Ich bezeichne mich als Kommunikationsdrehscheibe

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Autor: Josef Ruhaltinger

Susanna Finker ist PVZ-Managerin im ersten Grazer Primärversorgungs-
zentrum. Die akademische Sozialarbeiterin erzählt, wie man ein nahezu 50köpfiges Team organisiert und warum der Patientenzuspruch immer noch boomt.

Frau Finker, wie wird man Managerin eines PVZ?
Susanna Finker: Ich kannte Stefan Korsatko, einen der ärztlichen Initiatoren von Medius. Wir gehörten 2016 zum Gründungskreis des Österreichischen Forums Primärversorgung, um die damals noch sehr junge und relativ überschaubare Community für Primary Health Care zu unterstützen und zu vernetzen. Die Gründung erfolgte im Rahmen der Schlussveranstaltung der „Zukunftskonferenz PHC“, die ich heute als Initialzündung für eine breite heimische Primary Health Care-Gemeinde sehe.

Medius gibt es jetzt fast vier Jahre. Wie steht es um die Akzeptanz der Patienten?
Der Zuspruch ist enorm. Wir hatten ein extrem starkes Wachstum sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch bei den Patientenzahlen. Wir sind im Team fast 50 Leute. Besonders im Wundversorgungsbereich haben wir großen Zulauf. Bei der fantastischen Entwicklung ist es wichtig, sich im Management und bei der Infrastruktur zu professionalisieren. Wir wollen einen Standard, der nicht nur beschreibt, was notwendig ist, sondern der dem entspricht, was wir uns wünschen.

Medius vergrößert aktuell die Ordination und investiert in neue Räumlichkeiten. Nützen Sie die Projektförderung im Rahmen des Resilienzfonds?
Natürlich. Wir haben die Investitionsentscheidung für den Umbau schon vor dem Start der Förderung getroffen. Aber wir haben abgewartet, bis die Anträge akzeptiert wurden. Das war ein extrem angenehmes Zusammenarbeiten. Die Förderrichtlinie ist meiner Meinung nach sehr verständlich formuliert. Im Vergleich zum Ansuchen um eine Investitionsprämie, das wir in früheren Zeiten gestellt haben, lief die Projektförderung vergleichsweise unkompliziert ab.

Wie hoch war das Fördervolumen?
Das wissen wir noch nicht. Der Antrag ist noch im Laufen.

Ich würde die Zusammenarbeit mit den Kassen als wohlwollendes Ignorieren bezeichnen.

Geben Sie uns eine kurze Stellenbeschreibung einer Managerin in einem Primärversorgungszentrum?
Gute Frage (denkt nach). Ich bezeichne mich als Kommunikationsdrehscheibe. Ich bin im Haus diejenige, die versucht, die Infos, die in ganz vielen Ecken verstreut herumschwirren, zusammenzutragen und zu jenen zu bringen, die diese Informationen brauchen.

Wie schwierig ist es, bei fast 50 Mitarbeitern ein Team zusammenzustellen, das nicht nur fachlich, sondern auch menschlich passt?
Wenn wir Ausschreibungen machen müssen, bereite ich die Formalitäten vor. Ich sichte die Bewerbungsunterlagen und mache auch noch die Erstgespräche. Die finalen Entscheidungen treffen die Gesellschafter, also das medizinische Kernteam.

Haben Sie genug Bewerbungen?
Unterschiedlich. Das hängt von der Berufsgruppe ab, die wir suchen. Bei den Gesundheitsberufen war jetzt erstmals die Auswahl kleiner. Gottseidank waren gute Leute dabei. Aber es waren halt nicht 15 Bewerberinnen, wie wir es sonst gewohnt sind.

Welche Berufsgruppen sind besonders rar?
In der Ergotherapie war es zuletzt ein bisschen schwierig. Im Bereich der Pflege haben wir stets viele und qualifizierte Bewerbungen. Dazu kommen viele Praktikumsanfragen aus der Pflege. Wir hatten seit unserer Eröffnung 68 Praktikanten und Praktikantinnen aus allen Berufsgruppen im Haus. Für die diplomierten Pflegerinnen und Pfleger stellen wir ein ganz neues Berufsfeld dar, das als spannend wahrgenommen wird.

