Radikaler Wandel gewohnter Versorgungsprozesse

Lesedauer beträgt 2 Minuten
Autor: Robert Mischak

Unter Telemedizin wird üblicherweise eine medizinische Intervention verstanden, bei der es durch Einsatz von IKT ermöglicht wird, dass sich Patient und GDA nicht am gleichen Ort befinden. Daraus erschließt sich direkt das enorme Potenzial der Telemedizin. Telemedizin als Gamechanger bedeutet einen radikalen Wandel bisher gewohnter Versorgungsprozesse. Die dadurch ausgelöste Sorge einzelner Stakeholder begründet sich in der Erkenntnis, dass sich nicht nur die „Spielregeln“ sondern auch die „Spieler“ ändern können.

Der Stand der Telemedizin in Österreich ist international gesehen noch stark ausbaufähig, wenngleich es in verschiedenen Bereichen gute erste Beispiele gibt. HerzMobil in Tirol und Steiermark oder der Gesundheitsdialog Diabetes sind exemplarisch. Insgesamt listet die GÖG im Ergebnisbericht „Telemedizin Österreich“ mit Stand November 2021 25 telemedizinische Anwendungen auf.

Es ist weitgehend akzeptiert, dass telemedizinische Anwendungen einen wichtigen Lösungsbeitrag für das ständig wachsende Ressourcenproblem der Regelversorgung liefern. Die technischen Voraussetzungen mit leistungsfähigen Endgeräten, Wearables, Funktechnologien, Netzwerken, Prozessor- und Speicherkapazitäten, Sensoren etc. sind ausgereift und kosteneffektiv.

Bei der Durchsetzung von telemedizinischen Anwendungen fungieren die Partikularinteressen von Berufsvertretungen, Krankenkassen und Krankenhausträgern leider als Showstopper.

Schwieriger zu lösen sind prozedurale Aspekte. Es gilt, die Bedürfnisse der einzelnen Akteure, die Standards zur Erreichung der semantischen Interoperabilität und – besonders wichtig – die Einbindung von chronischen oder kognitiv eingeschränkten Patienten zu regeln. Hier tut sich ein Forschungsfeld auf, das im Vergleich mit anderen Themen noch zu wenig Beachtung gefunden hat. Usability und Accessibility von telemedizinischen Anwendungen haben noch großes Verbesserungspotenzial. Was hilft ein neuer medizinischer Standard für Vitalparameter, welchen Sinn hat ein neues Netzwerkprotokoll, wogegen schützt die beste Verschlüsselung, wenn die Betroffenen die Applikation nicht öffnen können? Am Beispiel der technisch sehr gut etablierten ELGA zeigt sich, dass sich die Patient Journey der ELGA für Bürger und GDA stark verbesserungswürdig präsentiert. Hier würde es sich jedenfalls lohnen, in Maßnahmen zur Steigerung der User Experience (UX) zu investieren, um die Akzeptanz zu erhöhen.

Bei der Durchsetzung von telemedizinischen Anwendungen fungieren die Partikularinteressen von Berufsvertretungen, Krankenkassen und Krankenhausträgern leider als Showstopper, insbesondere wenn es um die Finanzierung geht. Gerne werden rechtliche Argumente vorgeschoben (Fernbehandlungsverbot und Datenschutz). Die in diesem Umfeld entstehenden Kompromisse sind schwach, wie z.B. das 44. Zusatzprotokoll zum Ärzte-Gesamtvertrag zwischen OÖ ÄK und ÖGK zeigt: Danach sollen „telemedizinische Leistungen nach der jeweils geltenden Honorarordnung in gleicher Höhe honoriert werden, wie wenn die Leistung ohne Zuhilfenahme telemedizinischer Methoden erbracht wird“.

Will man die Telemedizin fördern, muss das Motto lauten, dass telemedizinische Leistungen besser honoriert werden müssen als konventionelle Konsultationen. Ob dies bedeutet, dass herkömmliche Leistungen abgewertet werden oder telemedizinische aufgewertet, sollte letztlich die Gesundheitspolitik zum Wohle der Bevölkerung entscheiden.

Es wird auch interessant zu beobachten sein, ob es in Österreich gelingen wird, telemedizinische Leistungen als DiGA nach dem deutschen Modell erstattungsfähig zu machen. Was spricht eigentlich dagegen, einfache Arztbesuche per Videokonferenz zu machen und medizinische Daten in einem gesicherten Kanal auszutauschen?

Aufzuhalten ist die Telemedizin im Sinne des digitalen Wandels nicht. Die Entwicklung wird noch weitergehen, indem die Gesundheitskompetenz sowie die Eigenverantwortung der Bevölkerung gestärkt werden und in weiterer Folge als nächstes Thema Self Care-Konzepte anzudenken sind. 

DI Dr. Robert Mischak MPH ist seit 2011 Institutsleiter eHealth am FH JOANNEUM. Mischak ist studierter Maschinenbauer. In der Schweiz absolvierte er das berufsbegleitende Master-Studium „Public Health“ und befasste sich in seiner Master-Arbeit mit dem Benchmarking von Spitälern. Der eHealth-Spezialist verfügt über Erfahrungen als Controllingleiter in der Finanzdirektion der Steiermärkischen KAGes und als Leiter für Controlling und Betriebsorganisation in der Merkur Versicherungs AG.

Lesen Sie hier unsere Titelgeschichte zum Thema Telemedizin.

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