Lean Management: Der "Toyota Way" im Krankenhaus

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Kepler Universitätsklinikum

Lean Management lehrt, mehr Output mit weniger Aufwand zu erreichen. Lesen Sie, was medizinische Fachabteilungen vom japanischen Automobilhersteller lernen können.

Personalmangel, veränderte Leistungsnachfrage und stetig steigende (Energie-)Kosten stellen die Managementetagen von Krankenhäusern unter massiven Handlungsdruck. Die allgemeine Ressourcenknappheit führt zu Überlastung, Unzufriedenheit und Fluktuation der Health Professionals. Es bleibt weniger Zeit für die Interaktion mit den Patient:innen, die Behandlungsqualität droht zu sinken und Risiken für Mitarbeiter:innen und Patient:innen nehmen unweigerlich zu. Wartezeiten auf Behandlungen erreichen ein alarmierendes Ausmaß – eine Nichterfüllbarkeit des Versorgungsauftrags ist die letzte Konsequenz.

Die Problemstellung gibt aber auch gleichzeitig die vermeintliche Lösung vor: Ein Neudenken der Aufbau- und Ablauforganisation ist unausweichlich. Lösungsfindungen sollen vorrangig dort generiert werden, wo deren Auswirkungen für Patient:innen und Mitarbeiter:innen am meisten spürbar sind – am Ort der Kernleistungserstellung in den medizinischen Fachabteilungen.Dieser Idee folgend suchte die Universitätsklinik für Neurochirurgie am Kepler Universitätsklinikum in Linz nach einem Management-Framework, welches auf sichere, qualitativ hochwertige und effiziente Leistungserstellung ausgerichtet ist und eine nachhaltige Funktionalität in der Klinik ohne zusätzliche Belastung der Healthprofessionals ermöglicht.

Aus weniger wird mehr. Ein japanischer Autokonzern macht vor, wie ständige Verbesserungsprozesse Abläufe optimieren. Die tägliche Anwendung des Lean Clinical Management-Systems folgt dem gleichen Pfad: Die fünf Lean-Prinzipien machen Spitalabläufe schneller und schlanker.

Bedarfsgerechte Steuerung

Ein aus der Automobilindustrie stammender und auf Ebene der Fachabteilungen potenzialträchtiger Lösungsansatz, welcher effizienten Ressourceneinsatz mit höchstem Qualitätsanspruch kombiniert, ist das Toyota Production System (TPS). Die dahinterliegende Philosophie zielt auf fehlerfreie Produkte ab, die ausschließlich bedarfsgerecht in der gewünschten Ausführung und Menge verfügbar sind. Die Leistungserstellung erfolgt dabei effizient ohne Verschwendung von Material, Arbeit, Energie oder anderen Ressourcen und wird in einer Arbeitsumgebung geleistet, welche für Mitarbeiter:innen förderlich ist. Womack & Jones (Womack und Jones 1997) bezeichnen diese Philosophie schließlich als lean, „weil sie einen Weg bietet, immer mehr mit immer weniger Aufwand – weniger Personal, weniger Ausrüstung, weniger Zeit und weniger Platz – zu erreichen und dabei den Kund:innen genau das zu bieten, was sie wollen“.

Unter diesem Leitmotiv forscht die Universitätsklinik für Neurochirurgie an der Anpassung der Lean Philosophie an die besonderen Voraussetzungen der medizinischen Fachabteilungen und arbeitet hierfür an der Entwicklung eines Lean Clinical Management-Systems.

Die Implementierung und tägliche Anwendung des Lean Clinical Management-Systems erfolgt unter Berücksichtigung der fünf Lean-Prinzipien, welche das Lean Thinking fördern und so Nachhaltigkeit gewährleisten.

Lean-Prinzipien und deren Anwendung an medizinischen Fachabteilungen

Die Lean-Prinzipien beruhen auf der Annahme, dass Organisationen, die aus Prozessen bestehen, durch die schrittweise Anwendung dieser Prinzipien einen Mehrwert schaffen, Verschwendungen reduzieren und Prozesse kontinuierlich verbessern können (Radnor et al. 2012).

