylat (PMMA) mit dem Antibiotikum VCD-077 versehen, das speziell gegen Infektionen an Knochen entwickelt wurde. „Wir wussten, wir müssen eine neue Generation von Antibiotika entwickeln, die darauf ausgerichtet ist, diesen aufkommenden Problemen entgegenzutreten“, wird Hae Lin Jang in einer Pressemitteilung ihrer Klinik zitiert.

Die Verwendung von Knochenzement, der gezielt Antibiotika am Wundherd abgibt, hat eindeutige Vorteile gegenüber einer systemischen Antibiotikabehandlung, die hohe Dosen erfordert und gleichzeitig die Arzneimittelresistenz fördert. Das Forscherteam von Bingham’s geht davon aus, dass mit weiteren Arbeiten die neue Technologie eine wichtige Rolle sowohl bei der Beschleunigung der Genesung von Patienten als auch bei der Eindämmung des Anstiegs der Antibiotikaresistenzen spielen kann. Die Behandlung von Knocheninfektionen soll mit der neuen Methode gezielter und erfolgreicher erfolgen.

Betonmischer. Die Biomediziner Hae Lin Jang und Shiladitya Sengupta (re.) forschen am Bostoner Brigham and Women’s Hospital. Beide Wissenschaftler sind Gründer eines Start-ups.

Neue Form eines Antibiotikums

Auf der Suche nach geeigneten Antibiotika haben Jang und ihr Forschungspartner Shiladitya Sengupta in einem präklinischen Modell nach arzneimittelempfindlichen und arzneimittelresistenten Bakterien gesucht. Abschließend verglich das Team klinisch verwendeten PMMA-Knochenzement und den neuen, mit Antibiotika beladenen PMMA-Knochenzement unter Verwendung von Staphylokokken-infizierten Schienbeinverletzungsmodellen. Dabei entdeckten die Forscher, dass das Antibiotikum VCD-077 eine doppelt so starke Wirkung wie konventionelle Antibiotika entfaltete. Anschließend untersuchten sie die Wirksamkeit von VCD-077 in Zellen und in Tiermodellen. Das spezielle Antibiotikum zeigte die gewünschte Wirkstofffreisetzung, ohne die Stabilität des PMMA-Knochenzementes zu beeinträchtigen. Vor allem zeigten sich die US-Forscher beeindruckt von der hohen Wirksamkeit von VCD-077 gegen ein breites Spektrum arzneimittelresistenter Bakterienstränge und von dessen Resilienz gegen die Entwicklung zukünftiger Resistenzen.

Tatsächlich wies der VCD-077-beladene PMMA-Knochenzement eine größere Wirksamkeit gegen Staphylokokken-Knocheninfektionen auf als alle konventionellen Antibiotika-beladenen Knochenzemente. „Derzeit hat die FDA nur Knochenzemente zugelassen, die mit Antibiotika beladen sind, die ursprünglich nicht für Knochengewebe entwickelt wurden“, so Heae Lin Jang. „Abgesehen davon, dass sie nicht knochengewebespezifisch sind, sind auch Resistenzen gegen diese Antibiotika aufgetreten“, unterstreichen die Wissenschaftler. Hier könne der neue, VCD-077-besetzte Knochenzement Abhilfe schaffen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse wurden in „Nature Biomedical Engineering“ veröffentlicht (siehe Quellen und Links unten).

Akademisches Bollwerk. Das Brigham and Women’s Hospital mit Sitz in Boston ist wichtiges Ausbildungszentrum
im Netzwerk der Harvard Medical School. Im Ranking des US News & World Report zählt die Klinik in vielen Spezialgebieten zu den führenden Spitälern weltweit.

Klinischer Nachweis muss noch erbracht werden

Bislang gelang der wissenschaftliche Nachweis nur bei vorklinischen Versuchen mit Ratten. Daher muss sich das Forscherteam vor der klinischen Anwendung mit zwei großen Herausforderungen auseinandersetzen: Sie müssen potenzielle Unterschiede zwischen dem untersuchten Rattenmodell und menschlichen Anwendungen aus dem Weg räumen und notwendige Toxizitätsstudien veranlassen. Die Forscher zeigen sich jedoch überzeugt, dass lokalen Behandlungen sowie minimalinvasiven Injektionen mit Antibiotika-versetztem Knochenzement die Zukunft gehört. Die positive Wechselwirkung zwischen Medikament, Zement und Prothese kann dazu beitragen, Behandlungen zu entwickeln, die eine verbesserte Genesung ohne die Gefahr von Arzneimittelresistenzen versprechen.

Das Forscherteam verweist dabei auch auf die Methode, mit der der Suchprozess zum Auffinden von Molekülen und zum Optimieren des Antibiotikadesigns gestartet wurde. Die KI-basierte Mustererkennung beschleunigte den Abgleich von Anforderungsprofil und Bakterieneigenschaften enorm. „Die Zukunft liegt in der Kombination von künstlicher Intelligenz und Wirkstoffforschung, um die Entwicklung neuer Antibiotika effizienter und kostengünstiger zu gestalten“, preist der Co-Autor Shiladitya Sengupta die neuen Match-Möglichkeiten der KI-Technologie. Am Ende der Pressemitteilung witzelte die Projektleiterin Jang noch: „Die Behandlung wird vielleicht komplizierter und die Bakterien werden vielleicht ausgebuffter, aber wir Biomedizintechniker werden auch immer raffinierter.“ 

Quellen und Links

Nature Biomedical Engineering: Hier weiterlesen.

Researchers Develop a Novel Antibiotic Cement to Treat Bone Infections: Mehr erfahren Sie hier.

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