Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein startet die Pilotphase für „Community Nurses“. Zwischen Kommunen und caritativen Pflegeorganisationen herrscht Gezerre, wer die kommunalen BetreuerInnen beschäftigen darf.
Virtuelle Presseveranstaltungen zählen nicht unbedingt zu den elektrisierenden Instrumenten der politischen Kommunikation. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein musste dies Mitte September erleben, als er bei der digitalen Kick-Off-Veranstaltung zum Thema „Community Nursing“ mit der nachmittäglichen Schläfrigkeit der Zuhörer zu kämpfen hatte. Der Videocall startete um 16 Uhr – biorhythmisch ein Desaster. Tapfer blieb der grüne Minister bei seiner Botschaft: „Beim Pilotprojekt handelt es sich um einen wichtigen Baustein der Pflegereform: Community Nurses sind zentrale Ansprechpersonen für Betroffene, die niederschwellig, regional und wohnortnah Unterstützung benötigen.“ Das Projekt soll jetzt aus den Startlöchern kommen: Mit Herbstbeginn werden in einer ersten Phase bundesweit 150 diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger und -pflegerinnen für den kommunalen Einsatz gesucht.
150 Stellen bis 2024
„Community Nurses“ sind ein Projekt, das Teil des türkis-grünen Regierungsprogramms ist. Die notwendigen Mittel kommen von der Europäischen Kommission, die im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans 54 Millionen Euro für eine kommunal basierte Heimpflege gebilligt hat. Die ersten 150 Vollzeit-Stellen sollen bis 2024 in Gemeinden und auf regionaler Ebene besetzt werden. Nach einer Evaluierung wollen langfristig 500 Gemeinden auf diese Weise profitieren. In der öffentlichen Diskussion gibt es zu dem Begriff „Community Nursing“ keine einheitliche Definition. Die Idee dahinter ist aber meist dieselbe: Die Community Nurse soll – neben ihrer pflegerischen Unterstützung – als Verbindungsglied zwischen Pflegebedürftigen, Angehörigen und unterstützenden Institutionen (Behörden, Versicherungsträgern) auftreten. Große Bedeutung hat die Entlastung und Beratung pflegender Familienangehöriger, die nicht selten bis an die eigenen Grenzen gehen. Die oder der Gemeinde-PflegerIn ist zentrale Anlaufstelle in Pflegefragen und im Präventionsbereich. Im Hintergrund steht die Absicht, Betroffenen so lange als möglich ein eigenständiges Leben zu Hause in vertrauter Umgebung zu ermöglichen – und Pflegeeinrichtungen zu entlasten.
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, sprach bei einer Pressekonferenz im Juni von der „Wundertüte“ Community Nursing: „Jede und jeder verbindet andere Hoffnungen damit.“ Für sie setzt das Konzept der „Community Nurse“ auf ein bereits bewährtes System: „Im internationalen Fachdiskurs entspricht Community Nursing genau jenen Tätigkeiten, die in Österreich unter Hauskrankenpflege subsummiert sind.“ Es bringe professionelle pflegerische Versorgung für meist ältere Menschen, die „zu Hause durch diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal sowie Pflegeassistenzberufe betreut werden“. Zu den Aufgaben gehören neben Verbandwechsel, Injektionen oder Verabreichung von Medikamenten „auch Hilfestellung bei der Entlassung aus Krankenhäusern oder die Unterstützung bei Pflegegeld- und Förderanträgen“, so Anselm.
