Die Küche war nicht groß genug, um das Klinikum zu versorgen

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Michael Krassnitzer

Andrea Raida, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML), erzählt, warum Logistik im Krankenhaus mehr bedeutet, als den Transport in und aus dem Spital zu organisieren. Viele Fehler entstehen durch fehlende Kommunikation.

Frau Raida, was ist ein ganzheitliches Logistiksystem?
Andrea Raida: Logistik ist viel mehr als die reine Verteilung von Materialien. Logistik umfasst Themen wie die Technik im Lager, Strategie der Lagerhaltung, Transport, Routenplanung und die dazugehörigen IT-Systeme. Wie bei einer gut funktionierenden Maschine müssen alle Zahnräder ineinandergreifen. Die einzelnen Logistikströme müssen immer aufeinander abgestimmt sein. Um ein Beispiel zu nennen: Wenn gerade das Mittagessen verteilt wird, sollte nicht zugleich die Krankenhausapotheke den Transportdienst in Anspruch nehmen. Und es gibt nicht nur die internen Logistikströme: Güter aller Art werden angeliefert und es muss auch viel aus dem Krankenhaus hinausbefördert werden. Und schlussendlich bewegen sich im Krankenhaus große Ströme von Patienten, Besuchern und Mitarbeitern. Die Logistik soll all das vernetzen und am besten dabei noch so unsichtbar sein, dass sie gar nicht wahrgenommen wird.

Vom Tupfer bis zum Besucher?
So ungefähr. Für uns am IML ist Logistik im Krankenhaus all das, was nicht medizinisch-pflegerisch ist. Das beinhaltet zum Beispiel auch Mobilität und Architektur. Bei einer Standortplanung muss man immer bedenken, wie die Patienten, Besucher und Mitarbeiter in das Krankenhaus kommen. Da braucht es eine Tramstation oder eine Bushaltestelle, Parkplätze und gut beleuchtete Wege dorthin, damit vor allem Frauen nicht durch die Dunkelheit gehen müssen. Auch IT, also der Transport und die Verarbeitung von Daten, ist nichts anderes als Informationslogistik.

Das bedeutet wohl, dass man die Logistik bereits bei der Planung eines neuen Krankenhauses mitdenken muss?
Das ist ganz wesentlich. Die Logistik wirkt sich ja darauf aus, wie Flächen angeordnet und dimensioniert werden müssen. Bei einem geplanten Neubau eines Uniklinikums in Süddeutschland haben wir festgestellt, dass Zentrallager und Küche nicht groß genug sind, um das Uniklinikum zu versorgen. Dort muss man jetzt einen Schritt zurückgehen und die baulichen Strukturen, die für die Sicherstellung der Versorgungsprozesse notwendig sind, neu planen.

Logistik ist viel mehr als die reine Verteilung von Materialien. Logistik umfasst Themen wie die Technik im Lager, Strategie der Lagerhaltung, Transport, Routenplanung und die dazugehörigen IT-Systeme.

Neben der Logistikplanung für Spitals­neubauten gehört die logistische Betriebsorganisationsplanung von bestehenden Krankenhäusern zu Ihren Schwerpunkten. Was bedeutet das?
Wir setzen uns bei derartigen Projekten mit den beteiligten Akteuren zusammen und fragen: Wo liegen die Probleme? Dann gehen wir den Ursachen auf den Grund und loten die Potenziale aus. Oft ist die Lösung eine softwareseitige Unterstützung. Sprich: Um Prozesse besser durchführen zu können, müsste ein entsprechendes IT-System eingeführt werden. In vielen Krankenhäusern – zumindest in Deutschland – ist die softwareseitige Unterstützung von Prozessen noch nicht sehr weit fortgeschritten. Da läuft die Informationskette zum Teil noch über Telefon und Papier. Da kann es schon passieren, dass der Zettel mit dem Auftrag „Frau Müller um 10 Uhr abholen“ vom Winde verweht wird. Manchmal reicht es auch, das eigene Tun einfach mal kritisch zu hinterfragen. Wenn auf einer Station in den Schränken kein Platz mehr ist: Könnte es vielleicht daran liegen, dass zu viel bestellt wird? Themen wie die optimale Bestellmenge sind Teil der Betriebsorganisationsplanungen, die wir für unsere Partner durchführen. Aber das sind Dinge, die ein Krankenhaus mit entsprechendem Sachverstand auch in die eigenen Hände nehmen und in den bestehenden Strukturen umsetzen kann.