Der Wert aus Patient:innensicht

Der erste Schritt einer jeden Lean Management-Umsetzung umfasst die genaue Ermittlung der Bedürfnisse und Erwartungen der Kund:innen. Im Krankenhaus sind das naturgemäß die Patient:innen, welche eine hochwertige medizinische Versorgung ohne vermeidbare Mehrfachuntersuchungen und Komplikationen bei minimalen Wartezeiten erwarten. Demnach sind alle Aktivitäten der Unternehmung Krankenhaus quer durch die Abteilungen und hierarchischen Ebenen an diesen Erwartungen und Bedürfnissen im Sinne eines großen gemeinsamen Ziels auszurichten.

Identifikation und Visualisierung der Wertströme

Im Krankenhauskontext und speziell an medizinischen Fachabteilungen spiegeln sich die Wertströme in den Patient:innenpfaden wider, welche den Weg der Patient:innen durch das Krankenhaussystem beschreiben. Patient:innenpfade umfassen sowohl wertschöpfende Aktivitäten als auch nicht wertschöpfende Unterstützungsaktivitäten und dienen als Basis für die Identifikation von Verschwendungen, sowohl in Prozessen als auch in Arbeitsabläufen.

Nicht zu verwechseln mit dem Patient:innenpfad sind klinische Behandlungspfade, die auf Basis von evidenzbasierten SOPs medizinische Entscheidungsbäume darstellen. Diese dürfen in allen Optimierungsanstrengungen nicht außer Acht gelassen werden und implizieren in Optimierungsvorhaben stets die enge Zusammenarbeit mit Fachexperten.

Sicherstellung eines kontinuierlichen „Flows“

Der Flow beschreibt in der Produktion das möglichst friktionsfreie Durchlaufen des Kernprozesses ohne Wartezeiten und Anhäufung von Lagerbeständen, dafür mit fair ausbalancierter Belastung von Mitarbeiter:innen oder Maschinen. Der Auftrag in der Medizin lautet daher, Wartezeiten zu reduzieren, Bettenkapazitäten nur nach unmittelbarem medizinischen Bedarf zu belegen und für Mitarbeiter:innen ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem die Belastung auf alle gleich aufgeteilt wird, und zwar so, dass es zu keinen Überlastungsszenarien kommt.

So sind Unterbrechungen oder Engpässe, die bei funktionsübergreifender Teamarbeit auftreten können, zu vermeiden (Helmold 2020). Aufgrund der in vielen Fächern präsenten Unvorhersehbarkeit von Ereignissen im Sinne von akut zu behandelnden Patient:innen kann dieses Bestreben mehr oder weniger gut umgesetzt werden.

Der Flow wird erreicht, indem man sich auf die Patient:innen konzentriert und diesen vom Zeitpunkt des Erstkontaktes bei der Aufnahme bis hin zum Ende ihrer Behandlung folgt, wobei funktionale und abteilungsspezifische Barrieren durchbrochen werden und so ein kontinuierlicher Fluss entsteht (Kollberg et al. 2006; Nelson-Peterson und Leppa 2007).

Errichtung eines Pull-Systems

Ein Pull-System erbringt die Leistung erst auf Anforderung der Kund:innen, während Push-Systeme „auf Vorrat“ produzieren. Letztlich herrscht in der Medizin im Prinzip ein Pull-System vor, denn durch die Erkrankung einer Patientin oder eines Patienten wird die Leistung im Krankenhaus getriggert. Sobald die Patient:innen dann aber in das System eingedrungen sind, wandelt sich dieses oft in ein Push-Modell um: Untersuchungen und Therapien werden angeordnet, die nicht unbedingt der Erreichung des primären Ziels des stationären Aufenthalts dienen (doppelte Untersuchungen, One-stop-shop-Mentalität, nicht unbedingt benötigte Zusatzdiagnostik). Durch eine Besinnung auf den Pull-Gedanken – also konkreter Bedarf erzeugt eine Leistung – verkürzt sich die Zeitspanne von der Bedarfsauslösung der medizinisch/pflegerischen Leistung durch die Patient:innen bis zur Erbringung der Leistung durch die Health Professionals (Kollberg et al. 2006), da durch das Push-System blockierte Ressourcen frei werden. Die Patient:innen bekommen daher genau das, was medizinisch notwendig ist, genau dann, wann es erforderlich ist.

