Tumor-Erkrankung von Kindern entsteht schon im Mutterleib

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Autor: Scho

Neuroblastome, potenziell gefährliche Tumoren bei Kleinkindern und Säuglingen, entstehen unabhängig vom späteren Verlauf bereits im ersten Schwangerschaftsdrittel. Schon zu diesem Zeitpunkt entscheidet sich, ob sie sich später spontan zurückbilden oder aggressiv wachsen. Das haben Wissenschafter des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ/Heidelberg) jetzt herausgefunden.

Neuroblastome gehören zu den häufigsten Tumoren bei Kleinkindern und Säuglingen. Sie treten im Bereich der Nebennieren oder entlang der Wirbelsäule im Hals, Brustkorb oder Bauchbereich auf. Eine Besonderheit von Neuroblastomen ist ihr extrem unterschiedlicher Krankheitsverlauf: In einigen Fällen bildet sich der Tumor ohne jegliche Therapie komplett zurück. Bei etwa der Hälfte der Patienten kann jedoch auch eine intensive Therapie ein aggressives Wachstum nicht verhindern. Neuroblastome machen etwa zehn Prozent der kindlichen Krebsfälle aus, neunzig Prozent der erkrankten Kinder sind jünger als sechs Jahre. Die Standardtherapie erfolgt bisher per Operation, Hochdosis-Chemotherapie bzw. Strahlentherapie. Hinzu kamen in jüngerer Vergangenheit auch Medikamente der sogenannten zielgerichteten Krebstherapie.

Bisher gab es kein Verfahren, um Hochrisikopatienten bereits bei der Erstdiagnose zuverlässig von Kindern mit einem zu erwartenden günstigen Krankheitsverlauf zu unterscheiden, wie das DKFZ am Dienstag in einer Aussendung feststellte. „Bisher ging man davon aus, dass es sich dabei um ganz unterschiedliche Neuroblastom-Erkrankungen handelte“, sagte DKFZ-Forscher Thomas Höfer. Jetzt zeigte sich aber, dass sowohl Neuroblastome von Hochrisikopatienten, als auch jene mit einem günstigen Krankheitsverlauf einen gemeinsamen zellulären Ursprung haben. Bereits in der Embryonalentwicklung während des ersten Drittels der Schwangerschaft beginnt dabei die Zellteilung aus dem Ruder zu laufen und schon zu diesem Zeitpunkt werden die Weichen für einen günstigen oder aggressiven Verlauf bei Kindern gestellt.

Die Beweise für diese Erkenntnis haben die Wissenschafter vor kurzem in „Nature Medicine“ publiziert. Dazu entschlüsselten die Forscher das Tumorgenom von hundert Neuroblastom-erkrankten Kindern in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung. Anschließend rekonstruierten sie anhand bestimmter Erbgutveränderungen die Entstehungsgeschichte der Tumoren. „Man geht davon aus, dass sich Erbgutveränderungen in unserem Genom zufällig und über die Zeit hinweg mit konstanter Geschwindigkeit wie Sand in einer Sanduhr anhäufen“, erklärte die Erstautorin der Studie, Verena Körber. „Das wird auch als molekulare Uhr bezeichnet und ist messbar. Mit Hilfe eines speziell dafür entwickelten mathematischen Modells konnten wir daraus einen Stammbaum der Neuroblastom-Entstehung rekonstruieren.“

Junge Hochrisikopatienten könnten leichter identifiziert werden

Dieser Stammbaum zeigte, zu welchem Zeitpunkt die Krebszellen beim Neuroblastom ganz unterschiedliche Entwicklungswege einschlagen und welche genetischen Ereignisse dafür entscheidend sind. Indem die Wissenschafter die Ergebnisse mit dem klinischen Verlauf korrelierten, ließen sich die Neuroblastome in zwei Kategorien einteilen: Erstens, solche, in denen genetische Veränderungen bereits früh zum Tumorwachstum führen. „Paradoxerweise sind das die Tumoren mit einem günstigen Verlauf, auch wenn sie zunächst schneller wachsen. Aber es finden keine drastischen genetischen Ereignisse mehr statt, die den Krebszellen das Rüstzeug geben, langfristig unsterblich zu werden“, erläuterte Frank Westermann, Experte für kindliche Neuroblastome am DKFZ. „Außerdem werden sie aufgrund ihres frühen schnellen Wachstums in der Regel auch früher bei den Kindern erkannt.“

Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Neuroblastome, die erst später bösartig werden, dann aber aggressiv wachsen. Sie durchlaufen eine komplexere und langwierigere Evolution. Höfer sieht die Ursachen dafür darin, dass aufgrund der Zellumgebung oder interner genetischer Schäden die meisten dieser Neuroblastomzellen absterben: „Durch diesen Selektionsdruck entwickeln sie dann aber besonders aggressive Mechanismen, um dem Zelltod dauerhaft zu entgehen und unendlich teilungsaktiv zu bleiben. Bis es soweit ist, bleiben die Tumoren aber zunächst einmal klein und werden daher leider auch erst später diagnostiziert.“

Bei Kindern mit Neuroblastomen könnten diese Forschungsergebnisse helfen, junge Hochrisikopatienten von Kindern zu unterscheiden, die gar keine Therapie benötigen, hofft das Forscherteam. „Wir arbeiten derzeit daran, die Tumorevolution als zuverlässigen Biomarker bei Neuroblastomen zu etablieren“, sagte Westermann. „Im Idealfall würde so eine Analyse nach der Probenentnahme dann nur etwa drei Wochen dauern, um eine individuelle Therapieempfehlung geben zu können.“

Zur Fachpublikation geht es hier.

(APA/red.)

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