Der Klimawandel bringt neue Infektionskrankheiten nach Europa. „Mit neuen Erregern ist zu rechnen“, erklärte Jens Gieffers, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie, beim zweitägigen Internationalen Hagleitner-Hygieneforum in Zell am See. Wegen der steigenden Temperaturen werden Tiere aus wärmeren Kontinenten heimisch. „Sie bringen auch Erreger, die wir bisher nur aus südlicheren Urlaubsländern kennen.“
Das heimische Gesundheitswesen muss sich nun mit diesen unerwünschten Neuankömmlingen auseinandersetzen. In der Gesundheitsprophylaxe sei deshalb ein Umdenken gefragt. „Das Zika-Virus etwa kommt in Europa aktuell noch selten vor, übertragen wird es von der Asiatischen Tigermücke. Sobald sich dieses Insekt hierzulande ausbreitet, wächst das Infektionsrisiko“, sagte Gieffers vor den mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Jens Gieffers, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie: „In den nächsten Jahren wird sich die Tigermücke auch bei uns herumtreiben.“ Die Tigermücke überträgt das Zika-Virus
Die Tigermücke ist bereits nördlich der Alpen „durch immer milder werdende Winter“ angekommen, erklärte der Hygieneberater aus Nordrhein-Westfalen. „In den nächsten Jahren wird sich die Tigermücke auch bei uns herumtreiben.“ Es könnte zu lokalen Epidemien kommen. Das Zika-Virus werde auch von Reiserückkehrern eingeschleppt, gab Gieffers zu bedenken.
Zu den Erregern, die neue geografische Gebiete erobern, zählten auch das Coronavirus oder das Affenpockenvirus. Im Jahr 2022 kam es zu einem weltweiten Ausbruch von Affenpocken, die eigentlich in Afrika zu Hause sind. „Sie wurden schnell unter Kontrolle gebracht. Da spielen natürlich auch Hygienemaßnahmen eine Rolle“, resümierte Gieffers. „Wir müssen die Übertragungswege im Blick haben. Selbst die Affen sind nur Fehlwirte und werden aus Versehen infiziert.“ Die Übertragung von Mensch zu Mensch sei möglicherweise auch zu ineffektiv. So konnte der Ausbruch durch gute Hygienemaßnahmen kontrolliert und zum Stillstand gebracht werden.
„Immunisierungslücken“ während der Pandemie
Was die Coronapandemie betrifft, so konstatierte Gieffers Nachholeffekte aus den vergangenen drei Jahren. Die „alten“ Erreger erobern ihr Terrain zurück. In den Jahren 2022/23 habe es so viele Atemwegsinfekte gegeben wie seit fünf Jahren nicht mehr. Nach Corona hätten aber nicht nur aspiratorische Infekte, sondern auch Durchfallerkrankungen wieder zugenommen. In der Coronazeit seien Immunisierungslücken entstanden, „die nun wieder zu schließen sind“.
Zudem gebe es Inzidenzsteigerungen bei multiresistenten Erregern, hervorgerufen durch die Flüchtlingsbewegungen – zum Beispiel aus der Ukraine – und die Migration. In Deutschland zum Beispiel sei die Tuberkulose bis 2015 rückläufig gewesen, im Jahr 2015 aber hochgeschnellt. Im Jahr 2021 sei wieder ein leichter Anstieg verzeichnet worden. Im Jahr 2022 haben sich die Meldungen von Tuberkulosefällen bei Patienten, die in der Ukraine geboren sind, verzehnfacht. Aus dem Umstand, dass die Fälle aus 2015 wieder unmittelbar zurückgegangen sind, schließt Gieffers, dass unser Gesundheitssystem fähig ist, die Patientinnen und Patienten entsprechend zu behandeln und die Ausbreitung durch Hygienemaßnahmen einzudämmen.
Kathrin Mann, Gesundheitsökonomin: „Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen hinkt Mitteleuropa leider hinterher. Der Nachholbedarf ist gewaltig – besonders in der Bundesrepublik Deutschland“
Im Fokus des Symposiums standen die Zukunft der Hygiene nach Covid-19 und neueste Technologien. „Künstliche Intelligenz wird die Hygiene revolutionieren. Eine App sagt der Pflegefachkraft im Krankenhaus dann beispielsweise: Jetzt ist es Zeit, sich die Hände zu desinfizieren“, skizzierte Gesundheitsökonomin Kathrin Mann das Zukunftsszenario. Die Fachkraft kann dann auf Datenpools zurückgreifen, wie das nationale Infektionsradar oder die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Gesundheitseinrichtung. Die Informationsbasis dazu ist bereits vorhanden. Die Expertin pochte allerdings auf mehr digitale Offenheit. Hygienelücken ließen sich digital generell schneller erkennen und Maßnahmen zuverlässiger evaluieren.
Digitale Booster
„Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen hinkt Mitteleuropa leider hinterher. Der Nachholbedarf ist gewaltig – besonders in der Bundesrepublik Deutschland“, kritisierte Mann. In skandinavischen Ländern werde hingegen Hygiene großzügig digital ausgewertet. „Das bricht Infektionsketten und steigert die Patientensicherheit.“ Ins selbe Horn stieß der Hygieniker und Mikrobiologe Markus Hell. Die digitalen Booster, welche die Coronapandemie ausgelöst habe, „haben wir weiter zu verfolgen, weil die Personalressourcen knapper werden“.
Universitätsprofessor Ojan Assadian, Ärztlicher Direktor im Landesklinikum Wiener Neustadt, sagte dazu in seinem Vortrag mit dem Titel „Hygiene-Ressourcen: wie viel digital statt Personal?“, Hygienefachkräfte in Krankenanstalten seien hoch spezialisiert und sehr wertvoll für die Patienten. Deshalb sollte man überlegen, welche Aufgaben der Computer übernehmen kann, wie etwa KI-basiertes Monitoring und Surveillance mittels Volltextabfrage von Krankengeschichten, um bestehendes Personal zu entlasten und nicht, um Personal zu sparen. Er verwies auf den demografischen Wandel in der Bevölkerung. In zehn Jahren gebe es eine Vervierfachung der über 80-Jährigen. Personal zu entlasten sei ein Aspekt, „den wir unbedingt weiter verfolgen müssen“.
Das Internationale Hagleitner-Hygieneforum gilt als Plattform für Hygiene- und Desinfektionsexperten, Ärzte sowie Pflegefachkräfte. Das Symposium findet seit 2017 jährlich statt. Der Kongress richtet sich an das gesamte Gesundheitswesen: Akut-, Arbeits- und Präventivmedizin, Rehabilitation sowie Langzeitpflege.
(APA/red.)