Die Sprachsoziologin und kritische Diskursforscherin Ruth Wodak ist Preisträgerin des Paul-Watzlawick-Ehrenrings 2022 der Ärztekammer für Wien. Wodak wurde durch ihre kritische Diskursanalyse bekannt und erlangte durch ihre Arbeiten zu Kommunikation in Institutionen, Identitätspolitik, Gender Studies, politischen Diskursen, Populismus und Vorurteilsforschung internationale Bekanntheit.
Überreicht wurde der Paul-Watzlawick-Ehrenring gestern, Mittwoch, Abend im Rahmen der Wiener Vorlesungen im RadioKulturhaus. Nach einer Begrüßung durch die Leiterin der Wienbibliothek, Anita Eichinger, hielt Rudolf Scholten, Präsident des Bruno-Kreisky-Forums, die Laudatio.
„Ruth Wodak ist der Sprache auf der Spur“, so Scholten in seiner Rede, „sie ist Meisterdetektivin, entlarvt sprachliche Geheimnisse. Was vermeintlich harmlos daherkommt, wird von ihr entkleidet und klargestellt. Unter dem Teppich entdeckt Ruth Wodak das Tatmotiv und dessen historischen und gesellschaftlichen Hintergründe. Ihr Bericht vom sprachlichen Tatort deckt glasklar auf, was sich sonst verschwommen, uneindeutig davongeschlichen oder auch eingeschlichen hätte.“
Unter anderem analysierte Wodak die politische Rhetorik und antisemitische Argumentation im Zuge der „Waldheim-Affäre“. 1996 wurde sie als erste Sozialwissenschafterin mit dem Wittgenstein-Preis ausgezeichnet.
1999 folgte eine Forschungsprofessur an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ab 2004 war sie als „distinguished professor“ an der University of Lancaster (UK) tätig. Daneben hatte sie zahlreiche Gastprofessuren inne, unter anderem in Standford (USA), Carleton (Kanada) und Uppsala (Schweden). Letztere verlieh ihr auch ein Ehrendoktorat, ebenso wie die Universitäten Örebro (Schweden) und Warwick University (UK).
Seit 2020 ist Ruth Wodak Ehrensenatorin der Universität Wien. 2022 wurde ihr auch der „Bruno-Kreisky-Preis“ für das publizistische Gesamtwerk verliehen.
„Die Gesellschaft wird polarisiert“
„Die Forschungen von Ruth Wodak sind heute aktueller denn je“, ist sich die Juryvorsitzende des Paul-Watzlawick-Ehrenrings, Elisabeth J. Nöstlinger-Jochum, mit den weiteren Juroren einig, „müssen wir doch in unseren Tagen wieder schmerzhaft erleben, wie aggressive politische Rhetorik in Gewalt und Krieg mündet“.
In ihrer Dankesrede ging Ruth Wodak auf politisch-gesellschaftliche Entwicklungen ein: „In der Folge kommt es zur Polarisierung der Gesellschaft. Polarisierung bedeutet ein Denken in Antinomien, in Gut und Böse; in „wir“ und die „anderen“; ohne Nuancen und Differenzierungen. Diskussion, Argumentation, Deliberation sind meist unerwünscht. Niemand rückt vom jeweiligen Standpunkt ab, Fakten spielen trotz vieler Interviews mit Expertinnen und Experten wenig oder gar keine Rolle. Es geht um Glaubensgebäude, um viel zu simple Erklärungen, um die Schaffung von Sündenböcken und damit zusammenhängenden – häufig antisemitischen – Verschwörungsnarrativen, jedenfalls nicht um Wissen. Überzeugungsarbeit bleibt oft vergeblich.“
„Eine Stimme, die der Sprache auf den Grund geht“
Der Paul-Watzlawick-Ehrenring der Ärztekammer für Wien ist eine Hommage an den großen österreichischen Kommunikationstheoretiker, Psychotherapeuten und Mitbegründer der Theorie des radikalen Konstruktivismus, Paul Watzlawick. Den Ehrenring erhalten Persönlichkeiten, die in ihrem Werk und in ihrer Forschung jenen disziplinübergreifenden, humanistischen Ansatz verfolgen, der Paul Watzlawick auszeichnete.
2022 wird der Ehrenring zum bereits 13. Mal vergeben. Die bisherigen Ringträger sind: Peter L. Berger (†), Aleida Assmann, Rüdiger Safranski, Friedrich Achleitner (†), Walter Thirring (†), Ruth Klüger (†), Konrad Paul Liessmann, Franz Schuh, Hartmut Rosa, Ulrike Guérot, Robert Pfaller und 2021 die Komplexitätsforscher Peter Klimek und Stefan Thurner.
Der Jury 2022 gehörten neben der Juryvorsitzenden Elisabeth J. Nöstlinger-Jochum Michala Fritz, Paulus Hochgatterer, Thomas Macho, Brigitte Hütter, Claudia van der Linden, Rainer Nowak, Heinz Sichrovsky und Christoph Thun-Hohenstein an. Erhard Busek, Mitgründer des Paul-Watzlawick-Ehrenringes und langjähriger Juryvorsitzender, verstarb wenige Tage vor der Wahl. Ärztekammerpräsident Johannes Steinhart: „Der Paul-Watzlawick-Ehrenring spiegelt auch die jeweils dominierende Thematik unserer Gesellschaft wider. Deshalb braucht es gerade heute eine Stimme wie die von Ruth Wodak, die der Sprache auf den Grund geht, die kühl analysiert, was Propaganda ist und was Überzeugungsarbeit.“
Der Paul-Watzlawick-Ehrenring wurde von der Meisterklasse Paolo Piva im Rahmen eines Wettbewerbs designed und erinnert an eine Möbius-Schleife.