Wieder im Leben stehen

Lesedauer beträgt 7 Minuten
Autor: Elisabeth Rudolph

Trotz hoher Prävalenz psychischer Erkrankungen bleiben diese oft unerkannt und unbehandelt. Die Nachfrage nach psychiatrischer Rehabilitation ist groß.

Psychische Erkrankungen betreffen eine immer größer werdende Anzahl an Menschen. Schätzungen zufolge sind hierzulande 1,2 Millionen Menschen psychisch krank, weltweit sogar fast eine Milliarde. Die Tendenz ist – vor allem seit der Corona-Pandemie – stark steigend. Sie sind häufig Ursache für Erwerbsunfähigkeit und vorzeitige Pensionierung in Österreich. Typische Krankheitsbilder sind Depressionen, Belastungs-, Traumafolge-, Angst- und Zwangsstörungen, somatoforme Erkrankungen (z.B. Schmerzstörung), Persönlichkeitsstörung oder Schizophrenie.

Psychische Erkrankungen sind auf den ersten Blick nicht sichtbar. Es sind stille Leiden. Tabuisierung und Stigmatisierung sind dabei regelmäßige Begleiter. Das Leid, das diese Erkrankungen verursachen, wird oft unterschätzt – eine Haltung, die sich lange in der heimischen Gesundheitspolitik niederschlug. Die gute Nachricht ist: Psychische Erkrankungen sind gut behandelbar.

Krankheit durch Produktivität.
Burn-out ist der mit Abstand häufigste Grund für eine psychiatrische Rehabilitation. Das Gute dabei: Professionelle stationäre Therapien können die bösen Geister nachhaltig besiegen.

Nachfrage übertrifft Angebot

Karin Reiter-Prinz ist Vorstandsmitglied von pro mente Austria und Geschäftsführerin der pro mente Reha GmbH, einem der großen Anbieter von psychischer Rehabilitation in Österreich. „Wir wissen, dass psychische Erkrankungen die häufigste Ursache für einen vorzeitigen Pensionsantritt sind. Hier kann eine gezielte, frühe Intervention den Erhalt der Erwerbsfähigkeit bzw. die Bewältigung des Alltags begünstigen.“ Und davon profitieren dann nicht nur das Pensions- und Krankenkassensystem, sondern der Mensch und seine Familie. Seit 2002 besteht in Österreich die Möglichkeit einer stationären psychiatrischen Rehabilitation. Das Angebot wird aufgrund der besorgniserregend hohen Zahlen laufend ausgebaut. Psychiatrische Rehabilitation wird meist nach einer akuten Erkrankung in Anspruch genommen. Der Antrag wird über die Sozialversicherung gestellt, die Schwere der Erkrankung durch den behandelnden Arzt festgelegt. Kostenträger ist neben der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) auch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), die den Großteil der Kosten übernehmen. Menschen mit mentalen Erkrankungen sollen nach einer psychiatrischen Rehabilitation aus eigener Kraft ihren gewohnten Platz in der Gesellschaft bewahren oder wieder einnehmen können. Die soziale Teilhabe ist ein wichtiges Behandlungsziel genauso wie der Wiedereinstieg bzw. der Erhalt der Erwerbsfähigkeit.

Ein ausführliches Therapiegespräch mit dem zuständigen Facharzt steht am Beginn jeder Rehabilitation. In Abhängigkeit der Diagnose und des Schweregrads der psychischen Erkrankung wird ein auf den Patienten zugespitztes Therapiekonzept erstellt –, wenn notwendig mit begleitender medikamentöser Behandlung. Die Aufenthaltsdauer richtet sich nach den Vorgaben der Kostenträger: In der psychiatrischen Rehabilitation (Kostenträger PVA) sind sechs Wochen festgelegt. In dieser Zeit soll durch Kombination verschiedener Therapierichtungen wie Physio-, Psycho-, Bewegungs- oder Ergotherapie die Gesundheit des Patienten Schritt für Schritt verbessert und eine grundlegende Stabilisierung erreicht werden. Regelmäßige Feedbackgespräche mit dem behandelnden Mediziner geben Aufschluss über den Therapieerfolg, der, je nach Fortschritt, adaptiert wird. Unabhängig von der Diagnose ist die Rehabilitationsfähigkeit eine wichtige Voraussetzung, um die Therapien erfolgreich zu absolvieren. Ein guter körperlicher und mentaler Allgemeinzustand, Eigenmotivation und der Wille, selbst mitzuarbeiten und mitzugestalten, sind Grundvoraussetzungen, die der Patient leisten muss. Die meisten Therapieangebote werden in Gruppen abgehalten, somit ist auch die Gruppenfähigkeit des Patienten essenziell.