Wie steht es um die Bezahlung in PVZ?
Ich kann nur sagen, dass die letzte Kollegin, die in der Pflege zu uns gekommen ist, sogar etwas weniger verdient als vorher im Krankenhaus. Aber bei uns gibt es keinen Nachtdienst, kein Einspringen – und man kann die eigene Arbeit mitgestalten.

Wie wichtig ist Weiterbildung, Ausbildung, Training für Mitarbeiter?
Wir haben einmal im Quartal eine interne Weiterbildungsrunde speziell für das Anmeldungsteam. Das haben wir vor eineinhalb Jahren eingeführt, damit man in Ruhe Dinge durchbesprechen kann und wieder alle auf den gleichen Stand bringt. Wir wollen nicht in SOPs versinken.

SOPs?
Standard operating procedures. Jeder Handgriff ist verschriftlicht. Das kann man meiner Meinung nach übertreiben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Man muss wichtige Abläufe auf jeden Fall schriftlich definieren: Wie behandeln wir welche Krankheiten, was ist der Ablauf im Labor usw. Was ich nicht schätze, ist die Standardisierung der persönlichen Kommunikation. Sie kennen das vom Telefonat mit Callcentern. Das finde ich schrecklich. So wollen wir nicht sein. Für das Team veranstalten wir aber neben den Quartalsrunden immer wieder spezielle Workshops.

Worum geht es dabei?
Verschiedenes. Im Mai konnten wir uns über die Förderung des Projekttopfs Primärversorgung ein sehr gutes Angebot leisten: Wir machten ein angeleitetes Seminar zum Umgang mit aggressiven Patienten. Mithilfe eines Trainers und eines Schauspielpatienten spielten wir etliche Szenen durch. Das ist Gold wert.

Werden Patienten ungeduldiger?
Wir erleben das so. Ärger ist ja verständlich: Wer wartet schon gerne. Aber der Umgangston wird schnell ruppig und der Geduldsfaden immer kürzer. Im Workshop erhielten wir gute Tipps, wie die Spannung aus einer Unterhaltung rausgenommen werden kann.

Sie sind Mitglied des Kernteams und beobachten die Abläufe in der Ordination aus unmittelbarer Nähe: Wie unterscheiden sich in Ihrer Wahrnehmung die Aufgaben der Ärztinnen und Ärzte in einem PVZ von einer Einzelordination?
Ich maße mir kein Urteil in den medizinischen Belangen an. Was die administrativen Aufgaben angeht, glaube ich, dass es in einem PVZ mehr Engagement braucht. Die Mediziner und Medizinerinnen in der Primärversorgung müssen bereit sein, sich mit Organisationsentwicklung auseinanderzusetzen. In einem Betrieb unserer Größe ist immer etwas los. Auf der positiven Seite sehe ich, dass Themen wie Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz bei uns sehr weit oben stehen. Das betrachte ich als großen Pluspunkt. Einzelordinationen haben für derartige Aufgaben kaum Zeit.

Wie schwer oder einfach ist die Zusammenarbeit mit den Kassen?
Ich würde die Zusammenarbeit mit den Kassen als wohlwollendes Ignorieren bezeichnen. Es ist manchmal schwierig.

Was ist das Problem?
Dinge dauern lang, lang, lang. Durch die hohe Patientenakzeptanz müssen wir aufstocken – in der Infrastruktur wie beim Personal. Die nötigen Gespräche mit den Kassen in Bezug auf neue Stellen und neue Personalkosten dauern jetzt ein Jahr.

Haben PVZ bei den Stakeholdern wie Kassen und Gesundheits­fonds keine gesteigerte Aufmerksamkeit? Schließlich heißt es, dies sei die Zukunft der ambulanten Versorgung.
Ich kann aus meiner Perspektive vor allem die Vertragsgestaltungen beurteilen, weil wir soeben die Aufstockung unseres Personalbudgets verhandeln. Da geht alles sehr, sehr langsam. Ich verstehe, dass durch die Reform bei den Kassen die Zuständigkeiten rotieren. Aber die Patienten sollten das nicht ausbaden müssen.

Susanna Finker ist seit 2018 Managerin im Primärversorgungszentrum Medius. Nach Tätigkeiten im Tourismus und im IT-Consulting studierte sie Soziale Arbeit. Sie arbeitete im Ehrenamtsmanagement bei der Volkshilfe Steiermark und baute als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Graz die Koordinationsstelle Alter(n) mit auf. Sie ist Mitautorin des Buches „Die Gesellschaft des langen Lebens“, Verlag transcript, 2016.

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