Die Bedeutung des Qualitätsmanagements für den Mitteleinsatz in Gesundheitseinrichtungen wird sehr verschieden bewertet. Dies hängt mit den Unterschieden im Zugang zum Thema und mit den unterschiedlichen Auffassungen von Führung in Organisationen zusammen. Weder die strikte Trennung – mitunter sogar antithetische Gegenüberstellung – von Kosten und Qualität, noch die Idee von QM als Einsparungsinstrument werden dem Zusammenhang zwischen Ressourceneinsatz und QM gerecht. Und das Ungerechteste ist es wahrscheinlich, QM als grundsätzlich gut anzunehmen und alles, was unter diesem Titel geschieht, als vorteilhaft.
In eigener Sache: Die QUALITAS ist heuer zwanzig. Viel hat sich seit 2002 in den Gesundheitseinrichtungen getan. Inzwischen sind neue Generationen von QM-Aktiven herangewachsen.
2006 ist dieser QUALITAS-Beitrag erschienen. Aus aktuellem Anlass (s.a. Editorial) und als Zeugnis (Robert Hochner: Die Rache der Journalisten an den Politikern ist das Archiv.) dafür, wie wenig die „Meta-Ebenen“ des Gesundheitssystems zu lernen im Stande gewesen sind, erscheint er 2022 unverändert nochmals: als erlesenes vorweihnachtliches Geschenk aus dem großen QUALITAS-Archiv (zu nützen mit Volltextsuche für alle Abonnenten auf www.gesundheitswirtschaft.at) für die neuen Generationen und natürlich auch für die alten: als Reminiszenz an die genau gleichen und gleich guten alten Zeiten!
„Gesteigerter Ressourceneinsatz verbessert die Qualität der Ergebnisse!“ – ?
Im Zusammenhang mit Restrukturierungsversuchen im Gesundheitswesen und Kosteneinsparungsaktivitäten auf verschiedenen Ebenen des Gesundheitssystems wird von einzelnen Interessengruppen immer wieder davor gewarnt, dass dadurch die Qualität gefährdet werden könnte. Der Kontext, in dem diese Diskussionen verlaufen, entbehrt zumeist gesicherter Kenntnisse (z.B. Q-Indikatoren, Outcome-Messungen). Über die Qualität von Behandlungsergebnissen vor der geplanten diskutierten Maßnahme lassen sich daher keine durch Daten fundierten Aussagen treffen. Dadurch werden die Argumente schwer greifbar und man spricht eher über persönliche Befürchtungen (und Interessen) als über tatsächliche Auswirkungen. Dies trägt weder zur gedeihlichen Konsensfindung zwischen den Beteiligten noch zur Definition (und damit auch nicht zum Erreichen) eines konkreten Zieles für Patienten bei.
PDCA – Konsequenz
In der Literatur finden sich sowohl Beispiele für negative als auch für positive Folgen gesteigerten Mitteleinsatzes für die Qualität der Ergebnisse. „Mehr ist besser“ ist eine Chimäre. Fast so verführerisch wie die Annahmen, dass Menschen grundsätzlich besser arbeiten, wenn man ihnen mehr zahlt oder dass sie mehr Erfahrung haben, wenn sie älter sind. Wie oft Restrukturierungen und Verschiebungen im Ressourceneinsatz überhaupt Auswirkungen auf die qualitative Performance von Organisationen oder Gesundheitssystemen haben, ist nicht nachvollziehbar, zumal meistens die Bewertungen und Evaluationen fehlen (denn ohne eine als Ziel definierte Absicht kann man auch deren Erfüllung nicht überprüfen) oder sich in Befragungen der Betroffenen erschöpfen, die wiederum intersubjektiv persönliche Vorlieben und Ängste abbilden. Wir führen zwar auf Ebene von Gesundheitseinrichtungen und ihrer Teile kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) nach dem Denkmodell des PDCA-Zyklus (s.u.) ein, entbehren bis dato auf den hierarchisch übergeordneten Ebenen des Gesundheitswesens dieses Denkens aber völlig: Gesetze, Verordnungen, Vorstandsbeschlüsse oder Dienstanweisungen werden nicht evaluiert. Die gute Idee der Maßnahme(n) verdrängt hier die – eigentlich vorrangige – Zielplanung. Der PDCA-Zyklus beginnt mit D und endet bei D.
Bis dato fehlt sogar der Nachweis darüber, ob die Einführung von QM in ganzen Ländern (Gesundheitssystemen) positive Auswirkungen auf die Ergebnisqualität der Patientenbehandlung hat. Dieses Schicksal teilt QM mit dem Ressourceneinsatz in der Medizin überhaupt: Die regelmäßig von OECD, WHO und EU veröffentlichten und auch von österreichischen Organisationen wie IHS interpretierten Statistiken können im Vergleich der entwickelten Länder keinen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf und dem Gesundheitsstatus der Gesamtbevölkerung herstellen.