Konflikt über Trägerinstitutionen
Noch keine Klarheit herrscht über die organisatorische Umsetzung des „Community Nursing“. Da die Finanzierung vom Resilienz- und Aufbaufonds übernommen wird, haben sowohl Gemeinden als auch caritative Institutionen starkes Interesse, die Community Nurses im eigenen Einflussbereich anzusiedeln. Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV) ist überzeugt, dass sich im Zuge der Ausschreibung des Projekts die Definition der Community Nurse weiterentwickeln werde. Sie sieht die Aufgaben deutlich weiter gefasst: „Um klassische Hauskrankenpflege inklusive regelmäßiger pflegerischer Tätigkeiten für Patienten und Patientinnen geht es jedenfalls nicht.“ Bei der Ausschreibung werden sich wohl auch Träger wie Rotes Kreuz oder Hilfswerk bewerben, „dann wären diese die Nahtstelle zwischen Community Nurse und mobilen pflegerischen Diensten.“ Potzmann betont, dass es eigentlich um organisatorische Belange, um Netzwerkarbeit geht. Die Nurses sollen Patienten und diesen nahestehenden Menschen unterstützen, um mit der Situation zurecht zu kommen. „Daher müsste die Community Nurse auf Gemeindeebene angesiedelt sein, also trägerunabhängig.“ Eine wichtige Rolle könnten auch freiberuflich tätige Pflegekräfte spielen. So wird demnächst in Judenburg eine Pflegeordination eröffnet – die Träger in der Region würden dies begrüßen, weil sie sich Entlastung u.a. beim ersten Pflegeassessment mit Patienten erwarten. Ebenso eine Hoffnung ist, dass die Informations- und Datenweitergabe zwischen den verschiedenen Organisationen über die Einschaltung der Community Nurse deutlich beschleunigt wird.
Nichts Neues.
Für Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, ist das Konzept der Community Nurses nicht neu. Es entspräche jenen Tätigkeiten, die in Österreich bislang „unter Hauskrankenpflege subsummiert sind“.
Hoffen auf kommunale Arbeitgeber
Es gibt Pflegeanbieter, die bereits Ausbildungskurse zur „Community Nurse“ im Programm haben, obwohl das Programm noch im Fluss ist. Potzmann bleibt gelassen: „Wie immer, wenn etwas Neues entsteht, gibt es auch Wildwuchs. Dieser wird sich mit der Zeit bereinigen. Schnellsiedekurse über wenige Wochen sind keine adäquate Grundlage für diese wichtige Tätigkeit!“ Die ÖGKV hat in einem Positionspapier zur Community Nurse festgehalten, dass eine Pflegekraft mindestens zwei Jahre Berufspraxis im extramuralen Bereich haben sollte, bevor sie als solche tätig wird. „Eine Ausbildung im Feld ‚Advanced Nursing Practitioner‘ ist im Moment keine Voraussetzung, wobei wir überzeugt sind, dass dies mittelfristig der Weg ist“, betont Potzmann. Nach einer Übergangszeit von drei bis fünf Jahren könnten sich Community Nurses mit dieser Ausbildung noch viel stärker in die Regionalentwicklung und Gesundheitsförderung einbringen, „also ganz im Sinn der Definition der Community Health Nurse, wie sie von der WHO definiert wird“. Dann sei eine Weiterbildung auf Masterniveau nötig.
Der ÖGKV hat ein Netzwerk „Community Nurse“ aufgebaut, für das sich speziell die über 14.000 ganz oder teilweise freiberuflich tätigen Pflegekräfte interessieren (insgesamt gibt es in Österreich etwa 130.000 Pflegekräfte). Diese Personen leisten schon jetzt Pionierarbeit. „Es gibt keine Verträge mit den Kassen, sondern es erfolgt eine Direktverrechnung mit den Patienten. Durch einen Vertrag mit einer Gemeinde wäre die Herausforderung der Freiberuflichkeit deutlich leichter zu stemmen,“ argumentiert Potzmann. Die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands weist darauf hin, dass es aufgrund der föderalen Strukturen sehr unterschiedliche Bedingungen und Modelle für die Arbeit als Community Nurse geben wird. Zudem gäbe es jetzt schon in verschiedenen Regionen Pflegekräfte, die sich als Community Nurses im Sinn des Positionspapiers des ÖGKV und der Regierungspläne definieren. Sie erwähnt das Projekt der „Akut Community Nurse“ in Schwechat. Auch in Wr. Neustadt arbeiten Pflegekräfte, die stundenweise bei der Gemeinde angestellt sind. „Es gibt die Chance, dass das aktuelle Programm den Pflegeberuf für Neueinsteiger wieder attraktiver macht.“ Die Rahmenbedingungen seien deutlich verbessert.
