Darm-Mikrobiom: Millionen für Mikroben

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Autor: Martin Hehemann

FWF und Forschungsinstitute investieren die Summe von 135 Millionen Euro in fünf Projekte der Grundlagenforschung. So viel Geld gab es noch nie für ein einzelnes Programm der Elementarforschung. Eines der Vorhaben: Die Wissenschaftler erforschen das Darm-Mikrobiom, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu erhöhen.

Sie sind winzig klein, sehr wichtig und ausgesprochen gesellig. Geschätzte 30 Billionen dieser Kleinstlebewesen – auch Mikroorganismen oder Mikroben genannt – leben im menschlichen Körper. Sie tummeln sich auf unserer Haut, auf unseren Schleimhäuten und in unserem Darm. Zu ihnen zählen vor allem Bakterien, aber auch Archaeen, Pilze und Viren. Die Gesamtheit aller Mikroben in einem Lebensraum nennt man Mikrobiom. Was wir wissen: Unser Körper braucht diese Kleinstlebewesen, um gesund zu bleiben. Was wir nicht wissen: Wie genau das funktioniert, und was wir tun können, um die Mikroben bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Auf diese und weitere Fragen wollen 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Antworten finden. Die Damen und Herren gehören einem hochdotierten heimischen Forschungsprojekt namens „Microbiomes Drive Planetary Health“ (Kurzform: „mikroPLANET“) an. Das Projekt bildet einen von insgesamt fünf sogenannten Exzellenzclustern, die der österreichische Wissenschaftsfonds FWF unterstützt. Für diese Exzellenz-Initiative, die den Namen „excellent=austria“ trägt, macht der FWF in den kommenden fünf Jahren 81 Millionen Euro locker. Zusammen mit den Eigenbeiträgen der beteiligten Forschungsinstitute stehen den Forschern insgesamt 135 Millionen Euro zur Verfügung.

Bauchgefühl. Mehr Wissen über Darm-Mikroben soll eine bessere Wirkung von Arzneien ermöglichen. Der Cluster „microPlanet“ soll in den nächsten fünf Jahren mit 35 Millionen Euro an Forschungsgeldern ausgestattet werden.

Meilenstein für die Spitzenforschung

Das ist der höchste Betrag, der in Österreich jemals in ein Programm der Grundlagenforschung investiert worden ist – und ein „Meilenstein für unsere Spitzenforschung“, so der Präsident des FWF, Michael Gattringer. Bei der Präsentation der Initiative im vergangenen März zeigte sich auch Wissenschaftsminister Martin Polaschek sehr angetan von der Initiative: „Nicht zuletzt der Nobelpreis an Anton Zeilinger hat uns vor Augen geführt, welche Exzellenz die österreichische Spitzenforschung auszeichnet“, meinte Polaschek. „Es ist mein Ziel, dieses Potenzial auszuschöpfen und die Forschung in diesem Land bestmöglich zu fördern.“

In den fünf Exzellenz-Clustern suchen die beteiligten Forscher nach Antworten auf große gesellschaftliche Fragen. Es geht um Quantenforschung, Materialien für die Energiewende, den Umgang mit der zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft, einen neuen Blick auf die Geschichte Eurasiens und die Mikrobiomforschung.

Viel Geld und Forscher

Gattringer – selbst Teilchenphysiker – leitet seit zwei Jahren den Wissenschaftsfonds. In Bezug auf das Exzellenz-Programm ernte er nun die Früchte der Arbeit seiner Vorgänger. „Von der ersten Idee bis zur Umsetzung hat es 15 Jahre gedauert“, so der FWF-Präsident. „In Deutschland und der Schweiz ist man hier schon weiter.“ Neben dem deutlich höheren Fördervolumen – bis zum Fünffachen des bislang üblichen – unterscheide sich das Programm in einem Punkt wesentlich von bisherigen Förderinitiativen: „In den einzelnen Clustern sind praktisch alle Key Player zum jeweiligen Forschungsthema vertreten“, so Gattringer. „Ich bin daher fest davon überzeugt, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren signifikante Fortschritte sehen werden.“

Damit spricht der FWF-Präsident die zwei Etappen des Exzellenz-Programms an: Der erste Abschnitt wird nach fünf Jahren mit einer Zwischenevaluierung abgeschlossen. Fällt diese positiv aus, kann das jeweilige Projekt fortgeführt werden. Für die zweiten fünf Jahre wird das Fördervolumen laut Gattringer „sehr wahrscheinlich sogar über 135 Millionen Euro liegen, da wir die Inflation berücksichtigen müssen“.