Vielleicht ist es in der Arbeit für gute Ergebnisse also sinnvoller, die Themen Qualität und Kosten vorerst zu entkoppeln und erst wieder zusammenzuführen, wenn durch weiterentwickeltes Wissen die Umsetzungskompetenz sichergestellt werden kann.
Ziele sind unentbehrlich
Vielleicht erreichen westliche Gesundheitssysteme bald den Entwicklungsstatus, in dem jedem Mitwirkenden das WOZU klar ist; die Ziele geklärt und formuliert sind. Dies setzt jedoch den offenen und öffentlichen Dialog darüber voraus, welche konkreten Ziele verfolgt werden und was deren Erreichung jeweils kosten darf; eine Herausforderung für jeden Experten und Politiker.
Bisher wurde trotz fehlender oder sehr unkonkreter Zielsetzungen noch aus keinem Land berichtet, dass auch nur ein im Budget für Gesundheitsausgaben vorgesehener Euro, Dollar oder Kwanza am Ende des Jahres übrig geblieben sei. Entweder haben wir also in allen Nationen der Welt chronische Unterversorgung oder es verbraucht jedes System genau die Ressourcen, die es bekommt!?
PDCA in der Praxis oder die Evaluation bringt „Licht ins Dunkel“
Bei der Beurteilung der Zielerreichung unter dem Buchstaben C, der für „Check“ im PDCA-Zyklus steht, ergeben sich in der täglichen QM-Praxis immer wieder große Probleme und endlose Diskussionen. Zumeist endet alles mit der Idee, eine Gruppe Involvierter oder Betroffener zu befragen.
Laue Ergebnisse, die nicht mehr nachvollziehen lassen, ob die Reise auch dort hingegangen ist, wo sie hätte enden sollen, sind die Folge. Probleme bei „Check“ weisen immer auf unkonkretes „Plan“ hin: Wenn man bei „Plan“ wirklich weiß und definiert, wohin man will, was man erreichen will, und bei „Do“ dann Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele findet, so braucht man bei „Check“ nur mehr zu messen, wie nahe man dem unter „Plan“ Definierten (wohin, wozu?) gekommen ist.
Wenn man aber gleich „Do“ angeht, ohne zuvor bei „Plan“ festgelegt zu haben, was man erreichen will, so kann man bei „Check“ auch nie und nimmer die Nähe zum „Wohin“ messen, da man ja kein „Wohin“ definiert hat!
Unsere Sprache kennt dieses Verhalten nur zu gut: „Wir wissen zwar nicht wohin, dafür sind wir schneller dort“ oder „Sie sattelten die Pferde und ritten in alle Richtungen davon“ sind bekannte Sentenzen.
Führung als spezifische Qualität
Qualität braucht Führung. Spätestens dann, wenn mehr als einer das Produkt herstellt oder die Dienstleistung erbringt. Führen ist ein Prinzip, das sich irgendwann unbemerkt in die Organisationen des Gesundheitswesens eingeschlichen hat. Keiner weiß mehr, wann in welchem Haus erstmals Vorgesetzte zu Führungskräften wurden. Keine Statistik gibt darüber Auskunft, in welchem Ausmaß Führungskräfte die Vorgesetzten bereits abgelöst haben.
Jedenfalls ist in Gesundheitseinrichtungen eine immer stärkere Betonung von Führung zu spüren. Vorgesetzte sind out. Sie waren einmal in. Sie wurden vorgesetzt, von oben versteht sich. Als Statthalter des hierarchischen Systems, notwendig für die Ordnung, den geordneten Ablauf. Zu ihrem ganzen Glück brauchten Vorgesetzte eigentlich auch gar keine Mitarbeiter, sondern Untergebene!
„Führungskraft“ dagegen klingt geradezu sexy. Da handelt, tut jemand: er führt. Zur Führungskraft kann man auch niemanden machen, zur Führungskraft wird man durch die Menschen, die man führt. Sie wählen jemanden zur Führungskraft, indem sie ihm folgen, heißt es, oder eben nicht.
Dieses Führen und Folgen trägt in sich auch schon ein Erfolgsgeheimnis: Führen und Folgen sind Aktivitäten, die eine klare, erkennbare Richtung haben, ein Wohin. Spazieren führen funktioniert nicht, auf einen Berg führen sehr wohl. Dieses Wohin, die Kraft der Führung entsteht heute noch primär aus der Mission des Menschen, der als Führungskraft wirksam wird, sehr selten aus den Zielen der Organisationen. Die haben selten Ziele, geschweige denn konkrete Ziele.
