Kampf gegen Krankenhaus­keime – Nermina und das „Problem-Peptid“

Lesedauer beträgt 3 Minuten
Autor: Martin Hehemann

Eine Forscherin der Universität Graz schafft den Durchbruch im Kampf gegen Krankenhauskeime. Das Problem: Die heilsbringende Aminosäure-Verbindung ist teurer als Gold.

Es verhielt sich merkwürdig. Mal zeigte es eine Reaktion. Mal nicht. Ohne erkennbaren Grund. Aufgrund seines unsteten Verhaltens verloren viele der beteiligten Forscherinnen und Forscher bald ihr Interesse an ihm. „Ihm“ – das ist ein Peptid, das an der Universität Graz unter einem außergewöhnlichen Namen bekannt geworden ist: „Nerminas Peptid“.

Nermina heißt mit vollem Namen Nermina Malanovic. Die Forscherin am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz war im Jahr 2015 an einem EU-Forschungsprojekt beteiligt. Es ging darum, Wirkstoffe gegen Multiresistente Erreger (MRE) zu finden, die schon damals für immer mehr Infektionen in Krankenhäusern sorgten. Die gebürtige Bosnierin, die als Kind selbst an einer schweren Infektion erkrankt war, ließ sich durch das unberechenbare Verhalten des winzig kleinen Eiweißmoleküls nicht abschrecken. Im Gegenteil: Es hatte ihr Interesse geweckt. Sie fand schließlich heraus, dass das verhaltensauffällige Peptid eine ganz besondere Qualität besaß: „Es hängte sich an der Oberfläche eines Bakteriums an und neutralisierte es. Dadurch zeigte es eine entzündungshemmende Wirkung“, so Malanovic.

Gezähmte Chemie. Die Grazer Wissenschaftlerin Nermina Malanovic entschlüsselte, wie bislang unberechenbare Peptidgruppen die Außenhüllen von Bakterien beschädigen – und diese aus dem Infektions-Spiel nehmen.

Vom Problemfall zum Power-Peptid

Aus dem Problem-Peptid wurde Nerminas Peptid „und aus dem wurde ein Power-Peptid“, wie die Grazer Forscherin scherzhaft meint. Sie hat in den vergangenen Jahren intensiv daran gearbeitet, auf Basis ihrer Entdeckung aus dem Jahr 2015 ein wirksames Medikament gegen MRE zu entwickeln. Bis ihr ein echter Durchbruch gelang: Sie untersuchte die Eigenschaften der synthetisch hergestellten Peptide OP-145 und SAAP-148 und konnte entschlüsseln, wie diese Eiweißmoleküle die Außenhüllen von Bakterien beschädigen. Einige dieser Stoffe hat sie bereits selbst entwickelt und 2022 zusammen mit der Universität Graz zum Patent angemeldet. Vor kurzem sorgte sie mit einem viel beachteten Paper im medizinischen Journal „Antibiotics“ international in Fachkreisen für Aufsehen.

MRE, die sich mit Antibiotika nicht mehr bekämpfen lassen, haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer großen Gefahr für die öffentliche Gesundheit entwickelt. Als „multiresistent“ wird ein Erreger dann bezeichnet, wenn er gegen mehrere Antibiotika-Klassen gewappnet ist. Gerade in Krankenhäusern zirkulieren oft Bakterien, gegen die kaum ein Antibiotikum mehr hilft. Die WHO zählt die „Antibiotika-Resistenz“ zu den zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit.

Die Ursache für die rasante Zunahme der MRE sehen Experten vor allem in der breiten Verwendung von Antibiotika. Einer Schätzung zufolge ist der Verbrauch zwischen 2000 und 2015 weltweit um 65 Prozent gestiegen. „Antibiotika sind zur Massenware geworden“, stellt Malanovic fest. „Vor rund 20 Jahren, als ich mit meiner Forschung begonnen habe, war das Interesse an neuen Antibiotika sehr gering. Der Tenor war immer der gleiche: Wozu sollen wir neue Wirkstoffe entwickeln? Die bestehenden funktionieren doch gut.“

40 zu 4.000

Diese Einschätzung hat sich mittlerweile geändert. Doch die Bemühungen von Wissenschaft und Industrie zur Entwicklung von neuen, effektiven Antibiotika sind immer noch relativ bescheiden. Das Fachblatt „Nature“ wies im Vorjahr auf eine bemerkenswerte Diskrepanz hin: Während sich 2022 mehr als 4.000 neue Wirkstoffe zur Bekämpfung von Krebs in Entwicklung befanden, wurden nur 40 Wirkstoffe als mögliche neue Antibiotika erforscht.

Umso positiver bewerten Mediziner Forschungserfolge wie jenen, den die Grazer Molekularbiologin erzielt hat. Mit ihren Forschungsergebnissen kann man nun unterschiedliche Peptide so kombinieren, dass ihre Wirkung gegen Krankheitserreger verstärkt wird, auch die gegen die tückischen MRE. „Peptide töten Bakterien, Pilze, lipidhaltige Viren wie das Coronavirus und sogar Krebszellen“, erklärt Malanovic. Die Krankheitserreger werden dabei so schnell vernichtet, dass sich keine Resistenzen bilden können.

So gut das klingt, vom flächendeckenden Einsatz der Peptide bei den Patientinnen und Patienten ist man noch weit entfernt: „Die Kosten sind derzeit sehr hoch. 100 Milligramm kommen auf rund 2.000 Euro. Nur spezielle Labors können diese Stoffe herstellen. Jedes Peptid ist dabei besonders zu behandeln“, so Malanovic. Ein Ziel ihrer Arbeit ist daher auch, den Herstellungsprozess zu optimieren.

Das Ziel ist, marktreife Medikamente zu entwickeln, die zu vertretbaren Kosten breit eingesetzt werden können. Dafür bemüht die Forscherin sich nun um Förderungen und sucht nach Investoren, die Kapital zur Verfügung stellen – von Funding Agencies über private Investoren bis hin zu Pharma-Unternehmen: „Die Entwicklung eines marktreifen Produktes wird mindestens fünf bis acht Jahre dauern. Die Kosten dafür liegen in Millionenhöhe.“ Sowohl die Zeit als auch das Kapital sind ihrer Ansicht nach aber gut investiert: „Ich sehe eine realistische Chance, den Kampf gegen die Super-Resistenten Bakterien zu gewinnen.“ 

Quellen und Links:

Artikel von Nermina Malanovic im Journal „Antibiotics:
“Bactericidal Activity to Escherichia coli: Different Modes of Action of Two 24-Mer Peptides SAAP-148 and OP-145, Both Derived from Human Cathelicidine LL-37”

Informationen des UN Environment Programme

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