Digitale Arbeits- und Dokumentations­prozesse in der Langzeitpflege

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: GGZ

Trends und Lösungsansätze.

Die Alterung der Bevölkerung und der Fachkräftemangel setzen das österreichische Langzeitpflegesystem unter erheblichen Druck. Während im Jahr 2013 in Österreich 73.191 Menschen durch stationäre Dienste betreut wurden, waren es im Jahr 2021 bereits 96.338 Personen, was einem Anstieg von rund 32% entspricht (1). Aufgrund umfangreicher Dokumentationspflichten und der gleichzeitigen Betreuung einer hohen Anzahl von pflegebedürftigen Personen sind Pflegekräfte erheblich be­lastet (2).

Die Erfassung, Dokumentation und Aufbereitung von pflegerelevanten Informationen ist für die Pflegequalität unerlässlich. Dieser zeitaufwendige Arbeitsprozess birgt aber viele Fehlerquellen. Rund 32% der in der Altenpflege Beschäftigten in Österreich fühlen sich durch Zeitdruck sehr oder ziemlich belastet (3). Aufgrund der hohen Belastung durch bürokratische Aufgaben sieht das deutsche Bundesministerium für Gesundheit in seiner im Vorjahr veröffentlichten „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ erhebliches Potenzial in digitalen Möglichkeiten zur Datenerfassung und Pflegedokumentation (4). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Digitalisierung als effizienzsteigernde Maßnahme wird ebenfalls in der Pflegepersonal-Bedarfsprogno­se für Österreich empfohlen (5).

In Bezug auf die Digitalisierung gibt es im Branchenvergleich für das (österreichische) Gesundheitswesen allerdings noch Luft nach oben. Österreich liegt zwar beim Bertelsmann Digital-Health-Index, welcher aus den Sub-Indizes (1) politische Tätigkeit, (2) Digital Health Readiness und (3) Tatsächliche Nutzung von Daten besteht, im D-A-CH-Vergleich an der Spitze, allerdings im OECD-Ranking lediglich im Mittelfeld. Zu den Ländern mit den höchsten Digitalisierungsgraden zählen Estland, Kanada und Dänemark (6).

Digitale Arbeits- und Dokumentationsprozesse als vielversprechende Lösung?

Obwohl die Pflege eine wissensintensive Tätigkeit ist, die digital unterstützt werden kann (7), werden insbesondere Einrichtungen der Langzeitpflege aufgrund der Bedeutung von zwischenmenschlicher Interaktion und Fürsorge häufig als weniger digitalisierbar wahrgenommen. Fehlendes Know-how über digitale Lösungen am Markt, knappe finanzielle Ressourcen, mangelnde Akzeptanz der Beschäftigten sowie wenig ausgereifte Technologien hindern ebenfalls die digitale Transformation von Pflegeheimen (8). Dennoch hält die Digitalisierung im Gesundheitswesen zunehmend Einzug in Pflegewohnheime, um den Bewohnerinnen und Bewohnern ein angenehmes Leben in sicherer Umgebung zu ermöglichen. Dabei können Technologien wie Cloud-Lösungen, Künstliche Intelligenz, Informationsmanagementsysteme, digitale Gesundheitsanwendungen, Überwachungssysteme, Telekommunikation, Active and Assisted Living-Anwendungen oder Robotik zum Einsatz kommen (9).

Wissenschaftliche Evidenz zur Einführung von Gesundheitsinformationstechnologien in Pflegewohnheimen wurde bisher primär im Bereich Zufriedenheit und Benutzerfreundlichkeit von Systemen gesammelt (10). Die Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bewohnerinnen und Bewohner, die Pflegequalität und Sicherheit der Gepflegten durch die Nutzung von Informationstechnologien wurden bislang nur wenig erforscht (10). Eine Erhebung des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft und des Zentrums für Qualität in der Pflege ergab, dass die Einstellung zu neuen Technologien je nach Funktionsbereich der Pflege variiert: Die Akzeptanz für elektronische Dokumentationsverfahren war unter Fachkräften in der Langzeitpflege deutlich höher als jene von Lösungen, welche bei sozialen und emotionalen Tätigkeiten unterstützen sollen (z.B. Pflegeroboter oder Tablets für therapeutische Aktivitäten) (11).