„Wir wollen Patienten optimal betreuen“ ist einfach kein Ziel (auch wenn das Leitbild dies behauptet). Es ist der Zweck von Gesundheitseinrichtungen, dafür wurden sie gebaut. Auch durch das Hinzufügen klangvoller Eigenschaften wie „patientenorientiert“, „partnerschaftlich“, „auf dem Stand der Wissenschaft“ etc. wird es nicht besser: Niemand kann davon konkrete Ziele für seine tägliche Arbeit ableiten. Nicht die Führungskraft, noch weniger die Mitarbeiter. Viele Organisationen sind unheimlich beschäftigt damit, alle wissen zu lassen, wozu sie da sind, verschweigen aber beharrlich, wohin sie wollen (z.B. die Anzahl ungeplanter Wiederaufnahmen von derzeit 7 % auf 3 % zu senken). Das hat auch Vorteile: keine Ziele – niemand, der die Zielerreichung einmahnt. Der Erfolg ist damit garantiert! Und damit auch der Misserfolg.
Wenn also die Gesamtorganisation kein Ziel hat und in Österreich sogar auf der Ebene des Gesamtsystems „Gesundheitswesen“ zugunsten vieler Maßnahmen, Projekte und Gesetze (gemeinhin als Aktionismus bezeichnet) klare Ziele fehlen (auch Politiker scheuen die Einmahnung von Zielerreichung), woher nimmt die Führungskraft dann ihre Ziele, ihr Wohin?
Wenn nicht nur Diskussionen über Mitteleinsatz und die – besonders von Managern stark strapazierte – Geschichte von der großen persönlichen Verantwortung durch bedeutungsvolle und schwierige Entscheidungen (die ebenfalls wieder den Mitteleinsatz betreffen) Platz greifen sollen, kann hier die Mission des Führenden helfen.
Mission – eine Führungseigenschaft
Mission und damit persönliche Ziele entstehen nicht aufgrund der Übernahme einer Funktion, sondern einzig und allein aus der Person der Führungskraft selbst: aus ihrer persönlichen Geschichte, ihrem Wissen, ihren Erfahrungen, ihrem Charakter und ihrer Einstellung. Die Mission eines Menschen ist unauflöslich mit ihm verbunden und wird nur dann auch praktisch wirksam, wenn er sich dieser Mission bewusst ist und sie konkret formulieren kann. Die Mission wirkt in allen Bereichen seines Lebens, nicht nur im Beruf. Das Vorhandensein einer solchen Mission bei Führungskräften wurde oft unter dem Begriff „Charisma“ mystifiziert. Doch das Bewusstmachen der eigenen Mission kann jedem gelingen, wenn er sich die Zeit nimmt, zu reflektieren und in sich hineinzuhorchen!
Auf dieser Basis können Führungskräfte gemeinsam mit den Mitarbeitern Ziele für die eigene Organisationseinheit schaffen: für das Haus, für die Abteilung, für die Station, für das Team in der Physiotherapie, im Labor, im OP usw. Und hier wird auch offensichtlich, wie viele Führungskräfte es eigentlich gibt: In Krankenhäusern gibt es nicht nur die drei Führungskräfte in der Kollegialen Führung, sondern sehr viele Bereichsverantwortliche und Teamleiter, die Führungskräfte sind bzw. sein könnten: wenn sie ihre persönliche Mission und die Ziele ihres Teams formulieren. Und wenn sie danach handeln, denn sie werden beobachtet!
Eine Probe auf das Exempel sei empfohlen: Um sich sehr schnell ein Bild darüber zu verschaffen, ob in einer Organisation(seinheit) Führung wirksam ist oder Vorgesetzte sich ihre erträumte Bedeutung durch Diskussionen über Mitteleinsatz zu organisieren versuchen, misst man die Zeit, die Entscheidungen benötigen: In Organisationen der ersten Kategorie ergeben sich Entscheidungen über den Einsatz von Ressourcen aus einem nachvollziehbaren PDCA- und damit Ziel-Denken quasi von selbst. In Organisationen der zweiten Kategorie wird über Bleistifte stundenlang diskutiert und nur über Großinvestitionen ganz schnell entschieden.
Führung ist mit Zielerreichung beschäftigt, Vorgesetzte dagegen mit schwierigen Entscheidungen.
Infobox:
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem 2006 im Facultas Verlag erschienenen Buch „Wirkungsgeleitetes Ressourcenmanagement in öffentlichen Gesundheitsbetrieben“.