Psychotherapeutin Doina Saffarnia: Schwierige Lebenslagen meistern

Lesedauer beträgt 4 Minuten
Autor: Michael Krassnitzer

Für psychisch Kranke ist jeder Tag eine Herausforderung. Psychiaterin und Psychotherapeutin Doina Saffarnia erklärt, warum die ambulante psychiatrische Rehabilitation in privaten Situationen ihre Stärken ausspielt und warum Begleitung der Patienten immer wichtig bleibt.

Ambulante psychiatrische Rehabilitation wurde in Österreich erstmals im Jahr 2010 angeboten. Hat sich dieses Konzept bewährt?
Doina Saffarnia: Ja. Ambulante psychiatrische Rehabilitation hat sich als wirksam und erfolgreich erwiesen. Die entsprechenden Programme führen zu einer verbesserten psychischen Gesundheit, die Wahrscheinlichkeit von Krankheits-Rückfällen wird verringert.

Was ist ambulante psychiatrische Rehabilitation und was ist ihr Ziel?
Rehabilitation ist ein Prozess, ein aktives Geschehen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen: re bedeutet wieder und habilitare bedeutet fähig machen. Die grundlegenden Ziele der ambulanten psychiatrische Rehabilitation sind die Verbesserung des Gesamtzustandes, die Erhöhung der Lebensqualität sowie die soziale und berufliche Reintegration des Patienten. Wir unterstützen, schwierige Lebenslagen zu meistern, die Hürden des Alltags zu bewältigen. Letztendlich sollen die Patienten bei der Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben unterstützt und ihre Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt bzw. aufrechterhalten werden.

Stärkung für den Alltag. Diona Saffarina plädiert für mehr Flexibilität in der Einteilung und Gestaltung des Therapie­programms.
Die Beibehaltung der aktuellen Therapie­intensität wäre dann ausreichend.

Was ist das Besondere daran?
Die ambulante Reha ermöglicht es den Betroffenen, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben und ihren täglichen Verpflichtungen nachzukommen. Auf diese Weise können sie das, was sie in der Behandlung lernen, täglich im häuslichen, privaten Umfeld bzw. im beruflichen Bereich umsetzen. Die gelungene Bewältigung von Situationen, aber auch Unstimmigkeiten oder Misserfolge können zeitnah hinterfragt werden.

Worin liegen die Vorteile gegenüber einer stationären Rehabilitation?
Ob eine Rehabilitation für sie ambulant oder stationär vorteilhafter ist, entscheiden die Patienten individuell gemeinsam mit dem Zuweiser – also dem Allgemeinmediziner oder dem Facharzt bzw. dem Kostenträger – je nach Erkrankungsbild, allgemeiner Situation, Ziel der Rehabilitation und Wünschen der Patienten.
Was für eine ambulante Rehabilitation spricht: unter anderem die Wohnortnähe mit Aufrechterhaltung des sozialen Netzes, eine stärkere Aktivierung der Kraft zur Selbsthilfe durch Einbeziehung der Lebenswelt (Familie, Arbeit, Alltag), eine schrittweise Eingliederung in den Arbeitsprozess, ein alltagsnahes Training mit Belastungserprobung. Die zeitnahe Besprechung von Problemen an Ort und Stelle ist oft nur im ambulanten Programm möglich. Viele Patienten sagen, dass sie bei ihrer Familie, in der vertrauten Umgebung ihrer Wohnung bzw. ihres Hauses bleiben wollen. Viele haben Kinder, Tiere oder Familienangehörige zu betreuen. Eine stationäre Reha ist ihnen zu weit weg von zuhause. Sie möchten an Ort und Stelle Probleme ansprechen und Werkzeuge bekommen, die sie gleich während der Reha zeitnah anwenden können, zum Beispiel bei familiären Konfliktsituationen. Der Alltag ist dem in der Arbeit ähnlich: Die Patienten gehen nach der Reha nach Hause und alles läuft dann weiter im privaten Umfeld, wie gewohnt.

Müssen die Patienten bestimmte Voraussetzungen erfüllen?
Der Patient muss eine positive Einstellung und Motivation haben, um sich am Rehabilitationsprozess zu beteiligen. Die Rehabilitation kann eine Herausforderung darstellen und erfordert oft hohe Motivation und Durchhaltevermögen, um die Ziele zu erreichen. Aber auch der körperliche Zustand muss so sein, dass der Patient aktiv und regelmäßig an dem jeweiligen Therapieprogramm teilnehmen kann.