Mobile Pflegedokumentationsanwendungen haben den Vorteil, Informationen und Daten (z.B. Vitalwerte, Biometrie, Speiseprotokolle, Wundbilddokumentation) über die allgemeine und aktuelle Situation einer pflegebedürftigen Person direkt am Ort der Patientenversorgung mit mobilen und dezentral verteilten Endgeräten wie Tablets zu erfassen (12). Die dadurch einheitlich erfassten und in Echtzeit verfügbaren Daten in der Pflegedokumentation sollen den Informationsfluss erleichtern und das Sicherheitsgefühl von Pflegenden steigern, da wissensbasiert, zeitnah und bedarfsgerecht gehandelt werden kann (4, 12). Durch die Digitalisierung der Datenerfassung und automatisierte Übertragung in das Krankenhausinformationssystem können Fehler vermieden und Zeit für den Kontakt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gewonnen werden.

Gegenwärtige Entwicklungen deuten darauf hin, dass schon bald ausgereiftere Lösungen zum Einsatz kommen werden. Beispielhaft können komplexe Dokumentationssysteme schon heute Daten aus Monitoringsystemen wie Inkontinenz-Feuchtesensoren, Sturzdetektoren oder Wearables automatisch erfassen und in die Pflegedokumentation übertragen (11, 13, 14). Durch Integration von Künstlicher Intelligenz können Daten in strukturiertes Wissen verarbeitet werden und als Frühwarn- und Entscheidungsfindungssystem fungieren. Dadurch ist es möglich, Zusammenhänge zwischen biometrischen Daten und Risiken wie Stürzen bei Bewohnerinnen und Bewohnern früher zu erkennen und im Idealfall zu vermeiden (14).

Erfolgsfaktoren im Umgang mit Systemen zur digitalen Datenerfassung und Dokumentation sind Kompetenzen zu Datenschutz und -sicherheit, zur Bedienbarkeit von Systemen sowie zur Interpretation von großen Mengen an sensiblen Daten (11, 15). Die aktuelle Studienlage zeigt, dass digital kompetente Pflegekräfte eher geneigt sind, neue Technologien im Pflegealltag einzusetzen als weniger digital affine (15), was eindeutig für Fort- und Weiterbildung von Pflegekräften im Bereich der Digitalisierung spricht.

Wie die digitale Transformation von Langzeitpflegeeinrichtungen gelingen kann

Damit beschäftigt sich das Interreg CENTRAL EUROPE Projekt „DigiCare4CE – Digital transformation of long-term care facilities for older people“ (CE0100038). Das Albert Schweitzer Institut arbeitet in diesem Projekt mit Partnerinnen und Partnern aus Deutschland, Tschechien, Österreich, Italien, Polen, Slowenien und der Slowakei zusammen, um Pflegewohnheime bei der Einführung von Innovationen und neuen Technologien zu unterstützen.

DigiCare4CE verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz zur digitalen Transformation: Im ersten Schritt wird ein transnationales Modell entwickelt, welches am Markt verfügbare Technologien beschreibt, bewertet und digitale Ausbaustufen von Langzeitpflegeeinrichtungen klassifiziert.

Im Rahmen von Pilotaktionen wird die Einführung von neuen Technologien praktisch erprobt. Basierend darauf werden Innovationspläne erstellt, die den Zeithorizont, Maßnahmen und Empfehlungen für die Digitalisierung von Langzeitpflege­einrichtungen definieren. Das von März 2023 bis Februar 2026 umgesetzte Projekt wird von der Europäischen Union kofinanziert.

Erstveröffentlichung:
Dohr, S., Berger, U. & Sauseng, K. (2023).
Digitale Arbeits- und Dokumen­tationsprozesse in der Langzeit­pflege, ProCare, 28(5): 46-49.

