Unfreiwillige Unterbringungen weiterhin hoch

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Autor: Scho

770 Personen sind im Schnitt pro Tag an Österreichs psychiatrischen Stationen gegen ihren Willen untergebracht. Die Patientenanwaltschaft Vertretungsnetz hat nun Auswertungen zu Beschränkungen der Bewegungsfreiheit veröffentlicht, von denen 2023 rund ein Drittel betroffen war. Der Verein ortet hier einerseits, dass der seit Corona gestiegene Anteil an Fixierungen und anderen Maßnahmen weiter hoch ist, wie es auch der Anteil an untergebrachten Minderjährigen sei.

Die Unterbringung gegen oder ohne den Willen (weil sie sich nicht entsprechend äußern konnten, Anm.) von Patientinnen und Patienten erfolgt nach einer ärztlichen Einschätzung, wonach eine Gefahr für die Betroffenen selbst oder für andere Menschen besteht. 2023 wurden im Zuständigkeitsgebiet des Vereins, der ganz Österreich außer Vorarlberg umfasst, 25.254 derartige Unterbringungen gemeldet, was in etwa der Zahl von 2022 entsprechen würde, hieß es in einer Aussendung.

Rund 34 Prozent der untergebrachten Personen waren 2023 im Zuge ihrer Unterbringung von einer „weitergehenden Beschränkung der Bewegungsfreiheit“ (z.B. Fixierung mit Gurten am Bett, verschlossene Krankenzimmer) betroffen. Dieser Wert ist seit Beginn der Covid-Pandemie sprunghaft angestiegen und seither nicht mehr zurückgegangen. Jedoch zeigten sich laut Vertretungsnetz große regionale Unterschiede bei den Beschränkungen. „In Wien und im Burgenland wird etwa doppelt so viel beschränkt wie in den westlichen Bundesländern Tirol und Salzburg“, erklärte Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter Patientenanwaltschaft bei Vertretungsnetz.

Erstmals war es laut den Angaben zudem auch möglich gewesen, auf Bundesland-Ebene auszuwerten, wie oft es bei einem Psychiatrieaufenthalt zu einer Fixierung mit Gurten am Bett kommt. Österreichweit waren es demnach pro 100.000 je 72 Menschen, die von einer solchen Akutmaßnahme betroffen waren. In Kärnten und der Steiermark waren es mit 103 bzw. 88 pro 100.000 jedoch bedeutend mehr als etwa in Niederösterreich (48) oder im Burgenland (25). „Wir hoffen, dass unser Input seitens der psychiatrischen Abteilungen dazu genutzt wird, herauszufinden, warum es an manchen Standorten gelingt, mit weniger Zwangsmaßnahmen auszukommen“, so Rappert.

2023 hat sich zudem der seit einigen Jahren vorherrschende Trend zu einer im rascheren Entlassung fortgesetzt. Durchschnittlich bleiben Betroffenen demnach österreichweit 11,3 Tage untergebracht, nach fünf Tagen waren jedoch 56,6 Prozent der Unterbringungen wieder aufgehoben.

Hier offenbart sich dann auch die Versorgungslücke bei Kindern und Jugendlichen: Während Unterbringungen Minderjähriger seit der Covid-Pandemie massiv um knapp 20 Prozent auf 2.673 angestiegen sind, sinkt deren durchschnittliche Unterbringungsdauer laut den Angaben – und zwar teilweise sehr deutlich. Wien falle hier besonders auf, dort sei die Dauer in nur einem Jahr von 12,1 Tagen (2022) auf 7,4 (2023) gesunken, gleichzeitig habe sich aber auch der Anteil jener Minderjähriger, die im Lauf eines Kalenderjahres fünfmal oder sogar öfter untergebracht waren, um knapp 27 Prozent erhöht.

„Viele Jugendliche verlassen nicht ausreichend stabilisiert das Spital, weil Betten und Personal für sie fehlen. Oft kehren sie in ein Betreuungsumfeld zurück, das ebenfalls überlastet ist, sodass es immer wieder zu erneuten Aufnahmen kommt. Auf diese Weise nimmt man den jungen Menschen aber die Chance, gestärkt aus einer psychischen Krisensituation herauszukommen“, schildert Rappert die Problematik dieses „Drehtür-Effekts“, denn der Verein auch aus der Vertretungspraxis kennt.

Jedoch habe der Gesetzgeber das Problem erkannt und schreibt in der seit Juli 2023 geltenden Novelle des Unterbringungsgesetzes vor, dass jede Entlassung mit den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld gut vorzubereiten sei, um eine angemessene Weiterbetreuung sicherzustellen. Es brauche dazu einen Ausbau der extramuralen Versorgung in ganz Österreich. Es werde in diesem Zusammenhang begrüßt, dass die Stadt Wien ambulante und aufsuchende Angebote (‚Hometreatment‘) ausbaue. „Für akute Situationen, etwa wenn jemand Suizidgedanken hat, müssen ausreichend stationäre Plätze zur Verfügung stehen, und zwar so lange, wie die erkrankten Personen sie brauchen“, forderte Rappert.

(APA/red.)

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