So holen Sie den Wandel ins Haus

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Autor: Stefanie Dirnbacher-Krug

Innovationsteams machen sich in immer mehr Krankenanstalten zu Dynamos des digitalen Wandels. Das vorrangige Erfolgsrezept: Kooperationen mit Start­ups

Patienten konsultieren via Videocall die Ambulanzen, Start­ups werden zu Ezzesgebern, heimische Spitalsverbünde installieren Innovationsplattformen, die die digitale Revolution in die heimischen Krankenhäuser holen. Gleichzeitig werden innovative Konzepte zu Betreuungsumfang und Servicequalität auf den Weg gebracht. „Spitäler, die nicht innovativ sind, werden an Marktbedeutung verlieren“, ist Roland Falb überzeugt, Managing Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger. Er beobachtet aber auch die Mechanismen der Marktwirtschaft: „Öffentliche Spitäler sehen hier weniger Handlungsbedarf. Für privat finanzierte Spitäler ist Innovation ein absolutes Muss.“ Neuerung sei eine der drängendsten Aufgaben des Managements – und zwar auf jeder Führungsebene. „Innovation bedeutet immer auch Verän­ derung. Und da Organisationen grundsätzlich veränderungsresistent sind, muss der Wandel von oben entwickelt und getragen werden“, nimmt der Organisationsberater Chefs und Chefinnen in die Pflicht.

Papierloses Krankenhaus

Mit rund 8.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sieben Krankenhäusern, zwei Pflegehäusern, der HerzReha Bad Ischl und weiteren Gesundheitsunternehmen ist die Vinzenz Gruppe einer der größten privaten Träger von gemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen in Österreich. Der von fünf Ordensgemeinschaften getragene Verbund hat einen Prozess zur Entwicklung einer umfassenden Innovationsstrategie aufgesetzt. Ergebnis war 2019 die Gründung einer Organisationseinheit für Innovationsmanagement: Seither werden Zukunftstrends im Gesundheitswesen identifiziert. Und es wird geprüft, wieweit die eigenen Häuser davon profitieren können. Das erste Projekt galt der Einrichtung einer Online­Ambulanz. „Die digitale Lösung für die Ambulanz wurde aus der Not der Zeit geboren. Menschen mit einer chronischen Erkrankung hatten Angst, sich in den Gesundheitseinrichtungen mit COVID­19 zu infizieren“, schildert Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe. Eine lückenlose Einführung telemedizinischer Einrichtungen in allen Vinzenz­Häusern wurde in Angriff genommen. Nach Umsetzung soll eine Projektevaluierung zeigen, wo die Stärken und Schwächen des Vorhabens liegen.

Ein anderes Innovationsprojekt befindet sich ebenfalls im Roll­out: Die „Elektronische Fieberkurve“ ist eine gemeinsame digitale Patientendokumentation von Pflege und Medizin. Sie soll in den kommenden fünf Jahren in allen Häusern der Vinzenz Gruppe die bisherige Krankenakte ersetzen. „Unser Ziel ist ein papierloses Krankenhaus und eine volldigitalisierte Patientendokumentation“, sagt Heinisch.

Folgt man dem Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesundheitseinrichtung (Gesamtumsatz von 855 Millionen Euro), wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen strukturelle Verschiebungen nach sich ziehen: „Es wird sich viel außerhalb der traditionellen Krankenhausstrukturen abspielen, über Telekonsultationen oder Apps. Mit der Digitalisierung und mit Sensoren können Patienten viele Gesundheitsdienstleistungen von wo auch immer in Anspruch nehmen.“ Heinisch betont, dass die Technologie immer nur Mittel zum Zweck sein werde: „Unsere Spitäler werden nie zu Technologiezentren werden. Das Ziel ist immer, dass Patienten von Menschen behandelt werden. Die Technologie soll dabei unterstützen.“

Start-ups als Ideengeber

Um den Anforderungen gerecht zu werden, braucht es laut Unternehmensberater Falb ein institutionalisiertes Innovationsmanagement. Eine der zentralen Aufgaben ist dabei die strategische Suche nach innovativen Lösungen. Im Consulter­Sprech wird dies als Ideen­Scouting bezeichnet. „Start­ups sind eine der wichtigsten Quellen für neuartige Ansätze. Sie liefern im Gesundheitsbereich circa 80 Prozent der innovativen Ideen.“

Eine intensivere Einbindung von Start­ups verfolgen auch das AKH Wien und die Meduni Wien mit der Errichtung eines Technologieforschungszentrums am gemeinsamen Standort von AKH Wien und MedUni Wien im 9. Wiener Gemeindebezirk. Baubeginn für das „Forschungsgebäude der Translationalen Medizin“ ist 2022, die Fertigstellung ist für 2025 geplant. „Mit dem Forschungszentrum bündeln wir das Know­how am Standort“, erzählt Herwig Wetzlinger, Direktor des Universitätsklinikums AKH Wien. Bei baulichen Innovationen sei auch die Einbindung der Mitarbeiter für Wetzlinger „unabdingbar“. Im AKH Wien sorgen rund 25 Innovationsbotschafter dafür, dass die Belegschaft frühzeitig Informationen über neue Vorhaben erhält. Auf einer digitalen Innovationsplattform können Mitarbeiter Ideen einbringen und Input zu konkreten Projekten abgeben.

