In Österreich herrscht Denkverbot

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Autor: Josef Ruhaltinger

Florian Brandstetter ist seit 2019 mit TeleDoc in Südosteuropa aktiv. Mit seiner Plattform für telemedizinische Dienstleistungen startet er nun auch in Österreich. Welche Vorteile die Telemedizin bringt und welchen Level an medizinischer Behandlung sie bietet, erzählt er im Interview.

Herr Brandstetter, seit 2019 verkaufen Sie Ihren Telemedizin-Service in Südost-Europa. In Österreich gab es bisher nur zaghafte Annäherungen. Warum?
Florian Brandstetter: Wir sind derzeit in Rumänien, Bulgarien, Kroatien, in Albanien und in der Slowakei bereits aktiv. In Georgien, der Türkei und Österreich wollen wir im Laufe 2023 starten.

Wieso der Start mit Auswärtsspielen?
TeleDoc begann mit einer Idee meines Vaters, der in der Versicherungsbranche enge Beziehungen in die Balkanregion hat. Er beobachtete, dass dort die medizinische Versorgung vor allem im ambulanten Bereich noch ausbaufähig ist. Er sah aber auch: Jeder hat ein Smartphone, einen Computer oder ein Tablet. Die Idee kam von selber, ein telemedizinisches Angebot für Firmenkunden und Versicherung zu bringen. Und ich muss sagen: Durch Corona hat sich das Projekt immer weiter entwickelt. Derzeit verfügen wir über einen Pool von 300 Medizinern und Medizinerinnen, von denen circa 60 täglich mit uns arbeiten.

TeleDoc ist ein Corona-Profiteur?
In gewisser Weise. Die Akzeptanz gegenüber Video-Konsultationen ist eindeutig gestiegen. Ebenso wie das Wissen um telemedizinische Anwendungen. Heutzutage sind die Mediziner und Patienten in Österreich viel offener. Wir sind überzeugt, dass sich bei einem Start in Österreich die Situation günstig darstellen wird.

TeleDoc möchte ein Ecosystem werden. Unsere Services fassen in Zukunft alles zusammen, was im Bereich der Digital Health-Systeme verfügbar ist. Pulsuhren, Wearables, digitale EEG-Transmitter – wir wollen sämtliche digital verfügbaren Gesundheitsdaten verarbeiten und dem Tele-Arzt zur Verfügung stellen können.

Sie werden in Österreich beim B2B-Konzept bleiben?
Das ist unser Plan. Wir entwickeln das Produkt bereits mit ein paar großen Partnern. Der Arzt wird binnen einer Stunde nach dem Erstkontakt online zu einem Arztgespräch zur Verfügung stehen.

Mit wem sprechen Sie?
Wir stehen in Gesprächen mit dem ÖAMTC und mit „so. me homes“, einem Serviced-Living-Anbieter der Soravia-Gruppe. Wir hoffen natürlich, noch ein paar weitere Versicherungen an Bord zu bekommen. Adressat ist natürlich auch die öffentliche Hand. Die Kontakte zur Sozialversicherung sind derzeit aber lose. Dabei bin ich überzeugt, dass private Anbieter im telemedizinischen Bereich viel für das Kassensystem leisten können. In Deutschland funktioniert dies ganz gut. In Österreich herrscht da noch Denkverbot.

Was könnte TeleDoc für die Sozialversicherung anbieten?
Wir sind im Grund eine Plattform, die Ärzte und Patienten zusammenbringt. Wir stellen sicher, dass es eine sichere und stabile Videoverbindung gibt, und übernehmen das Ärztemanagement. Das sind Leistungen, die auch jeder öffentliche Gesundheitsanbieter brauchen kann.

Was verstehen Sie unter Ärztemanagement?
Wir verhandeln mit dem Arzt oder der Ärztin und stellen sicher, dass medizinisches Fachpersonal in der vereinbarten Reaktionszeit abhebt. Wir können zwar nicht garantieren, dass der Lieblingsarzt verfügbar ist, aber wir versprechen, dass immer ein Arzt zur Verfügung steht.