Zuständigkeit bei Kommunen.
Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, hat eine klare Meinung. Für sie muss die Community Nurse auf Gemeindeebene angesiedelt sein.
Das Kärntner Modell
Etliche Bundesländer sammeln bereits Erfahrungen mit GemeindebetreuerInnen. Das Kärntner Modell der Pflege-Nahversorgung wurde im Oktober 2019 gestartet und umfasst derzeit 17 Koordinatoren (9 Pflegekoordinatoren und 8 Dorfservice-Mitarbeiter), die Bedürftige in 49 Gemeinden betreuen. Die Pflege-
Nahversorgung besteht – in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden – aus der Pflegekoordination, dem Aufbau von Ehrenamtsgruppen bzw. der Kooperation mit bestehenden Gruppen und der Konzeption von Altern im Mittelpunkt: Hierbei geht es um den Aus- und Aufbau von Versorgungsstrukturen (Tagesstätten, Betreute Wohneinheiten, Hol- und Bringdienste, Erweiterung des Leistungsspektrums der mobilen Dienste etc.). Die Koordinatoren unterstützen die Tätigkeit der Gesundheits-, Pflege- und Sozialservicestellen an den Bezirkshauptmannschaften. Es handelt sich um ein Pflegemodell, „um das uns die anderen Bundesländer bereits beneiden: Erstmals setzt die Pflege nämlich vor dem tatsächlichen Pflegebedarf an – und das vor Ort, beim Menschen,“ führt die zuständige Gesundheitsreferentin und Landeshauptmannstellvertreterin Beate Prettner aus.
Die Pflegewissenschaftlerin Bettina Kreuzer arbeitet als Pflegekoordinatorin im Görtschitztal: „Wir suchen die Bürger zu Hause auf und versorgen sie dort: Damit erreichen wir die rüstigen älteren Personen über 75 genauso wie die Pflegebedürftigen und deren Angehörige.“ Die Altersgrenze sei fließend. „Wir besuchen auch hilfsbedürftige 60-Jährige.“ Sie deckt Versorgungslücken von der Antragsstellung für Pflegegeld bis zur Organisation mobiler Dienste ab: „Die Menschen wissen wenig von den vielen Möglichkeiten, die ihnen Hilfe und Unterstützung versprechen.“ So hätten ältere Menschen in alten Häusern nur selten eine Idee, dass sie beim Land einen Antrag auf einen behindertengerechten Badezimmerumbau stellen können. Auch beim Urlaub für pflegende Angehörige könne die Pflegekoordinatorin behilflich sein. Dabei sind die Aufgaben klar definiert. „Pflegerische Tätigkeiten übernehmen wir nicht. Bei Bedarf stellen wir den Kontakt zu den mobilen Diensten her,“ führt Kreuzer aus. Nach einer dreijährigen Projektphase soll das Projekt über die Regelfinanzierung abgedeckt werden.
Masterplan gefordert
Nach einer Evaluierung der von Wolfgang Mückstein angekündigten Pilotphase spricht sich die Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm für die Weiterentwicklung von Modellen aus. „Sozialraum-Lotsen“ sollen zu wohnortnahen Anlaufstellen werden. Aber es brauche noch mehr. Von der Bundesregierung fordert sie – wie viele andere – einen Masterplan für den Gesamtbereich der Pflege: Die Ausbildung, die Arbeitsmarktpolitik und die Rahmenbedingungen für professionelle Pflegearbeit müssen ebenso berücksichtigt werden wie das Pflegegeld, das „auf neue Beine gestellt werden müsse“.