Bei welchen psychiatrischen Erkrankungen ist ambulante psychiatrische Rehabilitation zielführend?
Bei verschiedenen Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis: Depressionen und Bipolare Störungen, Burnout, Erschöpfung, Anpassungsstörung nach Belastungen – privat oder beruflich –, Angststörungen, Zwangsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Persönlichkeitsstörungen – sofern keine störungsspezifische Behandlung notwendig und Teilnahme an den Therapien in den Gruppen möglich ist. Bei manchen Erkrankungen ist ambulante Reha nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich: Essstörung – wenn der BMI im Normalbereich ist; Schizophrenie – wenn keine akute Entgleisung der Erkrankung vorliegt; posttraumatische Belastungsstörung – wenn keine länger andauernde, konfrontative Traumatherapie notwendig ist.

Doina Saffarnia, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, ist ärztliche Leiterin der ambulanten psychiatrischen Rehabilitation im OptimaMed Ambulanten Rehabilitationszentrum Wiener Neustadt. Zuvor war die Medizinerin, die während ihres Medizinstudiums in Wien als Diplomkrankenschwester arbeitete und als Wahlärztin auch selbstständig tätig ist, Oberärztin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Eisenstadt und stellvertretende ärztliche Leiterin am BBRZ Wien, Leopoldau-Zentrum für seelische Gesundheit in Wien.

Bei welchen Erkrankungen ist ambulante psychiatrische Rehabilitation kontraindiziert?
Kontraindikationen für die ambulante psychiatrische Rehabilitation sind Erkrankungen, die akut oder zu schwergradig sind, und solche, die eine andere Institution oder stationäre Behandlung erfordern. Auch für Patienten, die aufgrund einer körperlichen oder psychischen Einschränkung nicht ausreichend belastbar oder pflegebedürftig sind und die Einrichtung der Rehabilitation nicht aktiv nützen können, ist ambulante Reha nicht geeignet. Weitere Ausschlussgründe sind: akute Suizidalität oder Psychose, Fremd-, Selbstgefährdung, keine ausreichende Belastbarkeit, ein Suchtverhalten, das die Behandlung beeinträchtigen würde und das eine Institution zur Behandlung erfordert (z.B. Alkohol oder Drogen), schwere geistige Beeinträchtigung oder Behinderung, die eine angemessene Teilnahme an der Therapie erschweren würden. Auch schwere, behandlungsbedürftige körperliche Erkrankungen oder intensive Therapieformen (z.B. Dialyse) machen die Teilnahme an der Rehabilitation unmöglich. Nicht zuletzt gibt es eine Sprachbarriere: Bei fehlendem Sprachverständnis, Taubheit oder herabgesetztem Kommunikationsvermögen sind Gesprächstherapien nicht möglich.

Wie läuft ambulante psychiatri­­sche Rehabilitation ab?
Wir sprechen von drei Phasen. In der Phase 1 konzentriert sich die Therapie auf die Stabilisierung des Patienten. Diese akute Phase erfolgt in der Regel im Krankenhaus und ist noch nicht Teil der ambulanten Rehabilitation. Erst dann beginnt die eigentliche Reha: ein intensives Therapieprogramm für die Dauer von sechs Wochen an mindestens vier bis fünf Tagen pro Woche. In der Phase 2 liegt der Fokus auf der Verbesserung der seelischen Lage, Wiederherstellung der Tagesstruktur, Vorbereitung auf die berufliche Reintegration, Abklärung der weiteren Maßnahmen, die notwendig sind, um sich wieder als stabil oder genesen und Teil der Gesellschaft zu fühlen. Die Phase 3 ist darauf ausgerichtet, die Fortschritte, die in der vorhergehenden Phase erreicht wurden, zu erhalten und zu konsolidieren.

Bieten in Österreich alle Einrichtungen die gleichen Therapieinhalte an?
Das medizinische Leistungsprofil ist vom Kostenträger vorgegeben. Die Therapiewahl der Gruppen jedoch kann von Reha zu Reha unterschiedlich sein.

Sehen Sie Verbesserungspotenzial beim vorgegebenen Leistungsprofil?
Ich würde mir wünschen, dass die aktuelle Anzahl der Therapieeinheiten sowohl für die Phase 2 als auch für die Phase 3 beibehalten wird. Schön wäre auch eine erhöhte Flexibilität in der Einteilung und Gestaltung des Therapieprogramms – selbstverständlich im Rahmen des vom Kostenträger vorgegebenen medizinischen Leistungsprofils.  

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