Ohne Mehrweg-Textilien gibt es kein Green Hospital

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Autor: Josef Ruhaltinger

Man muss nicht Greta heißen, um eine bis zu 80-mal verwendbare OP-Textilie einem vergleichbaren Wegwerfprodukt mit Einmalnutzen vorzuziehen. Der Einsatz von Mehrweg-Abdeckungen und -OP-Mänteln schont den CO2-Footprint von Kliniken und spart Geld.

Die Pandemie hat in Österreichs Gesundheitsstatistik tiefe Spuren hinterlassen. Einer der Kratzer: Laut dem Jahrbuch der Gesundheitsstatistik sank die Zahl der operativen medizinischen Leistungen von 2019 auf 2020 um 14,4 Prozent. Im Pandemiejahr wurden nur 1,1 Millionen operative Eingriffe umgesetzt, um rund 100.000 weniger als – beispielsweise – im Jahr 2010. Viele der Operationen wurden verschoben. Eingriffe fanden nicht statt, weil die Spitäler die Patientenzahlen auf das Notwendigste beschränken wollten.

Aber es gab weitere Gründe: Zahlreiche invasive Behandlungen unterblieben, weil es schlicht an Ausrüstung fehlte. So wie es bei Ausbruch der Pandemie an Masken mangelte, so fanden sich einige (wenige) österreichische Spitäler in der Notsituation, dass sich ihre Vorräte an Einweg-OP-Textilien leerten – und kein Nachschub in Sicht war. Die Lieferketten der in Asien gefertigten Wegwerfprodukte waren gerissen. Frische Lieferungen ließen über Monate auf sich warten. Solidarische Notlösungen mit benachbarten Kliniken und Eigen­kreationen halfen über die Dürrezeit hinweg.

Regionsnahe Versorgung

Der Großteil der heimischen Krankenhäuser hatte selbst in den ersten Monaten der Pandemie Zugriff auf Mehrweg-Textilien. Die Mehrweg-Mäntel und -OP-Abdeckungen aus Mikrofilamentgewebe und textilen Laminaten werden in Liefernähe der Krankenhäuser aufbereitet und waren daher selbst in den dunkelsten Tagen der Covid-Seuche verfügbar. Kliniken, die vor Versorgungsengpässen mit Einmal-Textilien standen, wurden von Nachbarspitälern zwischenzeitlich mitversorgt. Der Wäschedienstleister Salesianer ging über seine Grenzen, um die Lücken in der OP-Versorgung zu füllen. Franz Mannsberger, Pflege­direktor Universitätsklinik Innsbruck, weiß von OP-Hauben aus wiederverwendbaren Textilien zu erzählen, die heute noch in Verwendung stehen: „Weil sie angenehmer zu tragen sind“. Versorgungssicherheit bei OP-Abdeckungen und OP-Mänteln wurde nach den Erfahrungen der Pandemie in jedem Krankenhausmanagement zum vorrangigen Thema. Einwegprodukte zeigen hier eindeutige Defizite: Deren Produktion und Konfektion (60 Prozent der Wertschöpfung) findet hauptsächlich in Asien statt. Transport (fünf Prozent) und Sterilisation sowie Lagerung (sieben Prozent) tragen kaum mehr etwas zu einer österreichischen Wertschöpfung bei. Die Lieferkette der Mehrweg-Textilien kommt dagegen auf eine inländische Wertschöpfung von über 90 Prozent.

Steil auf der Prioritätenliste nach oben wandernd sind die Entscheidungskriterien der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes: Im Zuge der Vision „Green Hospital“ wurde die CO2-Bilanz von OP-Textilien zum wichtigen Ausschreibungskriterium jeder ethisch orientierten Klinikverwaltung. Dabei ist die Abwägung zwischen Mehrweg-OP-Textilien und gleichartigen Wegwerfprodukten aus ökologischer Sicht eine einfache: Je nach Gewebeart können Mehrweg-OP-Textilien zwischen 60- und 80-mal verwendet werden. Einweg-Textilien wandern – wie der Name schon sagt – nach einmaligem Gebrauch in den Abfallcontainer. Unternehmensberater Reinhard Fehringer von c7-consult zeichnet ein einfaches Bild: „Je höher die Umlaufzahl von Mehrwegprodukten ist, umso größer sind die Vorteile gegenüber Einwegprodukten.“ Im Falle der OP-Textilien würde der Aufwand für die Aufbereitung der Mehrweg-Textilien durch vielmalige Materialnutzung weit mehr als wettgemacht – bei völlig gleicher Sterilitätswirkung. Nur ist der zu entsorgende Müllberg bei Einweg-OP-Sets mehr als viermal so hoch wie bei wiederverwendbaren Materialien. Zudem gelten die Wegwerf-Mäntel oft als infektiöses Material, das teuer in Sondermüllverbrennungsanlagen entsorgt werden muss. Bei Mehrweg-OP-Textilien kann keine falsche Entsorgung auftreten.

Folgt man der Studie von Wilfried von Eiff 2016, dann schätzen Ärzte und Pflegekräfte die Auswahlkriterien für OP-Textilien anders ein als die Betriebswirte in den spitalseigenen Einkaufsabteilungen. Die kaufmännischen Entscheider haben einen deutlich positiveren Eindruck von – in der Anschaffung billigeren –Einwegprodukten als die Anwender im OP. Letztere ziehen laut Studie „Mehrwegprodukte grundsätzlich und eindeutig“ vor, vor allem bei Eingriffen von langer Dauer und hoher Intensität.

Dabei spielt – neben der Nachhaltigkeit und Preiswürdigkeit – der Tragekomfort der OP-Mäntel eine zentrale Rolle. Dieser hängt von der Atmungsaktivität des Materials ab, das eine gute Schweißverdampfung und damit eine Kühlung des Körpers ermöglicht. Gerade bei längeren Eingriffen von mehr als zwei Stunden kommen die Akteure am OP-Tisch ins Schwitzen. Damit sinken Arbeitseffizienz und Wohlbefinden des gesamten Operationsteams. Die meisten Einweg-OP-Mäntel erreichten bei der Atmungsaktivität nur befriedigende bis unbefriedigende Werte – der „Wasserdampfdurchgangswiderstand“ ist bis zu 30-mal höher als bei den textilen Produkten. Hier sind laminierte Mehrweg-OP-Mäntel den Einweg-Produkten überlegen: Die Membran zwischen Ober- und Unterschicht verhindert den Eintritt von Bakterien oder Viren, ermöglicht aber den Austritt der sehr viel kleineren Wasserdampfmoleküle von innen nach außen.

Österreichs Besonderheit

Österreich ist anders. Klimaschonende Mehrweg-Textilien haben mit einem Marktanteil von 70 Prozent in den heimischen Operationssälen eindeutig die Oberhand. In Märkten wie den USA ist dies genau umgekehrt. Dort machen gegenwärtig Einwegmäntel mindestens 80 % des Marktes für OP-Textilien aus. Es wird jedoch erwartet, dass sich dieser Marktanteil zugunsten von wiederverwendbaren Kitteln ändern wird (M. McQuerry et al, 2021). Eine wichtige Grundlage dieser Prognose: Das allmächtige Center for Disease Control and Prevention CDC hat im März 2020 unter dem Eindruck der Pandemie die verstärkte Verwendung von wiederverwendbaren Textilien empfohlen. Mehrweg-Textilien im OP-Einsatz seien vom Standpunkt der Hygiene sicher und – wie besonders hervorgehoben wurde – auch in Krisenzeiten verfügbar, begründete das CDC seine Empfehlung. Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit sind aus Sicht der Behörde schwerwiegende Argumente, mit alten Gewohnheiten in den US-OPs zu brechen. Die Fakten sprächen für sich.  

Um die Hälfte weniger CO2-Emissionen

Ein ökologischer Vergleich von Einweg-Produkten aus Zellstoff und SMMS (Polypropylen-Spinnvlies mit einer Zwischenschicht aus sehr dünnen schmelzgeblasenen PP-Fasern) und Mehrweg-Textilien aus Mikrofilamenten und Laminat zeigt eine deutlich günstigere Bilanz zum Vorteil der Mehrweg-Textilien. Ihr Carbon-Fußabdruck ist nur halb so hoch, das Eutrophisierungspotenzial (Übersättigung von Wasser, gemessen in Tonnen Phosphat) ist um 35 Prozent geringer. Lediglich der Frischwasserverbrauch war bei Mehrweg-Textilien aufgrund des Waschprozesses um den Faktor 5,5 höher. Ein Aspekt, der bei ökologischen Überlegungen oft vernachlässigt wird, ist das Abfallaufkommen. Dieses ist bei Einweg-Produkten um den Faktor 4,5 höher als bei Mehrweg-Textilien. Positionen wie Entsorgungskosten, Logistikaufwand und erhöhtes Fehlerpotenzial beeinflussen die Kosten-Nutzen-Bilanz erheblich zu Gunsten der Mehrweg-Textilien. Je komplexer und schwieriger die Anwendung, umso größer deren Vorteil.

Quelle: Wilfried von Eiff, Klinische Textilien im OP der Zukunft: Wirtschaftlichkeit und Qualität von Mehrweg-Produkten, Das Krankenhaus 2016

Literaturverzeichnis:

  • M. McQuerry et al. / American Journal of Infection Control 49 (2021) 563−570
  • Cooper A. 60 Minutes investigates medical gear sold during ebola crisis. 60 Minutes.
  • Wilfried von Eiff/Klinische Textilien im OP der Zukunft: Wirtschaftlichkeit und Qualität von Mehrweg-Produkten, Magazin „Das Krankenhaus“,.9/ 2016
  • Wilfried von ‚Eiff/ Klinische Textilien im OP: Einweg oder Mehrweg?/
  • Mahmood F. Bhutta/Our over-reliance ion single use equipment in the operating theater is misguided, irrational und harming our planet/Royal College of Surgeons/Guest Editorial/2021
  • Meredith McQuerry PhD , Elizabeth Easter PhD, Alex Cao BSc: Disposable versus reusable medical gowns: A performance comparison/ American Journal of Infection Control 49; 563−570
  • Eric Vozzola, BSChE; Michael Overcash, PhD; Evan Griffing, PhD/ An Environmental Analysis of Reusable and Disposable Surgical Gowns/AORN Journal, March 2020 Vol III, No 3
  • David C. Kiesera, Michael C. Wyattb, Andrew Beswickb, Setor Kunutsorb, Gary J. Hoopera/ Does the type of surgical drape (disposable versus non-disposable) affect the risk of subsequent surgical site infection?/ Journal of Orthopaedics 15 (2018) 566–570

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