Autorinnen:

Sandra Dohr, BA MA
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Albert Schweitzer Institut der Geriatrischen Gesundheitszentren

Mag.a (FH) Dr.in Judith Goldgruber
Leiterin des Albert Schweitzer Instituts der Geriatrischen Gesundheitszentren

Openerbild – Foto: Salon Stolz / Stella Kager

Literaturverzeichnis:
1 Statistik Austria. (2022). Pflegedienstleistungsstatistik – Teilstationäre Tagesbetreuung, stationäre Betreuungs- und Pflegedienste, Kurzzeitpflege in stationären Einrichtungen und alternative Wohnformen. Zugriff am: 03.05.2023. Verfügbar unter: https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/sozialleistungen/betreuungs-und-pflegedienste
2 OECD. (2020). Who Cares? Attracting and Retaining Care Workers for the Elderly. OECD Health Policy Studies. Paris: OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/92c0ef68-e.
3 Schönherr, D. (2021). Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen. Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index. Bericht des SORA Institutes: Wien. Im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
4 Bundesministerium für Gesundheit. (2023). Gemeinsam digital. Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege. Zugriff am: 03.05.2023. Verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/digitalisierungsstrategie.html
5 Rappold, E. & Juraszovich, B. (2019). Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Wien.
6 Bertelsmann Stiftung. (2019). #SmartHealthSystems. International comparison of digital strategies. Zugriff am: 02.05.2023. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/en/publications/publication/did/smarthealthsystems-1
7 Hübner, U., Egbert, N., Hackl, W., Lysser, M., Schulte, G., Thye, J. & Ammenwerth, E. (2017). Welche Kernkompetenzen in Pflegeinformatik benötigen Angehörige von Pflegeberufen in den D-A-CH-Ländern? Eine Empfehlung der GMDS, der ÖGPI und der IGPI. GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, 13(1).
8 Ko, M., Wagner, L., & Spetz, J. (2018). Nursing Home Implementation of Health Information Technology: Review of the Literature Finds Inadequate Investment in Preparation, Infrastructure, and Training. Inquiry : a journal of medical care organization, provision and financing, 55, 46958018778902. https://doi.org/10.1177/0046958018778902
9 Zhao, Y., Rokhani, F. Z., Shariff Ghazali, S., & Chew, B. H. (2021). Defining the concepts of a smart nursing home and its potential technology utilities that integrate medical services and are acceptable to stakeholders: a scoping review protocol. BMJ open, 11(2), e041452. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2020-041452
10 Bail, K., Gibson, D., Acharya, P., Blackburn, J., Kaak, V., Kozlovskaia, M., Turner, M., & Redley, B. (2022). Using health information technology in residential aged care homes: An integrative review to identify service and quality outcomes. International journal of medical informatics, 165, 104824. https://doi.org/10.1016/j.ijmedinf.2022.104824
11 Zentrum für Qualität in der Pflege. (2019). ZQP-Report. Pflege und digitale Technik. Zugriff am: 28.04.2023. Verfügbar unter: https://www.zqp.de/digitalisierung-pflege/
12 Urban, M., Schulz, L. (2020). Digitale Patientendokumentationssysteme. Potenziale, Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten. In: Bleses, P., Busse, B., Friemer, A. (eds) Digitalisierung der Arbeit in der Langzeitpflege als Veränderungsprojekt. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-60874-6_6
13 Bertelsmann Stiftung. (2021). Potenziale einer Pflege 4.0. Wie innovative Technologien Entlastung schaffen und die Arbeitszufriedenheit von Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege verändern. Zugriff am: 03.05.2023. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/potenziale-einer-pflege-40-all
14 Seibert, K., Domhoff, D., Bruch, D., Schulte-Althoff, M., Fürstenau, D., Biessmann, F., & Wolf-Ostermann, K. (2021). Application Scenarios for Artificial Intelligence in Nursing Care: Rapid Review. Journal of medical Internet research, 23(11), e26522. https://doi.org/10.2196/26522
15 Brown, J., Pope, N., Bosco, A. M., Mason, J., & Morgan, A. (2020). Issues affecting nurses‘ capability to use digital technology at work: An integrative review. Journal of clinical nursing, 29(15-16), 2801–2819. https://doi.org/10.1111/jocn.15321

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