Durch die Finger geschaut

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Autor: Josef Ruhaltinger

Gleich zwei Bundesministerinnen präsentierten anlässlich des Forums Alpbach eine österreichweite Strategie zur verstärkten Umsetzung von Künstlicher Intelligenz (KI). Die Enttäuschung in der KI-Community ist komplett: Für den Gesundheitsbereich hält das Konzept nur Phrasen bereit.

Es heißt, Alpbach hätte die strengste Bauordnung Österreichs. Schon 1953 hat der Gemeinderat bei Neubauten die Anpassung an den hergebrachten Baustil verordnet. Und dieser konnte sich bis 1926 mangels Straßenanbindung recht eigenwillig entwickeln. Die einzige Ausnahme im Ortsbild repräsentiert das Congress Centrum – eine beherzte Symbiose aus Design, Funktionalität und hochwertiger Konferenztechnologie, die augenschonend in einen Berghang am Ortsrand versteckt wurde.

Kein Zug zum Tor

Seit 1999 dient das Congress Centrum als Bühne für ambitionierte Ankündigungen und ausladende Präsentationen. Dieser Sommer machte keine Ausnahme: Die Bundesministerinnen Leonore Gewessler und Margarete Schramböck präsentierten die Strategie der Bundesregierung für Künstliche Intelligenz „AIM AT 2030“ (www.bmdw.gv.at/Themen/Digitalisierung/Strategien/Kuenstliche-Intelligenz). Die Resonanz auf die Präsentation konnte mit dem lieblichen Ambiente nicht mithalten. Anstelle von Aufbruchstimmung ernteten die Politikerinnen heftige Kritik und Ärger.

Der Bereich Gesundheit ist – wie zehn weitere Schwerpunktbereiche – in einem Annex zum Strategiepapier beschrieben. Die potenziellen Anwendungsfelder reichen „von Gesundheitsförderung über Prävention, Prognose, Diagnose, Therapie, Nachsorge bis hin zu systemischen Aufgaben wie Public Health und Pandemiemanagement“. Hervorgehoben wird von den Autoren der Einsatz von KI-Algorithmen für Patienteninteraktion (z.B. Chatbots, Entscheidungsunterstützungssysteme, Studienrekrutierung etc.). Der Bereich mache klar, „dass maschinelles Lernen nicht nur bestehende Prozesse verbessert, sondern auch disruptive Veränderungen von Abläufen in tradierten Berufsbildern im Gesundheitswesen befeuern kann“, heißt es in leicht gespreizter Sprache im Papier.

Strategiepapiere sind immer so viel wert, wie sie Geld mobilisieren können. Clemens Wasner hat mit der Studie gehörige Probleme: „Das Konzept ist in vielen Bereichen sehr unkonkret und vage. Es gleicht eher einem Draft“, bemängelt der CEO von EnliteAI, einem auf die Anwendung von Künstlicher Intelligenz spezialisierten Unternehmen, und Gründer von AI Austria, einem unabhängigen Thinktank. „Stets ist von Evaluierung und Prüfung die Rede, ohne konkrete Maßnahmen und Finanzierungen zu nennen“, kritisiert Wasner in einem Video-Beitrag des Gründer-Magazins „Brutkasten“. Und bei den wenigen Zahlen, die genannt werden, fehle ihm der Glaube: „Bei einem genannten Investitionsvolumen von 2 Mrd. Euro bis 2030 zweifle ich am realen Hintergrund“, zumal die Hälfte des Volumens aus nicht benannten Quellen der Privatwirtschaft sprudeln soll: „Das kann sich nie ausgehen.“ Wasner wäre mit geringeren, aber realistischeren Beträgen zufrieden. Schweden habe seit 2015 rund 500 Millionen Euro sehr erfolgreich für KI-Investitionen mobilisiert: „Das wäre für unser 9-Millionen-Land die passende Benchmark.“

Falscher Sparzwang

KI-Mastermind. JKU-Professor Sepp Hochreiter wird von Google, Amazon und Tesla konsultiert. Die Autoren der staatlichen KI-Strategie haben darauf verzichtet.

Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), gilt weltweit als Vordenker aller Anwendungen von Künstlicher Intelligenz. Der unüberhörbare Bayer hat gemeinsam mit dem deutschen Informatiker Jürgen Schmidhuber 1997 die Theorie des Long Short-Term Memory (LSTM) veröffentlicht, die ursächlich für den Durchbruch der AI-Methoden ab den späten Nullerjahren war. Hochreiters LSTM-Papier zählt zu den meistzitierten KI-Arbeiten der Welt. Der Linzer Professor gilt als einer der ganz wenigen Kandidaten für den Nobelpreis, der an österreichischen Institutionen lehrt. „Die Strategie ist nicht viel mehr als nur eine Bestandsaufnahme und ein Rückblick auf versäumte Chancen“, ärgert sich Hochreiter in den Oberösterreichischen Nachrichten. Er sei „tief enttäuscht“ und finde „weit und breit keine greifbaren Mittelzusagen für den Aufbau von AI-Infrastruktur in Österreich“. Im Brutkasten-Video beschreibt er, wie „anfragende Unternehmen an Kollegen im Ausland weiterverwiesen werden müssen, weil wir nicht genügend Leute und nicht genügend Computer haben.“ Er ist sauer: „So wird Österreich zum AI-Schwellenland, das Technologie konsumiert, aber nichts dazu beiträgt.“ Hochreiter verweist auf ein Positionspapier der Österreichischen Universitätenkonferenz aus dem Jahr 2019, in dem ein eigenes AI-Institut samt entsprechender Infrastruktur und personeller Ausstattung gefordert wurde. Veranschlagt war eine jährliche Finanzierung in der Größenordnung von rund 30 Millionen Euro, um damit 10 bis 15 Forschungs- und Nachwuchsforschungsgruppen zu finanzieren. Für Prae- und Post-Doc-Stellen sowie dringend notwendige 10.000 Hochleistungs-PCs seien in den kommenden zehn Jahren nochmal 55 Mio Euro fällig: „Nichts davon finden wir in der Strategie.“

Schöne neue Welt

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens ist Hoffnungstechnologie für jene Bereiche, in denen große Mengen an Daten zu verarbeiten sind. Im Gesundheitssektor eröffnen sich große Anwendungsfelder speziell bei vier Themen: Diagnostik, Medikamentenentwicklung, individualisierte Behandlung und – mehr oder weniger umstritten – Genbehandlung.

In der Diagnostik setzen die Experten vor allem auf die Methode des Machine Learning: Dabei lernen Algorithmen, Muster ähnlich wie Ärzte zu sehen. Dafür benötigen sie aber die digitalisierten Daten von tausenden und besser Millionen von Beispielen. Daher ist Machine Learning besonders dort hilfreich, wo die vom Arzt untersuchten diagnostischen Informationen schon digitalisiert sind. Die Erkennung von Lungenkrebs oder Schlaganfällen auf der Basis von CT-Scans oder die Klassifizierung von Hautläsionen in Hautbildern sind typische Anwendungsgebiete der KI-Methodik. Je höher die Anzahl der Daten, umso treffsicherer die Diagnosevorschläge der Software. Das Besondere: Der Algorithmus liefert in Sekundenbruchteilen Hinweise, die dem Arzt wichtige Hilfestellung leisten. Kaum ein Experte geht davon aus, dass Ärzte in dem Szenario ersetzbar werden. Sie prüfen und entscheiden.

Die Chancen stehen derzeit immer schlechter, dass es die heimische Ärzteschaft dabei mit österreichischer Technologie zu tun haben wird. Aktuell nimmt der Zug der KI-Technologie gehörig Geschwindigkeit auf und Österreichs KI-Community findet sich macht- und mittellos am Bahnsteig stehen. Für KI-Professor Hochreiter ist das Anfangsmomentum der Regierungsstrategie verpufft. Sein bayrisches Naturell kennt aber keine Verzweiflung: „Es ist nie zu spät. Aber wir müssen Geld in die Hand nehmen.“    //

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