Innovationskonzept zur Modernisierung des AKH

Die Innovationsplattform ist Teil eines eigenen Innovationskonzeptes mit dem Namen „Vienno“. Dieses wurde anlässlich des Auftrags zur Modernisierung des AKH Wien entwickelt. „Es geht darum, innovative Inhalte und Impulse für technologische Entwicklungen zu bündeln“, erklärt Wetzlinger. Herzstück von Vienno ist ein fünfköpfiges Innovationsteam, das Ideen aufbereitet. In Folge entscheidet ein eigenes Managementteam über Nutzen und Umsetzung.

Seit 2016 wurden vier Projekte im Rahmen von Vienno umgesetzt, darunter die App „digitaler Wegweiser“, die es Patienten, Besuchern und Mitarbeitern erleichtert, sich im Krankenhaus zurechtzufinden. Die Innovationsmaßnahmen werden aus dem rund 1,4 Milliarden­Euro­Paket finanziert, das Bund und Stadt Wien für die Modernisierung und technische Aufrüstung des AKH zur Verfügung stellen. Welche Ersparnisse die Innovationen bisher gebracht haben, kann Wetzlinger nicht beziffern, er verrät nur so viel: „Bei den baulichen Innovationsmaßnahmen sind Einsparungen bei den Betriebskosten in der Höhe von bis zu vier Prozent möglich.“

Digitalisierung bei Schnittstellen vorantreiben

In Sachen Digitalisierung stellt Wetzlinger dem AKH ein gutes Zeugnis aus: „Wir sind schon volldigitalisiert, alle Daten sind von überall aus abrufbar.“ Potenzial ortet er noch bei den Schnittstellen zwischen intra­ und extramuralem Bereich. „Das ist hauptsächlich ein Problem der unterschiedlichen Finanzierung.“ Die Finanzierung sei auch eine Herausforderung für die künftige Innovationstätigkeit von öffentlichen Spitäler. „Angesichts der finanziellen Enge ist es schwierig, ein hohes Maß an Leistung aufrechtzuerhalten und innovativ zu sein“, so Wetzlinger.

FÜNF TRENDS DES WANDELS

  • Serviceorientierung: „Das Bild eines Spitals als Versorger, der darauf wartet, dass die Patienten einfach zu ihm kommen, ist überholt. Patienten sind informierter, selbstbewusster und fordernder. Sie erwarten sich, nicht nur medizinisch bestens betreut zu werden, sondern haben auch Ansprüche organisatorischer Art, etwa dass die Terminfindung unkompliziert abläuft, sie nicht stundenlang in der Ambulanz warten müssen oder dass sie unbürokratisch mit dem Arzt in Kontakt treten können“, sagt Roland Falb, Managing Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger.
  • Zunehmende Ambulantisierung: Die stationäre Auslastung wird zurückgehen und sich in den ambulanten Bereich verschieben. „Das bedeutet nicht, dass man in jedem Krankenhaus stationäre Betten reduzieren muss. An manchen Standorten kann es sogar Sinn machen, die Bettenanzahl zu erhöhen, wenn zum Beispiel medizinische Zentren gebildet werden. Der medizinische Fortschritt lässt aber zu, dass viele Indikationen heute ambulant behandelt und nachversorgt werden können. Dies erfordert auch, dass die Aufgabenteilung zwischen dem intra- und dem extramuralen Bereich neu gedacht werden muss“, so Falb.
  • Plattformkonzepte: „Patienten erwarten sich eine Versorgung, die bereits bei der Prävention ansetzt und über den Spitalsaufenthalt im Sinne von Rehabilitation und Pflege hinausgeht“, sagt Falb. Insbesondere zwischen Spitalsaufenthalt und nachgelagerter Rehabilitation und Pflege brauche es daher mehr Durchlässigkeit. „Plattformkonzepte, bei denen Gesundheitsleistungen vor, während und nach dem Spitalsaufenthalt angeboten werden, sind die Lösung für diese Brüche in der Versorgung“, erklärt Falb.
  • Fachzentrenbildung: Spitäler setzen zunehmend Schwerpunkte und müssen nicht mehr von der Hüftoperation bis zum Schlaganfall alle medizinischen Fachrichtungen abdecken. Laut einer von der Vinzenz Gruppe beauftragten Ifes-Umfrage in der Bevölkerung beurteilen mehr als die Hälfte der Befragten solche Spezialisierungen als positiv unter der Voraussetzung, dass eine Notfallversorgung auch in spezialisierten Zentren gewährleistet ist.
  • Prozessoptimierung und Qualitätssteigerung: Während die Automatisierung von Verwaltungstätigkeiten in Spitälern State of the Art ist, ermöglicht die Digitalisierung einen besseren Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Berechtigten und damit eine bessere Interaktion zwischen Experten.

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