Herzenssachen

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Autor: Alexandra Keller

Im Herbst 2021 wurde in Innsbruck erstmals ein schlagendes „Herz aus der Box“ implantiert. Mit der revolutionären Transportlogistik kann der Kreis der Organspender deutlich erweitert werden.

Die Wirkung der Bilder ist bewegend. Es ist ein Herz, das da in einem Plastikbeutel schlägt und schlägt und schlägt. Man sieht das Blut in den Schläuchen, die wie Tentakel aus dem Beutel ragen. Man spürt hochkomplexe Technik in der recht kleinen Maschine, die das Herz dazu bringt, weiter zu schlagen. Isoliert, losgelöst von dem Menschen, für den es bis jetzt geschlagen hat, und noch ohne Verbindung zu dem Menschen, für den es künftig schlagen soll. Es gehört für Herzchirurgen und -chirurginnen zum Alltag, ein Herz an der Herz-Lungen-Maschine gezielt in einen Zustand der Ruhe überzuführen und anschließend in eine Herzaktion zurückzubringen. „Wenn man aber das erste Mal ein menschliches Herz außerhalb des Körpers zum Schlagen bringt, ist das magisch und beeindruckend“, erinnert sich Julia Dumfarth an ihren ersten Eingriff. Sie ist seit 2018 Leiterin des Herztransplantationsprogramms an der Innsbrucker Uni-Klinik. Dort hat sie im Oktober 2021 die erste Transplantation eines schlagenden, durchbluteten und warmen Herzens „aus der Box“ koordiniert und durchgeführt. Diese Box ist ein kompaktes High-Tech-Gerät, das von der US-amerikanischen Firma Transmedics entwickelt wurde. Die Organ-Transport-Maschinen für Leber, Lunge und Herz werden unter der Trademark OCS (Organic Care System) auf den Markt gebracht.

Shooting-Star.
Julia Dumfarth ist Leiterin des Herztransplantationsprogramms an der Innsbrucker Uni-Klinik. Sie leitete den ersten „Herz in der Box“-
Einsatz und führte die 500. Herztansplantation an der Innsbrucker Uni-Klinik durch.

Seit Christian Barnard im Dezember 1967 die erste Herztransplantation erfolgreich durchführte, ist die operative Technik weitgehend unverändert geblieben. Verändert hat sich die Welt rund um den OP. Beispielsweise hat die Weiterentwicklung der Medikamente, mit denen das Immunsystem der Patienten unterdrückt wird, Schritte mit Sieben-Meilen-Stiefeln gemacht. Das „Herz in der Box“ ist ein Meilenstein in der technologischen Entwicklung. „Damit beginnt eine neue Zeitrechnung in der Herztransplantation“, ist Michael Grimm, Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Herztransplantationen, überzeugt.

Königsdisziplin der Logistik

Zeit ist der kritischste Faktor bei einer Herztransplantation. Nach dem Abklemmen von der Blutversorgung bleiben vier Stunden, in denen ein Herz stillstehend und gekühlt vom Spenderkrankenhaus zum Empfängerkrankenhaus transportiert werden kann. Kalte Ischämiezeit wird diese Zeitspanne genannt. „Ein Überschreiten von vier Stunden beeinträchtigt die Funktion des Herzens nach der Implantation maßgeblich“, erklärt Dumfarth.

Bei einer kalt transportierten Lunge beträgt die Ischämiezeit höchstens acht Stunden, bei der Leber bilden zehn Stunden die entscheidende Grenze und bei Nieren können 20 Stunden in Notfällen zwar überschritten werden, sollten sie aber nicht.

Da beim Herzen die Uhr am schnellsten tickt, bildet der Organtransport so etwas wie die Königsdisziplin der Transplantationslogistik. Es ist nie vorhersehbar, wann oder wo ein passendes Spenderherz zur Verfügung steht. Alle Akteure befinden sich ständig am Sprung. „In der Organisation einer Herztransplantation spielen viele Berufsgruppen zusammen. Sie arbeiten als ein perfekt eingespieltes Team“, weiß Dumfarth. Als Verantwortliche des Herztransplantationsprogramms müssen nicht nur sie oder ihr Vertreter rund um die Uhr in Bereitschaft stehen, für die potenziellen Empfänger gilt das ebenso.