Wo liegen die häufigsten Probleme der Krankenhauslogistik?
Fehlende Kommunikation zwischen den verschiedenen Bereichen und Akteuren ist der Hauptpunkt, der meist alle anderen Schwierigkeiten bedingt. Wenn wir ein Konzept erarbeiten und uns mit allen beteiligten Mitarbeitern zusammensetzen, erleben wir nicht selten Unzufriedenheit, die sich über Jahre angestaut hat. Es wurde nicht miteinander kommuniziert. Die Pflegekräfte beklagen sich, dass der Transportdienst erst ab einer bestimmten Uhrzeit verfügbar ist. Dann erklärt der Vertreter des Transportdienstes, der zum ersten Mal mit am Tisch sitzt, dass er davor mit anderen Aufgaben voll ausgelastet ist. Auf diese Weise entsteht plötzlich ein gegenseitiges Verständnis und es können auch Wege gesucht werden, um an der einen oder anderen Stellschraube zu drehen.

Ihr Institut hat das logistische Planungs­konzept für den Neubau des Betriebsgebäudes des damaligen Wilhelminenspitals – seit 2020: Klinik Ottakring – in Wien überprüft. Bitte erzählen Sie ein bisschen darüber.
Für diesen Neubau hat ein anderer Logistikplaner ein Konzept entworfen, aber der Betreiber wollte sich doppelt absichern und hat uns ersucht, die Planungsgrundlagen und das Logistikkonzept nochmals zu prüfen. Insbesondere haben wir uns angesehen, ob ausreichend LKW-Anfahrtsstellen und Aufzüge vorhanden sind. In einem Krankenhaus werden ja unter anderem Wäsche und Lebensmittel mit großen LKWs geliefert und die brauchen entsprechende Zu- und Abfahrten sowie ausreichend Ladezonen. Die Anzahl der Aufzüge für Betten und Personen ist bei einer Standortplanung auch immer ein Knackpunkt. In einem Krankenhaus erfolgen viele Bewegungen in vertikaler Richtung. In Wien jedenfalls konnten wir guten Gewissens bestätigen, dass das eine gute Planung war.

Fraunhofer-Institute sind Forschungseinrichtungen. Worüber wird denn auf dem Gebiet der Krankenhauslogistik geforscht?
Wir machen keine Grundlagenforschung, sondern angewandte, industrienahe Forschung. Da sind wir sehr breit aufgestellt. In aktuellen Forschungsprojekten geht es um Nachhaltigkeit oder die Mensch-Technik-Interaktion. In einem Forschungsprojekt untersuchen wir, wie man die Transportorganisation im Krankenhaus mithilfe Künstlicher Intelligenz verbessern kann.

Wie wurde Logistik in Spitälern früher organisiert?
Logistik hat auf Basis von Erfahrungswerten und im guten Glauben stattgefunden. In vielen Krankenhäusern läuft das noch immer so. Dann kann es allerdings passieren, dass die zuständige Person auf Urlaub oder krank ist und die Vertretung viel zu große Mengen eines Materials bestellt. Bei Einweg-Handschuhen ist das nicht so schlimm, aber andere Materialien haben ein Haltbarkeitsdatum, nach dessen Ablauf sie nicht mehr eingesetzt werden können. Wenn diese dann entsorgt werden müssen, kann das richtig ins Geld gehen. Das ist ein Grund, warum Krankenhäuser sich externe Unterstützung in Sachen Logistik holen. 

Andrea Raida arbeitet seit 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in der Abteilung Health Care Logistics. Ihre Arbeitsgebiete umfassen im Bereich der Krankenhauslogistik insbesondere die Entwicklung von logistischen Betriebskonzepten sowie logistischen Masterplänen als Zielstrategie für Neu- oder Umbauten, den Einsatz von Devices zur Optimierung von Prozess­abläufen sowie das Green Hospital.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Weiterlesen

Agnes Wechsler-Fördös: „Es fehlt von allem etwas, von vielem viel“

Agnes Wechsler-Fördös, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin
und Vorstandsmitglied des Fachverbandes ÖGHMP, ärgert sich über die uneinheitliche
Vorgangsweise der Kliniken in Hygienefragen und den geringen Stellenwert, der
der Infektionsprävention in vielen Häusern eingeräumt wird.

Weiterlesen

Von Lercherln und Nebelgranaten: Der Ruf nach Erhöhung der Ausbildungs­plätze an den österreichischen Medizin­universitäten

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker fordert eine Verdoppelung der Medizin-
Studienplätze. Die Rektoren der MedUnis sind dagegen. Beim Austausch der Argumente verzichten beide Seiten auf akademische Zurückhaltung.