Bring your famliy.
Ulrike Weiß ist ärztliche Direktorin im
Psychiatrischen Rehabilitationszentrum Wildbad. Ihr Haus bietet für Menschen mit mentalen Erkrankungen als erstes Haus in Österreich auch Kinderbetreuung.

„Die Nachfrage nach psychiatrischer Rehabilitation hält ungebrochen an“, betont Ulrike Weiß, ärztliche Direktorin im Psychiatrischen Rehabilitationszentrum Wildbad: Hier haben die Auswirkungen der Corona-Pandemie deutliche Spuren hinterlassen. Die Nachfrage nach Eltern-Kind-Aufenthalten ist um mindestens 30 % im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie gestiegen. Auch im Bereich der Kinder- und Jugend-Rehabilitation verzeichnet Weiß deutlich mehr Anfragen. Im laufenden Jahr waren es schon 80 % mehr Zuweisungen als im Jahr 2020. Auch in anderen Reha-Zentren sieht die Lage nicht besser aus. „Wir könnten mehr Patienten behandeln, als wir Plätze haben“, erzählt auch Astrid Lampe, ärztliche Leiterin der Rehaklinik Montafon.

Die gestiegene Nachfrage erklärt sie dadurch, dass Patienten deutlich stärker verunsichert sind, manche Symptomatiken haben sich durch Belastungen wie Lock-down noch verstärkt. Vergleichszahlen hat sie keine, hat doch die Reha-Einrichtung erst mitten in der Pandemie ihren Betrieb aufgenommen. Der Fachkräftemangel prägt den Alltag. „Der Zustand derzeit ist schrecklich“, bringt Lampe das Problem auf den Punkt. Es fehlt in allen Berufsgruppen an Personal. Besonders eklatant sei der Mangel an Fachärzten für Psychiatrie. Die Gründe dafür sieht Lampe, die selbst viele Jahre an einer Universität tätig war, vor allem bei der Ausbildung und der bestehenden Studienordnung. „Wir bilden zu wenige Mediziner aus, vor allem für Randfächer wie Psychiatrie“, erklärt die Ärztin und ergänzt weiters, dass die derzeitige Studienordnung für Menschen, die im Berufsleben stehen, nicht machbar ist. Das ist aber vor allem bei der Psychiatrie ein wichtiger Punkt, denn hier arbeiten viele Quereinsteiger. Ein Studium neben dem Beruf sei nahezu unmöglich.

Tief im Westen.
Die Reha-Klinik Montafon ist einer von
18 Reha-Standorten, in denen Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen geholfen werden kann.

Bundesweit die selben Probleme

Im Westen wie im Osten das gleiche Bild. Auch in Wildbad kämpft man mit Personalmangel und ist eigentlich ständig auf der Suche nach qualifizierten Fachkräften. Hier kommt noch dazu, dass der erhöhte Betreuungsaufwand, der durch das spezielle Eltern-Kind-Programm notwendig ist, sich nicht in den aktuellen Tarifen spiegelt. Eine entsprechende Erhöhung der Mittel sieht Weiß als sinnvolle Maßnahme, um Folgekosten zu verringern. Geduld ist auch vonseiten der Antragsteller für einen stationären Behandlungsplatz gefragt. Selbst bei bewilligtem Antrag warten die Erkrankten mehrere Monate auf einen Therapieplatz. Nicht alle Zuweisungen können innerhalb des bewilligten Zeitraums berücksichtigt werden. „Das ist vor allem für die betroffenen Familien eine große Belastung“, erklärt Weiß. Hier gilt es die Lücke zu schließen, etwa durch fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung im Vorhinein. Doch auch hier ist mit langen Wartezeiten bei Kassenärzten und kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen zu rechnen.