Wäre ein userneutraler Backbone wie ELGA ein technologisch sinnvoller Kooperationspartner?
Natürlich wäre eine derartige Anbindung hilfreich. Aber es gibt zu ELGA das bekannte Bild, dass hier eine sehr leistungsfähige Datenautobahn gebaut wurde, die keine Auffahrten hat. Dabei wäre ELGA der Schlüssel zum Ausbau der digitalen Gesundheitsdienste in Österreich. Es gibt sehr einheitliche Berechnungen, dass ein funktionierendes telemedizinisches System in Österreich rund 1,5 Milliarden Euro bis 2025 einsparen könnte. Die stärkere Einbindung digitaler Gesundheitsanwendungen – vom Befundaustausch bis zur Gesundheitsapp – würde im heimischen System enorm viel Geld und menschliche Ressourcen einsparen. Das ist Fakt.

Welchen Level an medizinischer Behandlung kann Telemedizin bieten?
Das kann ich als Betreiber nicht vorgeben. Jeder Arzt, der mit uns zusammenarbeitet, ist unabhängig und nicht weisungsgebunden. Der Arzt muss selber entscheiden, ob und wie er den Patienten behandelt. Wir stellen die Infrastruktur und sichern die administrative Abwicklung, auch die Honorare. Der Mediziner ist aber so unabhängig wie in seiner eigenen Praxis. Aber unsere internen Statistiken sagen, dass wir über 90 % Erfolgsquote bei den Behandlungen haben. Das hat natürlich damit zu tun, dass zu unseren Ärzten nur eine bestimmte Klientel mit bestimmten Problemen kommt. Niemand ruft uns wegen eines offenen Bruches an.

Kann Telemedizin nach Ihren Erfahrungen Versorgungslücken stopfen?
Unsere internen Statistiken decken sich mit den Ergebnissen von aktuellen Studien: 60 Prozent jener Patienten, die im Wartezimmer einer österreichischen Hausarztpraxis sitzen, können auch per Telemedizin behandelt werden. Das bedeutet, dass theoretisch nur mehr 40 Prozent der Patienten ihren Allgemeinmediziner persönlich aufsuchen müssten. Das würde eine extreme Entlastung des ambulanten Systems mit sich bringen. Viele Patienten suchen über Video-Call nur den Rat des Arztes, der sagt, pass auf, mach das und das. Oder geh zur Apotheke. Oder fahre in die Klinik oder nächste Ordination. Wenn das nächste Spital eine Stunde entfernt ist, tut es gut zu wissen, dass man sich nicht wegen einer Lappalie ins Auto setzt.

Gibt es für Sie eine Vision der Telemedizin?
TeleDoc möchte ein Ecosystem werden. Unsere Services fassen in Zukunft alles zusammen, was im Bereich der Digital Health-Systeme verfügbar ist. Pulsuhren, Wearables, digitale EEG-Transmitter – wir wollen sämtliche digital verfügbaren Gesundheitsdaten verarbeiten und dem Tele-Arzt zur Verfügung stellen können. Monitoring – die Überwachung von Gesundheitsdaten – ist ebenfalls ein Thema, das für uns sehr spannend ist. Damit würde der Wirkungskreis enorm wachsen. Wir schauen uns schon nach Kooperationen mit anderen Start-ups um.

Der Bereich der Telemedizin ist bereits von vielen Unternehmen besetzt, viele davon sind Start-ups. Wer bleibt über?
Derjenige, der den Ärzten und Ärztinnen die besten Kooperationen anbietet. Die Mediziner sind das entscheidende Element in allen telemedizinischen Business-Cases.

Florian Brandstetter, Jahrgang 1993, hat an der Warwick Business School Finance und Economy studiert. Entgegen seiner Ausbildung startet er 2020 gemeinsam mit seinem Vater Christian TeleDoc. Investiert ist zudem die VIVECA Beteiligungen GmbH, eine Beteiligung der Vienna Insurance Group AG und die Blue Rock Capital GmbH. Das Unternehmen hat seinen Sitz im 10. Wiener Gemeindebezirk.

Lesen Sie hier unsere Titelgeschichte zum Thema Telemedizin.

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