Der ärztliche Direktor des Psychosomatischen Zentrums Waldviertel Fritz Riffer hat die psychiatrische Rehabilitation in Österreich von ihren Anfängen an begleitet. Der Mangel an Nachbetreuung und Fehlzuweisungen lassen viele Reha-Maßnahmen ins Leere laufen.
Herr Riffer, wie steht es um die psychiatrische Rehabilitation in Österreich?
Fritz Riffer: In den vergangenen 25 Jahren ist viel Positives passiert. 2003 sind mit Bad Hall und Klagenfurt die ersten beiden Kliniken eröffnet worden: Diese Pilotprojekte haben bewiesen, dass das Konzept der psychiatrischen Rehabilitation funktioniert. Dies hat Eingang gefunden in den Rehaplan. Heute sind wir in Summe bei rund 2000 Reha-Plätzen. Davon sind 1500 stationär, der Rest umfasst die ambulanten Plätze. Die durchschnittliche Wartezeit liegt bei drei bis vier Monaten. Das entspricht im Wesentlichen dem medizinischen Anspruch.
Ist ein Reha-Platz so gut wie der andere?
Ursprünglich mussten wir mit einem recht starren Leistungskonzept arbeiten. Nach dem Motto, je mehr desto besser, mussten die Patienten 20 Therapiestunden pro Woche absolvieren, wobei die einzelnen Bereiche genau vorgegeben waren. Aber Patienten sind unterschiedlich. Durch gute Einbindung der ärztlichen Leiter konnte das Leistungsprofil besser auf die Betroffenen abgestimmt werden.
Kein Schatten bei dem vielen Licht?
Leider wurden wir Fachärzte bei der jetzt gerade laufenden Anpassung des Leistungsprofils sehr spät und nur randständig eingebunden. Die Gründe dafür kennen wir bis heute nicht. Die PVA hat keine psychiatrische Expertise und so wird unsinnigerweise vieles aus dem somatischen Bereich übernommen, was sich als sehr kontraproduktiv erweist. Wir sehen mit großer Sorge in die Zukunft. Ein anderer wichtiger Punkt ist der ungeregelte Zugang zur psychiatrischen Rehabilitation. Es gibt bei psychischen Störungen keine Behandlungspfade für Patienten. Ein Patient mit psychischen Problemen, der seinen Hausarzt konsultiert, erfährt vielerlei Ratschläge. Er kann zur Psychotherapie verwiesen werden. Der andere Arzt weist zum Psychiater zu und der dritte schickt den Patienten gleich in die psychiatrische Reha, der vierte meint, warten wir lieber mal ab, ich gebe Ihnen ein Antidepressivum. Das heißt, der Zugang zu einer geeigneten Behandlung ist nach wie vor ein recht ungeordneter.
Prim. Dr. Fritz Riffer ist seit 2014 ärztlicher Direktor des Psychosomatischen Zentrums Waldviertel (PSZW) mit den Standorten Gars am Kamp und Eggenburg. Er ist seit drei Jahrzehnten in verschiedenen sozial psychiatrischen Leitungsfunktionen. Geboren 1960 in Hollabrunn, aufgewachsen in Retz. Studium der Medizin in Wien, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapeut.
Wie kann die Zuweisung zielgenauer werden?
Es braucht mehr Aufklärung unter den nicht-psychiatrischen Fachärzten. Es ist bei vielen Zuweisern immer noch nicht klar, was Reha bietet und leisten kann. Gleichzeitig wäre es klug, bei der Beurteilung der Anträge Psychiater einzubinden. Sie stellen aufgrund ihrer Erfahrung die richtigen Fragen. Aktuell haben wir noch zu viele Fehlzuweisungen. Wir müssen wiederholt Patienten in der ersten Woche gleich wieder heimschicken.
Wer entscheidet jetzt, ob ein Patient in der psychiatrischen Reha aufgenommen wird?
Die Pensionsversicherungsanstalt ist der Hauptvertragspartner fast aller psychiatrischen Rehabilitationseinrichtungen. Dort werden die Anträge geprüft. Unsere Patienten sind in erster Linie Menschen, die im Berufsleben stehen oder berufslebensnahe sind.
Berufslebensnahe?
Dabei handelt es sich um Patienten, die beispielsweise wegen Depressionen in einem Langzeitkrankenstand sind oder arbeitslos. Bei dieser Gruppe besteht eine gute Chance, dass sie bei richtiger Behandlung wieder in den Arbeitsalltag einsteigen. Bei uns lautet die mit Abstand häufigste Zuweisungsdiagnose Burn-out. Das heißt: Die Betroffenen sind in der Arbeit überfordert. Sie isolieren sich, ihre Stimmung ist schlecht, Sozialkontakte werden eingeschränkt, der Schlaf ist gestört. Bei langer Dauer oder Zunahme der Symptomatik wird das Burn-out zur Depression oder Angststörung. Bei diesen Patienten kann ich sagen, dass sie nach einer sechswöchigen, selten achtwöchigen Rehabilitation nach Hause entlassen werden und wirklich gut von unseren Behandlungen profitieren. Die Patienten werden wieder ins Berufsleben integriert. Von den Burn-out-Patienten sehen wir kaum jemanden ein zweites Mal. Die Reha ist meist erfolgreich.