Betreuung vor und nach der Reha notwendig

Psychische Erkrankungen sind chronische Erkrankungen, gibt Lampe zu bedenken. Ein einmaliger Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist bei vielen Patienten oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Behandlung vor und nach der Reha ist essenziell, damit kein Bruch passiert und die Patienten nachhaltig und vor allem langfristig behandelt werden. Wie so oft scheitert es am Geld, an Betreuungsplätzen, an freien Kassenplätzen für Psychiater oder ähnlichem. Neben dem menschlichen Leid verursachen psychische Erkrankungen jedoch hohe volkswirtschaftliche Kosten durch z.B. Erwerbsunfähigkeit oder Frühpensionierungen. Der Berufsverband Österreichischer Psychologen (BÖP) setzt sich deshalb seit Jahren dafür ein, dass psychologische Therapie ihren Platz im allgemeinen Sozialversicherungsgesetz findet.
Wie wichtig nicht nur der Reha-Aufenthalt per se, sondern auch die Nachbetreuung ist, schildert Ulrike Weiß anhand eines Falles: Eine Familie, deren älteste, jugendliche Tochter Suizid begangen hat, war aufgrund dieses Ereignisses in eine Krisensituation geraten und zur Rehabilitation nach Wildbad gekommen. Die Familienmitglieder litten an Anpassungsstörungen. Hier war es besonders wichtig, die Familie durch Einzel- und Gruppentherapien zu stabilisieren, in der Trauerbewältigung zu unterstützen und ihr wieder Lebensfreude zu vermitteln, erzählt Weiß. Insbesondere der Mutter hat die angebotene Tagesstruktur viel Halt gegeben, erinnert sie sich. Die Familie hat sich auf die Einzel- und Gruppentherapien gut eingelassen und stabilisierte sich während des Aufenthalts. Wieder zu Hause wurde sie psychotherapeutisch und fachärztlich weiter betreut, eine Familienhilfe unterstützte im Alltag und der Vater kehrte wieder in seinen Beruf zurück. „Ein schöner Rehabilitationserfolg“, ergänzt Weiß.

Die Betreuung nach der Reha ist sehr stark davon abhängig, wie stabil der Patient ist. Viele können in ein bestehendes Netz zurückkehren, in dem die fachärztliche psychiatrische Versorgung gewährleistet ist ebenso wie in eine Psychotherapie. Patienten, die keinen kassenärztlichen Psychotherapieplatz haben, müssen oft monatelang auf einen warten. Private Plätze sind leichter zu bekommen, dafür muss man aber auch tief in die Tasche greifen und das können sich viele Patienten schlichtweg nicht leisten. Für den nachhaltigen Rehabilitationserfolg ein Desaster. Hier braucht es unbedingt mehr Kapazitäten, betont Weiß. Auch Lampe sieht die Nachbetreuung als Bottle-Neck eines erfolgreichen Therapiekonzepts ebenso wie die Betreuung während langer Wartezeiten. Für die Zukunft wünscht sie sich Booster-Tage nach einem Reha-Aufenthalt, um das Erlernte zu korrigieren und zu sehen, wie der Patient im täglichen Leben zurechtkommt. Einen weiteren Aufenthalt nach ein paar Monaten hielte sie ebenso für sinnvoll. 

Heilung für die Seele

Österreichs stationäre psychiatrische Reha-Zentren für Erwachsene:

Quellen und weiterführende Lesetipps:

www.psychreha-wildbad.at

www.foerderverein-kinderreha.at

www.senecura.at

www.promenteaustria.at/de/aktuelles/news-artikel

rehakompass.goeg.at

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: