3D-Druck in der Medizin: Mehr Druck im System

Lesedauer beträgt 8 Minuten
Autor: Josef Ruhaltinger

Der 3D-Druck ist dabei, sich einen fixen Platz in den Kliniken und Ordinationen der Industriestaaten zu erobern. Die Forschungsintensität in Österreichs Unikliniken und Unternehmen ist mittlerweile hoch. Der große Durchbruch lässt noch auf sich warten. Für Experten ist er unausweichlich.

Die Möglichkeiten des „3D-Drucks in der Medizin sind irre“. David Ortner ist dabei, das Potenzial der additiven Fertigung auf einem sehr kleinen, aber augenscheinlichen Bereich auszuloten. Sein Geschäft ist das Drucken von Menschenaugen in 3D – aktuell an die 14.000 Stück pro Jahr. Sie fühlen sich nicht nur lebensecht an. Die Modelle sind individuelle Replikas von Patienten, an denen Mediziner und Medizinerinnen spezielle Eingriffe simulieren. Ortner hat in seinem Unternehmen Eyecre.at im Tiroler Kematen drei 3D-Drucker am Laufen, an denen nicht nur produziert, sondern auch entwickelt wird. Kein Auge gleiche dem anderen, versichert er. Die Anforderungen der Universitäten, Kliniken und Kongressveranstalter – bei einem mittelgroßen Ophthalmologen-Treffen werden 50 Augen und mehr verschlissen – seien sehr, sehr unterschiedlich. Über die Zukunft seines Geschäftes macht er sich keine Sorgen: „Der 3D-Drucker wird fixer Bestandteil jeder Klinik werden. So wie es der Röntgenapparat schon lange ist.“

Im warmen Mairegen. Das Unternehmen von
David Ortner druckt 14.000 Menschenaugen im additiven Verfahren. Die 3D-Druck-Modelle seines Start-ups dienen als Anschauungs- und Lehrmodelle auf der ganzen Welt. Augenärzte üben für schwierige OPs, Vortragende simulieren neue Techniken, Studenten lernen, Spritzen zu setzen.

Forschungsgeschwindigkeit nimmt zu

Die Technologie des 3D-Drucks ist nicht neu. Seit 30 Jahren suchen Forscher und Unternehmen nach neuen Anwendungen für den additiven Druck. Kunststoff, Metall, Keramik, Silikon – jeder dieser Werkstoffe kommt in der einen oder anderen Spezifikation zum Einsatz. Ausgehend von der (Automobil)Industrie erobert die Technologie den Gesundheitsbereich mit wachsender Geschwindigkeit. Ute Schäfer ist Professorin für Experimentelle Neurotraumatologie an der Medizinischen Universität Graz und forscht seit 2015 in speziellen Projekten über die Möglichkeiten des medizinischen 3D-Drucks. Anlass war ein Fall von universitärer Nachbarschaftshilfe: „Kollegen baten uns, Lösungen für Schädelimplantate im 3D-Druck zu entwickeln.“ Der Knochenersatz ist zur Behandlung von Verletzungen nach Schädel-Hirn-Traumata notwendig, aber auch bei Tumoren oder Knochenläsionen. Das Projekt iPrint war geboren. Nach drei Jahren Forschungstätigkeit wurde ein 3D-Drucker konstruiert, mit dem erstmals aus medizinisch zugelassenem PEEK – ein sehr spezieller, thermoplastischer Kunststoff – bei 400 Grad Hitze Implantate gedruckt werden konnten. „Ziel unserer Arbeit war immer, am Point of Care aktiv zu werden“, erklärt Ute Schäfer. In anderen Worten: Ihre Arbeit zielt darauf ab, „additive Fertigungstechniken und Materialien so weit zu entwickeln, dass personalisierte, passgenaue Implantate direkt in der Klinik hergestellt und eingesetzt werden können“.

Wenn die Strategie der In-house-Fertigung erfolgreich ist, wird sich der Spitalsalltag in den großen Häusern bereichern. Schwerpunktkliniken werden in naher Zukunft mit ihren eigenen 3D-Druck-Laboren arbeiten. Denn Spezialisierungen sind laut Schäfer unausweichlich. Der Hintergrund: Der 3D-Druck von Prothesen, Gewebe oder Knochenimplantaten hat so viel gemein wie der Metallbau in der Autoindustrie mit einer Schiffswerft. Vom Umgang mit unterschiedlichen Werkstoffen und verschiedenen 3D-Druckern sowie Software ist da noch nicht einmal die Rede. Aktuell arbeitet die Grazer Wissenschaftlerin im Rahmen des laufenden Forschungsprojektes CAMed an künstlichen Rippen, kieferorthopädischen Zahnimplantaten und – soweit wirkt iPrint nach – unverändert an Schädelimplantaten (kranofazial). Eines der aktuellen CAMed-Themen sucht nach einer 3D-Scanning Methode für den klinischen Gebrauch. Knochenläsionen werden am Operationstisch berührungslos abgetastet und die Daten des hochgerechneten 3D-Modells unmittelbar an den Drucker im Nebenraum weitergegeben. In weniger als einer Stunde ist das vermessene Teil an seinem Platz. Es rettet Leben. Und es macht Leben lebenswert.

Lebensträume

Wenn jemand aus dem Team der Salzburger Uniklinik für Gesichtschirurgie noch auf der Sinnsuche seines Berufes war, dann wird er heuer am 10. Februar seine Antwort gefunden haben. Für den 55-jährige Rainer Trummer war der Alltag hart. Er leidet an einer Kraniosynostose. Das heißt, eine der Schädelnähte ist während der Kindheit zu früh verknöchert. Sein Hinterhaupt konnte mit dem Wachstum nicht mehr Schritt halten. Die ästhetische Deformation des Hinterkopfes führte im besten Fall zu scheelen Blicken, in schlimmen Fällen zu Ausfälligkeit und Kränkung. Das Chirurgenteam der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am Uniklinikum Salzburg nahm sich des Falles an. Nach monatelangen Vorbereitungen – die Kopfhaut musste auf ihren künftigen Umfang nachwachsen – wurde Rainer Trummer zum ersten Patienten mit einem Implantat aus dem 3D-Drucker, das im Haus produziert wurde. Das Uniklinikum verfügt seit 2021 über ein Labor mit eigenen 3D-Apparaten. IT-Techniker berechneten anhand von CT-Bildern ein Modell einer Hinterhaupt-Prothese, das mit einem Durchmesser von 12 und einer Dicke von bis zu 3 Zentimetern aus PEEK-Kunststoff gedruckt wurde. Der Druck dauerte zehn Stunden – unter Reinraumbedingungen. Eineinhalb Monate nach der nahezu sechsstündigen Operation meldete sich Rainer Trummer in einer Presseaussendungen der SALK zu Wort: Er fühle sich vollkommen gesund und hätte keinerlei postoperative Probleme. „Ich habe jetzt einen völlig ‚normalen‘ Kopf. Es ist für mich die Erfüllung eines lebenslangen Traums.“

Bevor das Vorhaben in die Wege geleitet werden konnte, mussten wichtige Hürden genommen werden. Das Uniklinikum war verpflichtet, seinen gedruckten Knochenersatz nach der – umstrittenen – Medizinprodukterichtline (MDR) zertifizieren zu lassen – ein schwieriger und sehr aufwendiger Weg, den alle medizinischen 3D-Druck-Erzeugnisse gehen müssen, sofern sie dem Patienten Heilung versprechen. Die Salzburger Uniklinik erhielt eine Sondergenehmigung, um im Haus Implantate zu drucken und in den menschlichen Körper implantieren zu dürfen. Damit sind die Salzburger nach eigenen Angaben Vorreiter auf dem Gebiet der 3D-Druck-Zulassungen.