Infos zur Autorin und zum Autor:

Natasa Neuhold, MA, BA
Lean Management Expert und Qualitätsmanagerin,
Kepler Universitätsklinikum Linz
Geschäftsführende Gesellschafterin
Quint Consulting GmbH
Natasa.neuhold@kepleruniklinikum.at

DDr. Harald Stefanits
Leitender Oberarzt, Univ.-Klinik für Neurochirurgie,
Kepler Universitätsklinikum Linz
Harald.Stefanits@kepleruniklinikum.at

Streben nach Perfektion

Eine fortlaufende Verbesserungskultur impliziert das Verständnis dafür, dass der Prozess der Organisationsverbesserung unendlich und das Verbesserungspotenzial permanent sind. Die Einbeziehung der Mitarbeiter:innen ist auf allen Ebenen erforderlich.

Zur Förderung einer fest verankerten Verbesserungskultur und Aufrechterhaltung des Lean Clinical Managements wird ein Daily Management System eingeführt, das die Besprechungen, Visiten und sonstigen Absprachen der einzelnen Berufsgruppen nach Möglichkeit interdisziplinär und interprofessionell zusammenführt. Ergänzt werden die medizinisch-pflegerisch-therapeutischen Inhalte um eine regelmäßige Evaluierung von Verbesserungsvorschlägen und Ideen sowie den Abgleich der zu erhebenden Prozesskennzahlen mit den von der Unternehmensleitung festgelegten Zielvorgaben – diese können quantitativer (präoperative Belagsdauer, Überbuchung Bettenkapazität) oder qualitativer (Komplikationen, Infekte, Stürze) Natur sein. Entscheidend ist, dass die Kennzahlen für diejenigen Mitarbeiter:innen, die sich regelmäßig mit diesen auseinandersetzen, auch greifbar, lenkbar und sinnvoll sind.

Sobald der Wert, die Wertschöpfungskette, Flow und ein Pull-System etabliert sind, beginnt das Streben nach Perfektion.

Richtig umgesetzt führt das Lean Clinical Management somit zu einer Kultur der Patient:innenzentrierung, der Mitarbeiter:innenbeteiligung, der kontinuierlichen Verbesserung (KAIZEN), einer lernenden Organisation, offenen Fehlerkultur und der engagierten Führung – Faktoren, die langfristig zu einer Mitarbeiterbindung in den Gesundheitseinrichtungen führt.  

Literaturverzeichnis
• Helmold, Marc (Hg.) (2020): Lean Management and Kaizen. Fundamentals from Cases and Examples in Operations and Supply Chain Management: Springer Fachmedien Wiesbaden.
• Kollberg, Beata; Dahlgaard, Jens J.; Brehmer, Per-Olaf (2006): Measuring lean initiatives in health care services: issues and findings. In: Int J Productivity & Perf Mgmt 56 (1), S. 7–24. DOI: 10.1108/17410400710717064.
• Nelson-Peterson, Dana L.; Leppa, Carol J. (2007): Creating an environment for caring using lean principles of the Virginia Mason Production System. In: The Journal of nursing administration 37 (6), S. 287–294. DOI: 10.1097/01.NNA.0000277717.34134.a9.
• Radnor, Zoe J.; Holweg, Matthias; Waring, Justin (2012): Lean in healthcare: the unfilled promise? In: Social science & medicine (1982) 74 (3), S. 364–371. DOI: 10.1016/j.socscimed.2011.02.011.
• Scholz, Andreas (2014): Die Lean-Methode im Krankenhaus. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
• Womack, J. P.; Jones, D. T. (1997): Lean Thinking – Banish Waste and Create Wealth in your Corporation. In: Journal of the Operational Research Society 48 (11), S. 1148. DOI: 10.1057/palgrave.jors.2600967.