Dreh- und Angelpunkt für den internationalen Austausch von Spenderorganen ist die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant, die 1967 ins Leben gerufen und 1969 ganz offiziell gegründet wurde. Nach wie vor ist der Sitz der Organisation im niederländischen Leiden und neben Österreich zählen Belgien, Kroatien, Deutschland, Ungarn, Luxemburg, die Niederlande und Slowenien zu den Staaten des Eurotransplant-Netzwerkes, das in Einwohnern gerechnet rund 137 Millionen Menschen umfasst. Die Aufmerksamkeit von über 80 Transplantationszentren in den Netzwerk-Ländern ist stets auf die Vermittlungsstelle in Leiden gerichtet, um im Bedarfsfall den lebensrettenden Reigen zu starten.

In Österreich werden am AKH Wien und an den Unikliniken Graz und Innsbruck Herztransplantationen durchgeführt. In Innsbruck warteten Mitte Jänner 2022 beispielsweise 14 Patient:innen auf ein Spenderherz. Alle potenziellen Empfänger:innen sind bei Eurotransplant gelistet, und sobald der Organisation ein Organspender oder eine Organspenderin gemeldet wird, werden die relevanten Daten mit denen der in Leiden gelisteten Personen „gematcht“. Gibt es einen Treffer, bedeutet das den Startschuss für die Transplantationskoordination vor Ort.

Kompakt und komplex.
Mit der neuen Transporttechnologie aus den USA hoffen die Mediziner die Tansplantationsrate um 20 bis 30 Prozent steigern zu können.

Der Wettlauf beginnt. Erst wird der Empfänger benachrichtigt und auf schnellstem Weg in die Klinik gebracht. Parallel dazu eilt das Explantationsteam – zu dem Herzchirurg:innen, Kardiotechniker:innen und Perfussionist:innen zählen – mit einem Rettungstransport zum Flughafen und startet mit einem Ambulanzjet in Richtung Spenderkrankenhaus. Nur wenn das Spenderkrankenhaus in einem Radius von zwei Hubschrauberstunden liegt, kann auf den Jet verzichtet werden. Im Spenderkrankenhaus wird das Organ sprichwörtlich auf Herz und Nieren untersucht. Besteht es die entscheidende Prüfung, wird das Implantationsteam im Empfängerkrankenhaus verständigt. Während die Narkose des Empfänger-Patienten eingeleitet wird, wird im fernen Krankenhaus das Herz explantiert. Mit der Trennung des Herzens vom Blutkreislauf beginnt die Uhr der Ischämie zu ticken. Die Piloten wie auch die Fahrer der Bodentruppen sind gut geschult. Für sie gelten die Regeln des Blaulichts. Während der Jet mit dem Spenderherzen startet, wird im Empfängerkrankenhaus das kranke Herz frei gelegt und an die Herz-Lungen-Maschine genommen. Erst nachdem das Spenderherz in der Klinik angekommen ist, wird das kranke Herz von der Blutversorgung abgetrennt.

Mehr Zeit für’s Herz

Noch sind nicht alle wissenschaftlichen Fakten gesichert. Aber der an die 4-Stunden-Regel gekettete Zeitdruck, der mit einer Herztransplantation verbunden ist, könnte sich durch das „Herz in der Box“ entspannen. Mit der gewonnenen Zeit erweitert sich der Einzugsbereich möglicher Organspenden. „Dadurch, dass Spenderherzen länger und unter optimaleren Bedingungen außerhalb des Körpers überleben, stehen uns mehr Herzen zur Verfügung und wir hoffen, so mehr Patientinnen und Patienten helfen zu können“, erklärt Klinikdirektor Grimm die Bedeutung dieser Innovation. Auf die Frage, wie lange ein Herz in der Maschine funktionsfähig bleiben kann, ergänzt Julia Dumfarth: „Grundsätzlich gibt es kein offizielles Limit. Derzeit beschreiben die meisten Zentren sehr gute Erfolge mit einer Perfusionszeit von etwa sechs Stunden.“ Das Cedars-Sinai-Krankenhaus in Los Angeles verfügt über das weltweit größte Herztransplantationsprogramm für Erwachsene. „Wir hoffen, dass wir die Transplantationsrate mit dieser Art von Gerät um etwa 20 % oder 30 % steigern können“, heißt es im Blog des US-Spitals.

In Tirol sind die Erfolge bereits sichtbar. Dem Patienten, der in Innsbruck das erste warme und schlagende Herz empfangen hat, geht es „exzellent“. Dumfarth: „Er kommt zu seinen Routinekontrollen und ist bereits wieder aktiv.“    //

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