Für Francesco Moscato sind die rechtlichen und qualitativen Rahmenbedingungen Voraussetzung, damit die additive Fertigung in Kliniken und im medizinisch-technischen Einsatz erfolgreich sein kann: „Die Technologie agiert juristisch und qualitativ im ungesicherten Raum.“ Moscato ist Professor der MedUni Wien und Leiter des internationalen M3dRES-Projektes, das den 3D-Druck an der Medizinischen Universität und am Allgemeinen Krankenhaus Wien implementieren will (siehe Gastkommentar Seite 15): Moscato ist überzeugt, dass 3D-Drucker bald zur Grundausstattung jeder nennenswerten Klinik zählen werden. Einen Durchbruch der Technologie könne es im Gesundheitsbereich aber nur geben, wenn die Prozesse gemäß den regulatorischen Anforderungen standardisiert sind. Die Produkte des 3D-Drucks müssten „statistisch wiederholbare und vergleichbare Ergebnisse liefern“. Das könne nur durch definierte Qualitätsregularien erreicht werden. „In der Industrie gibt es Iso-Normen. Im medizinischen 3D-Druck gibt es nichts“, ärgert sich Moscato. Er wolle nicht mehr Bürokratie. Aber mehr Unterstützung, die Rahmenbedingungen zu befolgen.

Ein Druck fürs Leben. Das Modell zeigt die Transplantation der Uniklinik Salzburg.
Der Hinterkopf wurde mithilfe eines 3D-Druck-Implantats völlig neu aufgebaut.

Organischer Druck

3D-Druck nährt die Vorstellung von Eigenschaften wie hochfest und präzise – so wie Implantate und Prothesen eben sein sollen. Es geht aber auch weich und glibberig. In Innsbruck druckt ein siebenköpfiges Forschungsteam unter der Leitung von Michael Ausserlechner und Judith Hagenbuchner menschliche Haut. An der Medizinischen Universität Innsbruck wird in einem sogenannten 3D-Bioprinting-Labor an der Herstellung menschlichen Gewebes mittels 3D-Druckverfahrens gearbeitet. Der Mikrobiologe Michael Ausserlechner ist nicht gekränkt, wenn man ihn als Nerd bezeichnet. First Mover ist ihm aber lieber. Er hatte sich vor Jahren privat einen 3D-Drucker angeschafft, um damit im eigenen Keller zu experimentieren. Spielzeuge für seine Tochter waren die ersten gedruckten Modelle.

Die Erfahrungen reichten, um die Potenziale des 3D-Drucks zu erahnen. In seiner wissenschaftlichen Arbeit geht es mittlerweile darum, mit einem High-End 3D-Biodrucker körpereigene Gewebe und Tumorgewebe dreidimensional nachzubilden und sie anschließend zu gewebeartigen Strukturen reifen zu lassen. Das hat den Vorteil, Substanzen und neue Therapien testen zu können, ohne einen Tierversuch zu starten oder wochenlang auf die Reaktion der Zellen auf ein Medikament zu warten. Wer aus körpereigenen Zellen neue Zellen und Körperteile drucken kann, muss sich nie wieder mit Immunreaktionen beschäftigen. Ausserlechner warnt aber vor galoppierenden Fantasien: „Vom gedruckten Herz sind wir noch weit weg.“ Der gedruckten Haut sind die Innsbrucker Forscher aber auf der Spur. Sie fertigen auf Basis körpereigener Zellen Hautmodelle.

Gesucht werden Möglichkeiten, den Alterungsprozess der Haut zu verzögern und die Regeneration größerer Hautoberflächen mit zellidenten Druckimplantaten zu unterstützen. Infektionen und Abstoßreaktionen, die häufigsten Herausforderungen nach großflächigen Hauttransplantationen, werden weitgehend unterbunden. Das zweite große Ziel des Innsbrucker 3D-Druck-Projektes liegt in der Krebsforschung: Tumore sind heimtückisch. Sie umgeben sich mit speziellen Zellen, die das Immunsystem des Körpers täuschen und unwirksam machen. Ausserlechner setzt sich mit Bioprints auf die Spur dieser Camouflage-Zellen – in der Absicht, ihren Tarnmodus zu lüften und dem körpereigenen Immunsystem eine Chance zu geben. Ganz nah am täglichen Einsatz sind die Innsbrucker Versuche mit ihren Studien, die Medikamentenwirkung bei Eierstockkrebs zu verfolgen – und notfalls die Therapie wirksam zu korrigieren. Innerhalb von knapp zwei Wochen kann mithilfe eines In-Vitro-Tests prognostiziert werden, ob die Patientin auf ein verabreichtes Medikament anspricht oder nicht. Bisher musste dies über den Umweg eines Tumormarkers im Blut gemessen werden. Das dauerte mitunter mehrere Monate – eine Zeitspanne, die für manche Erkrankte zu lang sein kann. Michael Ausserlechner sieht bereits einen unmittelbaren Effekt seiner Arbeit abseits der Patienten: „Wir werden Tierversuche in weiten Bereichen der medizinischen Forschung unnötig machen.“ Die Erprobung von Medikamenten und Therapien an organischen, 3D-gedruckten Zellkulturen liefert ebenbürtige Studienergebnisse wie Tierversuche.