Der nächste Meilenstein. Für den Präsidenten des Österreichischen Wissenschaftsfonds, Michael Gattringer, bringt die satt dotierte Excellenz-Initiative einen Schub für die Grundlagenforschung. Er erwartet „in den nächsten fünf bis zehn Jahren signifikante Fortschritte“.

Der Fokus des FWF liegt zwar auf der Grundlagenforschung. Gattringer erhofft sich aber, „dass wir in dem ein oder anderen Cluster auch vorzeigbare Ergebnisse für die Anwendung erzielen werden“. Diese Erwartung teilt Michael Wagner, „Director of Research“ des Clusters mikroPLANET. „In den ersten fünf Jahren wollen wir die Grundprinzipien verstehen lernen: Wie interagieren die wichtigsten Mikroben miteinander, und wie reagieren sie auf Störungen von außen?“ In den zweiten fünf Jahren wollen die Forscher dann konkrete Maßnahmen der gezielten Intervention entwickeln. „Eine derartige Intervention könnten zum Beispiel darin bestehen, dass man dem Mikrobiom ganz bestimmte Bakterien hinzufügt, um gezielt seine Eigenschaften zu verändern“, erläutert Wagner.

Die Wissenschaftler von mikroPLANET befassen sich nicht nur mit medizinischen Fragen. Denn Mikrobiome existieren natürlich auch in der Umwelt. So enthält ein einziges Gramm Erde bis zu 100.000 verschiedene Bakterienarten. Bislang ist die Forschung am Mikrobiom in zwei größtenteils voneinander isolierten Silos getrennt: auf der einen Seite die Forscher, die sich mit den Umweltaspekten befassen, auf der anderen jene, die die Medizin im Fokus haben. In Fachkreisen wird hier von grüner und roter Forschung gesprochen. Das strikte Lagerdenken hat gravierende Folge: „Bislang kann es bis zu zehn Jahre dauern, bis eine Methode, die im grünen Bereich entwickelt wurde, vom roten übernommen wird – und umgekehrt“,
meint Wagner.

Österreichische Schule der Mikrobiom-Forschung

Das soll sich nun ändern: In mikroPLANET sind Forscherinnen und Forscher aus beiden Lagern beteiligt – und arbeiten in gemischten Teams an den insgesamt 19 Teilprojekten. „Mit dieser engen Kooperation können wir enorme Synergien realisieren“, ist Wagner überzeugt. „Damit begründen wir die österreichische Schule der Mikrobiom-Forschung“, meint der Wissenschaftler, der im Hauptberuf als stellvertretender Direktor des „Centre for Microbiology and Environmental Systems Science“ der Universität Wien tätig ist.

Mit seinen gemischten Teams bearbeitet mikroPLANET zentrale Fragen der Mikrobiomforschung. Dazu zählt die Erforschung des Permafrosts. Von Permafrost sprechen Geologen, wenn sich ein Boden dauerhaft im tiefgekühlten Zustand befindet. Derzeit gilt das noch für ein Viertel der Fläche der nördlichen Erdhalbkugel. Durch die Klimaerwärmung taut der Permafrost nun langsam und unaufhaltsam auf – mit drastischen Konsequenzen für das Klima und die Erde. Mit dem Auftauen werden die Mikroorganismen aktiv und verwandeln im Boden gespeicherte Kohlenstoffverbindungen in Methan und Kohlendioxid. Das verstärkt den Treibhauseffekt. Eine aktuelle Studie, so Wagner, „zeigt, dass aufgrund einer erst kürzlich entdeckten Wechselwirkung mit Pflanzenwurzeln die Mikroorganismen beim Auftauen um 40 Prozent mehr Treibhausgase produzieren, als man bislang angenommen hat“.

Exzellenzcluster „Microbiomes Drive Planetary Health“
Vorstand und angeschlossene Forschungseinrichtungen:

Michael Wagner (Forschungsdirektor, Universität Wien)
Andreas Bergthaler (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
Christina Kaiser (Universität Wien)
Bernhard Lendl (TU Wien)
Christine Moissl-Eichinger (Medizinische Universität Graz)
Alexander Moschen (Universität Linz)
Leonid Sazanov (Institute of Science and Technology Austria)
Angela Sessitsch (Österreichische Technische Hochschule) (v.l.n.r.)