Von Burn-out-Patienten kann ich sagen, dass sie wirklich gut von unseren Behandlungen profitieren.
Wo hat eine psychiatrische Rehabilitation ihre Grenzen?
Bei rund einem Drittel der Patienten, die zu uns geschickt werden, stellt sich heraus, dass der Grund für ihre Langzeitarbeitslosigkeit oder ständigen Jobwechsel schwerwiegendere psychiatrische Erkrankungen sind. Das sind beispielsweise Bipolarstörungen, die man früher manisch-depressive Erkrankung genannt hat. Oder Persönlichkeitsstörungen, die fallen einem Hausarzt nicht gleich auf. Andere Patienten haben mittlere oder schwere Traumata, die sie oft beim Facharzt oder beim Hausarzt nicht angeben. Diese Fälle können wir diagnostizieren, aber wir können sie mit unseren Mitteln nur unzureichend therapieren. Es gelingt uns zwar in der Regel, sie zu stabilisieren. Abert meist kommen diese Patienten ein zweites und ein drittes Mal zu uns, weil sie im Alltagsleben wieder schwere Symptome entwickeln.
Welche Vorgangsweise fordern Sie?
Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder schweren Traumafolgestörungen benötigen eine spezialisiertere Form der Behandlung. Das ist meine Hauptkritik am gegenwärtigen Reha-Konzept, die einfach nicht gehört werden will. 2007 wurden Eggenburg und Bad Aussee, zwei psychosomatische Kliniken, ins Leben gerufen. Eggenburg ist genau auf diese Patientengruppen spezialisiert. Das kostet allerdings mehr Zeit und Geld, das nicht zur Verfügung gestellt wird. Für mich ist das ein Paradebeispiel der Ineffizienz unseres Gesundheitssystems. Auch im Leistungsprofil ist das Wieder-„Funktionieren“ der Patienten am wichtigsten. Das kann aber nur gelingen, wenn die dahinterstehende psychische Störung suffizient behandelt wird.
Für unsere Leser: Eggenburg gehört gemeinsam mit dem Reha-Zentrum Gars zum Psychosomatischen Zentrum Waldviertel. Mehrheitseigentümer ist das Land NÖ mit der Vamed als privatem Partner. Sie haben in Eggenburg wie in Gars die ärztliche Leitung inne …
Richtig. Wir haben in Eggenburg in der Klinik etwa ein Viertel bis maximal ein Drittel Patienten, die noch im Arbeitsalltag stehen oder Chancen haben, dorthin zurückzukehren. In der Reha-Klinik Gars sind dies immerhin zwei Drittel, die wieder in das Berufsleben eintreten. Das ist schon ein starker Hinweis, dass die Klientel unterschiedlich ist.
Wie äußern sich die unterschiedlichen Krankheitsbilder?
Patienten mit schwerwiegenden Persönlichkeitsproblemen haben in der Psych-Reha keine ausreichende Betreuung. Sie fühlen sich nicht wohl und verspüren häufig zu wenig Besserung, was den allgemeinen Reha-Betrieb beeinflusst. In den psychosomatischen Kliniken, die auf diese Fälle spezialisiert sind, gibt es aber viel zu wenig Plätze. Wir haben in Eggenburg bis zu zwei Jahre Wartezeit.
Ist mit der Entlassung aus der Reha der Genesungsprozess zu Ende?
Für viele Patienten: Ja. Ich habe in den letzten drei Jahren in zwei Studien untersucht, wie viele Patienten nach einem Aufenthalt in Gars und in Eggenburg eine weiterführende Behandlung erhalten. Das Ergebnis war erwartet schlecht: Nur jeder zweite Patient, der entlassen wird, bekommt eine weitere Begleitung. In der Systematik entspricht das, was wir hier machen, sozusagen der Reha-Phase II. Es gibt dann noch eine nachgeordnete Reha-Phase III, die im Bereich der somatischen Medizin (bei körperlichen Gebrechen, Red) schon ganz gut entwickelt ist. Man kann heute nach einem Unfall eine Reha II machen und geht dann noch ein Jahr ambulant in die Reha-Phase III, wo die weitere Gesundung überwacht und begleitet wird. Bei Behandlungen der Phase III stehen wir in der Psych-Reha erst am Anfang. Auch unsere Patienten sollen nach einer sechswöchigen Reha bei uns noch ein halbes, besser ein ganzes Jahr ambulant betreut werden können. Erste Pilotprojekte der ambulanten Reha mit ermutigenden Ergebnissen gibt es.
Aktuell kommt die psychiatrische Reha nach dem stationären Aufenthalt ohne weitere Betreuung aus?
Leider ist es so. Da bleibt nur der Wahlarzt. Gerade bei den psychosomatischen schweren Fällen können sich zwei Drittel keine fortlaufende wöchentliche Psychotherapie leisten, die sie benötigen würden. Da verzichten die meisten Patienten notgedrungen auf eine weitere Behandlung. Die Termine bei den psychiatrischen Kassenärzten sind rar. Die Reha-Phase III steckt in unserem Bereich in den Kinderschuhen. Die Menschen können sich die Behandlung schlichtweg nicht leisten. Und das halte ich für eine Katastrophe.