Spröde sein ist kein Problem

Medizinischer 3D-Druck ist nicht nur große Wissenschaft. Es ist auch diffiziles Handwerk. Wenn es um Keramik geht, sind Bilder von Augarten und Meissen nicht weit. „Unser Werkstoff ist etwas spröde“, weiß Daniel Bomze, Leiter der Abteilung Medical Solutions des österreichischen 3D-Druck-Spezialisten Lithoz. Wenn ein 3D-Druck in Keramik nicht passt, bricht er. Daniel Bomze leitet den wachsenden Bereich der Medizinanwendungen. Der Werkstoff hat seine Stärken im hochfesten Bereich: Der Nachteil der geringen Flexibilität erlaubt in der additiven Fertigung – im Gegensatz zu den konventionellen Produktionsverfahren – einen höheren Grad an Komplexität. Dazu kommt, dass die von Lithoz entwickelten Werkstoffe – Keramik ist so vielfältig wie Kunststoff – biokompatibel, unglaublich fest und chemisch stabil sind.

Den Goldstandard beschreibt einen keramischen Werkstoff, der ob seiner Eigenschaften verdient hat, genannt zu werden: Lithabone HA 480. Chemisch gesehen handelt es sich um das gleiche Material, das auch im mineralischen Anteil menschlicher Knochen vorhanden ist. Für den Patienten bedeutet dies nicht nur höchste Verträglichkeit, sondern auch Resorbierbarkeit und – das Wort muss sein – Osseokonduktivität. Das bedeutet: Ein Schädelimplantat auf Basis des Lithoz-Werkstoffes wird vom heilenden Knochen penetriert. Optisch ist ein 3D-Druck-Implantat auf Grundlage von Lithabone HA 480 eine präzise gefertigte Trägerplattform mit vielen kleinen Löchern – in manchen Ausfertigungen mehr ein Netz als eine Platte. „Der Knochen des Patienten wächst im Heilungsprozess durch die Poren des Implantats“, erklärt Bomze. Blutgefäße und Zellen durchsetzen nach und nach das Gerüst, das durch neue Knochenablagerungen schließlich vollständig ersetzt wird – ein Prinzip, das auch bei komplizierten Drehbrüchen funktioniert.

Bis zum 3D-Druck ganzer Organe dauert es noch. Aber es wird intensiv gearbeitet. Martine Rothblatt, in den USA legendäre Gründerin des MedTech-Konzerns United Therapeutics, geht davon aus, dass 3D-gedruckte Lungen in weniger als fünf Jahren für Versuche am Menschen zugelassen werden. Dabei wird der Bioprint mit den Informationen der patienteneigenen Stammzellen durchgeführt. Immunsuppression soll dann bei Transplantationen der Vergangenheit angehören. In einem Aktionärsbrief verspricht sie, die Entwicklungen für gedruckte Nieren und Lebern voranzutreiben. Die Aussichten sind irre.  

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

Informierte Patientinnen und Patienten treffen gute Entscheidungen

Gesundheitskompetenz definiert sich als die Fähigkeit, gute Entscheidungen hinsichtlich der eigenen Gesundheit zu treffen. Therapieerfolge können wesentlich gesteigert werden, wenn Patienten auch selbst Verantwortung übernehmen und vermittelt bekommen, wie sie sich am besten an ihrer Behandlung beteiligen und die eigene Genesung vorantreiben können. Dazu kann auch die NÖ LGA als größter Krankenhausträger Österreichs einen Beitrag leisten.