Mikroben und Klimaerwärmung

Die mikroPLANET-Forscher untersuchen nun, wie die Mikroorganismen bei Auftauen aus dem Dauerfrost reagieren, wie sie interagieren und welche Prozesse zum Entstehen der Treibhausgase führen. Dazu simulieren sie den Auftauprozess vor Ort. Das Ziel ist, die Produktion von Treibhausgasen und die damit verbundenen Effekte auf das Klima genauer vorhersagen zu können.

Wenn ihnen das gelänge, wäre das ein gewaltiger Fortschritt in der weltweiten Mikrobiom-Forschung. Ähnlich ambitionierte Ziele hat sich das mikroPLANET-Team auch in einem anderen Projekt gesetzt – der Erforschung des menschlichen Darm-Mikro­bioms. „Das Darm-Mikrobiom spielt eine kaum zu überschätzende Rolle für unsere Gesundheit“, meint Wagner. „Wir wissen, dass es bei jedem Menschen anders ist und anders reagiert. Aber wir wissen noch nicht, warum das so ist und wie wir es gezielt positiv beeinflussen können.“

Die moderne Medizin sieht sich mit einem gravierenden Dilemma konfrontiert: Die Menschheit nimmt so viele Medikamente zu sich wie nie zuvor. Zugleich sind die Arzneien aber in bis zu 40 Prozent aller Fälle wirkungslos. Ein und dasselbe Medikament wirkt bei einem Patienten und bei dem anderen nicht – ohne, dass sich die Ärzte erklären können, warum das so ist. Mikrobiologe Wagner und seine Kollegen haben das Darm-Mikrobiom im Verdacht und nehmen es nun genauer unter die Lupe: „Viele Medikamente werden von den Bakterien in unserem Darm umgebaut. Das führt dazu, dass sie oftmals weniger gut oder gar nicht wirken oder es zu Nebenwirkungen kommt“, erläutert Wagner. Bezeichnenderweise handele es sich bei den häufigsten Nebenwirkungen um Bauchschmerzen oder Durchfall.

Die Kuh im Amazonas

Da Forschung und damit auch die Ärztinnen und Ärzte noch zu wenig wissen, was im Darm-Mikrobiom genau vor sich geht, bringt auch die Einnahme von Probiotika – das sind gute Bakterien, die unserem Körper helfen sollen – häufig nur wenig. „Bei manchen Menschen können sich die Probiotika zumindest für eine bestimmte Zeit im Darm etablieren, bei vielen anderen jedoch nicht“, meint Wagner. „Da können sie genauso gut eine Kuh im Amazonas aussetzen und hoffen, dass sie dort lange überlebt.“

In zehn Jahren soll sich das geändert haben. Bis dahin wollen die Forscher von mikroPLANET so viel über das Darm-Mikrobiom erforscht haben, dass die Medizin abschätzen kann, ob ein Medikament bei einem Patienten oder einer Patientin wirkt und welche Probiotika er oder sie einnehmen muss, um Nebenwirkungen zu minimieren. „Unsere Vision ist, dass in Zukunft der Patient im Krankenhaus eine Stuhlprobe zur Mikrobiomanalyse abgibt und der behandelnde Arzt dann besser entscheiden kann, welche Medikamente für diese Patienten am besten geeignet sind“, meint Wagner. „Idealerweise hat er auch noch ein passendes Probiotikum zur Hand, um Nebenwirkungen zu verhindern.“ 

Antworten auf große Fragen

Die fünf Cluster von „excellent=austria“:
– „Quantum Science Austria“ – Die Rätsel der Quanten­-welt entschlüsseln. Fördervolumen: 35 Millionen Euro.
– „Knowledge in Crisis“ – Die Krise des Wissens verstehen und überwinden. Fördervolumen: 14,9 Millionen Euro.
– „Materials for Energy Conversion and Storage“ – Neue Materialien für eine emissionsfreie Zukunft entdecken. Fördervolumen: 34,5 Millionen Euro.
– „Microbiomes Drive Planetary Health“ – Die Bedeutung von Mikrobiomen für die planetare Gesundheit verstehen. Fördervolumen: 35 Millionen Euro.
– „Eurasian Transformations“ – Das kulturelle Erbe Eurasiens erforschen. Fördervolumen: rd. 15,5 Millionen Euro.

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